Lateinamerika

Prozess gegen Argentiniens Vizepräsidentin: Ein Komplott des Ex-Präsidenten Mauricio Macri, Teil 2

Es gab in Lateinamerika mehrere Fälle, in denen mit Hilfe von konstruierten Strafverfahren missliebige Politiker kaltgestellt wurden; so geschen in Peru oder auch in Brasilien. Liegt beim Prozess gegen Christina Fernández de Kirchner die Sachlage ähnlich?
Prozess gegen Argentiniens Vizepräsidentin: Ein Komplott des Ex-Präsidenten Mauricio Macri, Teil 2Quelle: AFP © AFP PHOTO/ TELAM

Eine Analyse von Maria Müller

Teil 2

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Der Prozess gegen die Vizepräsidentin Argentiniens, Cristina Fernández de Kirchner, wurde am vergangenen Montag inmitten einer verschärften politischen Polarisierung fortgesetzt. Das von einem Neonazi versuchte Attentat mit einer Schusswaffe auf Fernández ist die Folge einer systematischen Rufmordkampagne aufgrund des Prozesses, der seit drei Jahren gegen sie läuft.

Die Staatsanwälte Diego Luciani und Sergio Mola forderten am Montag eine zwölfjährige Haftstrafe für Fernández, ihren Amtsentzug und die Beschlagnahme ihres Vermögens. Was werfen sie ihr vor?

Ankläger: Korruption bei Staatsaufträgen im Straßenbau

Fernández soll in ihrer Amtszeit als Präsidentin (2007–2015) der Kopf einer "illegalen Vereinigung" gewesen sein, die gemeinsam mit damaligen Beamten und Geschäftsleuten den Unternehmer Lázaro Báez mit staatlichen Bauaufträgen in der Provinz Santa Cruz begünstigt hatte. Zudem seien dabei überhöhte Preise toleriert worden. Die Provinz selbst sei mit der Zahl der Straßenbauprojekte im Verhältnis zu anderen Provinzen bevorzugt worden. Das Verfahren untersteht den Richtern Rodrigo Giménez Uriburu, Jorge Gorini und Andrés Basso. Sie wollen bis zum Jahresende zu einem Urteil kommen.

In diesen drei Jahren diente der Prozess ohne Zweifel als Vehikel zur politischen Stimmungsmache gegen die peronistische Regierung. Staatsanwalt Luciani widmete sich häufig der Formulierung juristisch verbrämter Schlagzeilen, die am nächsten Tag in allen Medien erschienen. Ein Abgeordneter der Opposition forderte sogar die Todesstrafe für die Vizepräsidentin. Der Attentäter gegen Fernández hat die aggressiven Vorverurteilungen des Staatsanwalts in den sozialen Medien weiterverbreitet und ihnen geglaubt.

Manipulierte Beweise erweisen sich als zu schwach

Beschuldigungen und Hassreden zeigen immer eine Wirkung in der Bevölkerung, nach dem Motto: "Irgendwas wird schon dran sein …", auch wenn die Einzelheiten kaum bekannt sind. So auch in diesem Fall. Die reale Beweislage ist dünn. Bereits am ersten Tag der Beweisführung der Verteidigung fielen eine Reihe von Anklagepunkte wie ein Kartenhaus in sich zusammen.

Die Anwälte stellten klar, dass die Ankläger Luciani und Mola die Verfahrensakten nicht einmal gut gelesen hätten. Sie betonten, dass es "überhaupt nichts, nicht einmal einen Hinweis" auf die mutmaßlichen Verbrechen bezüglich der öffentlichen Aufträge gebe. "Die Staatsanwälte betrieben funktionale Heuchelei." "Sie haben Beweise falsch dargestellt." "Sie präsentierten falsche oder nicht vorhandene Tatsachen." "Sie haben gegen die nationale Verfassung verstoßen." An diesem ersten Tag ging es um die Verantwortlichkeit eines Provinzbeamten von Santa Cruz für den Straßenbau.

Das gleiche Phänomen hatte sich bereits gezeigt, als die Staatsanwälte mithilfe diverser Gutachten versucht hatten, ihre Anschuldigungen gegen Fernández zu belegen. Die vorgeladenen Experten hatten den Behauptungen rundweg widersprochen.

Die staatlichen Rechnungsprüfer sprachen Fernández frei

Die von der Anklage vorgeladenen Experten der Vereinigung der Rechnungsprüfer Argentiniens (UIF) – eines staatlichen Kontrollorgans gegen Veruntreuung und Geldwäsche – forderten Anfang Juli den Freispruch aller Angeklagten im Fall der Straßenbauprojekte in Santa Cruz. Die UIF-Experten fanden keine Gründe für eine Fortsetzung des Prozesses. Die von der Anklage bisher präsentierten Gutachten seien ohne wissenschaftliche Methodik durchgeführt worden, untereinander nicht vergleichbar und in sich unstimmig. Die Beschuldigungen gründeten auf manipulierten Berechnungen und Preisvergleichen mit ähnlichen Bauprojekten in anderen Provinzen, ohne deren Besonderheiten zu berücksichtigen.  In keinem Punkt konnten die Beschuldigungen gegen die Vizepräsidentin bestätigt werden.

Wörtlich sagten die Anwälte der UIF:

"Die kriminellen Hypothesen, die in den Prozess eingebracht wurden, konnten nicht bewiesen werden." Und: "Die Angeklagten wurden in Wirklichkeit wegen politischer Entscheidungen beschuldigt. Diese wurden im gesetzlichen Rahmen der Regierungszuständigkeiten getroffen, die die Justiz nicht in Frage stellen darf."

Und weiter: "Ein öffentlicher oder privater Ankläger muss das Prinzip der Unschuldsvermutung respektieren und Beweise vorlegen, die die Verantwortlichkeit des Angeklagten belegen."

Auch das öffentliche Antikorruptionsbüro fand keine Beweise

Zuvor hatte die Anklage auch das staatliche Antikorruptionsbüro (OA) zur Teilnahme am Prozess aufgefordert. Die Institution war anfänglich "Beschwerdeführer" gewesen, trat jedoch Mitte Juni zurück und verzichtete darauf, Anschuldigungen zu erheben. In einem Schreiben der Institution an die Richter heißt es:

"Da es keine von der Vertretung dieses Amtes vorgeschlagenen Beweise zur Vorlage gibt, wird Ihre Exzellenz gebeten, dieses Antikorruptionsamt aus der Rolle des ordnungsgemäß übernommenen Klägers zu entfernen."

Die Institution kritisierte indirekt, der vorherige Präsidenten Mauricio Macri habe ihre Teilnahme an der Anklage befohlen.

Die argentinische Zeitung Página/12 schrieb zu den Anschuldigungen gegen die heutige Vizepräsidentin: "Die Entscheidungen über den Bau von Straßen werden vom Nationalkongress getroffen. Bei einer Umschichtung von Geldern trifft der Ministerpräsident die Entscheidung, nicht der Präsident oder die Präsidentin. Die Straßenprojekte in der Provinz Santa Cruz wurden dort ausgeschrieben, vergeben und kontrolliert. Die damalige Regierung hatte keine Verfügungsmacht darüber."

Mehrere ähnliche Verfahren wurden eingestellt

Bereits im Jahr 2009 war eine Anzeige gegen Fernández wegen unzulässiger Bereicherung zurückgewiesen und mit Freispruch archiviert worden. Ein erneuter Versuch scheiterte im Jahr 2020 unter einem anderen Richter. Natürlich sorgen solche Verdächtigungen immer wieder für Schlagzeilen, die die öffentliche Meinung beeinflussen.

Nachdem der argentinische Präsident Alberto Fernández von dem Strafantrag der Staatsanwaltschaft erfahren hatte, schrieb er auf Twitter:

"Keine der Taten, die der ehemaligen Präsidentin zugeschrieben werden sind bewiesen, und alle Anschuldigungen gegen sie beziehen sich auf die Funktion, die sie während dieser Zeit (als Präsidentin) ausgeübt hat, was die elementarsten Prinzipien des modernen Strafrechts erbärmlich herabsetzt."

Richter und Ankläger: Freunde Macris

Eine weitere Fußangel in diesem Prozess ist die persönliche Nähe zwischen Richter, Staatsanwalt und dem Ex-Präsidenten Macri, dem Erzfeind der Familie Fernández-Kirchner. Er hat die Beschuldigungen erhoben und in seiner Amtszeit staatlichen Institutionen befohlen, Klage einzureichen, darunter dem Antikorruptionsbüro (OA).

Die Zeitung Página/12 veröffentlichte am achten August Fotos, die Richter Giménez Uriburu und Ankläger Luciani gemeinsam bei einem Fußballturnier auf dem Landgut Macris zeigen. Daraufhin lehnte der Anwalt von Fernández, Carlos Beraldi, beide Justizbeamte wegen Befangenheit im Verfahren gegen seine Mandantin ab. In einem Gutachten der Iberoamerikanischen Kommission für Justizethik (CIEJ) heißt es dazu:

"Nur öffentliche Treffen mit protokollarischem Charakter sind ethisch zulässig. Das macht alle öffentlichen oder privaten Treffen zwischen Richtern und Politikern absolut nicht ratsam."

Der argentinische Filz – auch im Justizwesen

Doch das Gericht entschied, die privaten Zusammenkünfte von Richtern, Staatsanwälten und dem Urheber der Beschuldigungen seien kein Grund, an deren Objektivität im Verfahren gegen Fernández zu zweifeln.

Auch der zweite Staatsanwalt im Verfahren, Mola, ist mit dem politischen Lager des Ex-Präsidenten Macri verbunden. Der hatte ihn im Jahr 2018 unter mehreren Bewerbern zum stellvertretenden Generalstaatsanwalt befördert.

Und falls es zu einem Revisionsverfahren vor einem Kassationsgericht kommt, wäre die zuständige 4. Kammer mit den Richtern Gustavo Hornos und Mariano Borinsky besetzt. Beide pflegten eine enge Verbindung mit Macri.

Macri als Lenker der politischen Justizkampagne

Gleichzeitig besuchten sie jedes Mal, wenn wichtige Prozessentscheidungen in Verfahren gegen Fernández oder Beamte ihrer Administration zu treffen waren, zuvor den Präsidenten im Regierungssitz. Hornos traf sich sechsmal mit Macri, Borinsky besuchte ihn 18-mal in der Residenz des Staatsoberhauptes, in "Olivos". Letzterer leugnete die Besuche nicht und behauptete, es habe sich um "Freizeitbesuche" gehandelt.

In einem Prozess in Sachen unzulässiger Kontakte und Befangenheit wurden alle drei am 28. April dieses Jahres wiederum freigesprochen.

Man sieht, Macri hat die juristische Kampagne schon in seiner Amtszeit vorbereitet und nach allen Seiten abgesichert. Sein Einfluss auf den Justizapparat muss bedeutend sein. Auf Deutsch heißt das Filz, in Argentinien nennt man das "Lawfare" oder "juristische Kriegsführung".

Mehr zum Thema - Das fehlgeschlagene Attentat auf Cristina Fernández de Kirchner in Argentinien (Teil I)

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