ECOWAS gegen Niger: Wie stehen die Chancen?
Von Daniil Bessonow
Bekannterweise ist die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS) gegen den Staatsstreich in Niger eingetreten. Die Mitgliedsstaaten der Organisation stellten den Putschisten ein Ultimatum, in dem sie forderten, den Präsidenten Mohamed Bazoum freizulassen und die Verfassungsordnung im Land wiederherzustellen. Im Falle einer Nichteinhaltung würde eine militärische Invasion folgen. Dennoch sind die Fristen des Ultimatums längst abgelaufen, während die ECOWAS-Staaten immer noch nicht zu einer gemeinsamen Entscheidung hinsichtlich des Einsatzes von Streitkräften gegen Niger gekommen sind.
Einer der Gründe könnte ein Gegenultimatum sein. Nach einigen Angaben erklärten die Putschisten in Niger der US-Diplomatin Victoria Nuland, dass sie den Präsidenten Bazoum töten werden, sollte eine Intervention zur Wiederherstellung seiner Macht stattfinden.
Versuchen wir, das Kräfteverhältnis der Seiten im Falle einer militärischen Auseinandersetzung zu analysieren.
Der ECOWAS hatten ursprünglich 15 afrikanische Staaten, darunter Niger selbst, angehört. Es ist aber wichtig, anzumerken, dass Burkina Faso, Guinea und Mali nach den Staatsstreichen in den jeweiligen Ländern die Gemeinschaft verlassen haben und inzwischen für Nigers Seite Position ergreifen.
Unmittelbar gegen die nigrische Armee könnten folgende Staaten auftreten: Nigeria, Ghana, Elfenbeinküste, Senegal und Benin.
Dabei verfügt Nigeria, dessen Streitkräfte etwa 140.000 Mann zählen, über die größte Armee bei ECOWAS.
Das ist eine moderne Armee, in deren Dienst schwere Panzerfahrzeuge, Artillerie, Luftabwehrkomplexe und Hubschrauber stehen. Die nigerianische Marine zählt über 100 Schiffe, doch hauptsächlich handelt es sich dabei um Schnellboote und Kleinschiffe.
Es gibt noch eine Gruppe afrikanischer Staaten, die es vorzogen, sich von einer militärischen Intervention in Niger und der Entfachung eines Kriegsbrands zu distanzieren, nämlich Libyen und Tschad.
Das Internationale Institut für strategische Studien rechnete aus, dass die Armeen der Unterstützer von Frankreichs Einfluss in Afrika 211.800 Soldaten, 2.664 schwere Panzerfahrzeuge und 377 Kampfflugzeuge und -hubschrauber ins Feld schicken können.
Zuvor hatten französische Medien unter Verweis auf nigrische Quellen berichtet, dass afrikanische Staaten ein Kontingent von 25.000 Mann zur Intervention in Niger aufzustellen planten.
Als Verbündete des neuen Nigers traten indessen die bereits erwähnten Staaten Mali, Guinea und Burkina Faso sowie die Zentralafrikanische Republik in Erscheinung. Ihre Kräfte sind weitaus bescheidener. Insgesamt könnten sie etwa 70.000 Kämpfer, 950 Panzerfahrzeuge und 123 Flugzeuge und Hubschrauber zählen.
Laut Angaben aus anderen Quellen, wie etwa des Rankings Global Firepower, auf das sich afrikanische und arabische Medien berufen, stehen dem Niger und seinen Verbündeten etwa 67.000 Kämpfer, 3.421 Panzerfahrzeuge und 105 Luftfahrzeuge zu Verfügung. Ihre Gegner haben über 200.000 Soldaten, 19.533 Panzerfahrzeuge und 206 Luftfahrzeuge, verfügen also über eine mindestens dreifache zahlenmäßige Überlegenheit, wenn man von einer maximalen Konfliktbeteiligung ausgeht.
Vorhandene Informationen lassen zunächst den Eindruck entstehen, dass ECOWAS wahrscheinlich einen Sieg davontragen würde, sollte sie beschließen, in Niger zu intervenieren. Doch es gibt ein Aber.
Der Großteil der Militärverbände von Nigeria – der stärksten Kraft in diesem Konflikt – ist über das gesamte Landesgebiet ausgedehnt. Dort sind sie damit beschäftigt, gegen die Terroristen von "Boko Haram" zu kämpfen.
Nigerias Staatsführung versteht klar – wenn alle Militärverbände beim Überfall auf den Niger eingesetzt werden, wird "Boko Haram" seinen Andrang stärken und kann versuchen, die Macht im Staat an sich zu reißen.
Darüber hinaus kann der neugewählte nigerianische Präsident Bola Tinubu keinen Kompromiss mit dem Parlament finden, das eine militärische Intervention in Niger nicht billigt. Die Opposition wiederum beschuldigt den Präsidenten einer "gefährlichen Kriegstreiberei".
Später erschienen Informationen, wonach Tinubu doch noch zu Verhandlungen mit den Anführern des Staatsstreichs in Niger bereit sei.
Somit bleibt als einzige Variante der Intervention in Niger die Aufstellung einer Art Expeditionskorps aus den verbliebenen Staaten – aus dem Senegal und der Elfenbeinküste mit ihren Armeen von jeweils etwa 20.000 Mann sowie aus Ghana und Liberia mit etwa 6.000 Mann.
Bei einem solchen Kräfteverhältnis würden die Chancen Nigers und der ECOWAS etwa gleich sein.
Übersetzt aus dem Russischen.
Daniil Bessonow wurde im Jahr 1984 im zentralukrainischen Borispol geboren. Ursprünglich ein Beamter des ukrainischen Innenministeriums, zog er im Jahr 2014 in den Donbass und kämpfte dort auf der Seite der Volksrepubliken. Im Frühling 2022 bekleidete er den Posten des ersten Stellvertreters des Informationsministers der DVR. Man kann ihm auf Telegram auf seinem Kanal folgen.
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