Argentiniens Präsident Milei schafft jegliches Minimum an sozialer Fürsorge ab
Von Felicitas Rabe
Mit populistischen Versprechungen gewann der Wirtschaftswissenschaftler Javier Milei im November die Stichwahl in Argentinien. Milei versprach der Bevölkerung, die Inflation zu stoppen und den aufgeblähten Staatsapparat zusammenzustreichen. Er wolle die Wirtschaft des Landes retten, indem er die Landeswährung abschafft und durch den US-Dollar ersetzt.
Vor der Wahl stellte sich der Ökonom als libertärer Anarchokapitalist vor. Er arbeitete von 2008 bis 2021 für Eduardo Eurnekian, einen der reichsten Unternehmer in Argentinien. Unter anderem ist er Präsident des Corporación América Airports, dem größten privaten Flughafenbetreiber weltweit. Laut Wikipedia habe Eurnekian die Karriere Mileis in der Politik befördert.
Kaum war der selbst ernannte "Anarcho" im Amt, hat er aber, anstatt die Macht des Staates ganz anarchistisch abzubauen, die Macht der Regierung noch vergrößert, vor allem bei Polizei und Militär. Der Libertäre rief den Notstand aus und wolle nun per Notstandsverordnung regieren, berichtete German Foreign Policy. In dem Artikel heißt es, Milei habe "herbe Einschnitte in das Streik- sowie in das Demonstrationsrecht per Dekret oktroyiert; vom argentinischen Kongress will er sich die Kompetenz übertragen lassen, für zwei Jahre per Dekret ohne parlamentarische Zustimmung zu regieren".
Neben der Einschränkung von Arbeitnehmerrechten und der Einschränkung der Versammlungsfreiheit hob der neue Präsident auch das Mietrecht auf. Manch Argentinier fühlt sich in die Militärdiktatur zurückversetzt. Felicitas Rabe fragte die deutsche Journalistin und Lateinamerika-Expertin Gaby Weber, die in Buenos Aires lebt, worin für sie die entscheidendsten Veränderungen in Argentinien bestünden, seit Javier Milei an der Macht ist.
Die entscheidendste Veränderung nach Mileis Wahl zum Präsidenten sei für sie die zunehmende Entsolidarisierung der Gesellschaft, erklärte die Journalistin. Im Land herrsche nun die allgemeine Haltung vor, "sich für die Sorgen der Anderen nicht mehr zu interessieren." Die neue Regierungsmannschaft mache aus ihren Plänen nicht einmal ein Geheimnis. Alles, was einen Sozialstaat ausmache – auch einen christdemokratischen – würde quasi abgeschafft: Darunter falle auch jegliches Minimum von sozialer Fürsorge: Krankenfürsorge und -versicherung, Renten, Mindestlöhne, Sicherung der Arbeitsplätze – all das zähle für Mileis Mannschaft nicht mehr.
Die neue Vizepräsidentin Victoria Villarruel sei zudem eine offene Bewunderin des ehemaligen Diktatorso Jorge Videlas, der von 1976 bis 1983 der Militärdiktatur vorstand. Mileis politische Haltung sei schon deshalb extrem, als für ihn sogar Institutionen zu sozialistisch seien, von denen man das nun gar nicht angenommen hätte:
"Milei empfindet ja schon den Papst und das WEF als sozialistische Einrichtungen," so Weber.
Beim Papst sei das ja noch insofern verständlich, weil er sich im Wahlkampf wiederholt gegen Milei und Co. ausgesprochen und für die konkurrierenden Peronisten Stellung bezogen habe. Aber unter seiner neuen Staatsführung seien wahre Provokateure in die Politik aufgenommen worden, "die 'Knast oder Kugel' für die Opposition versprechen". Frauenthemen würde er grundsätzlich ignorieren und Männern stelle er frei, ob sie Unterhalt für ihre Kinder zahlen wollten oder nicht. Vermutlich wolle er die Bürger an diese neuen Ausrichtungen erst nach und nach gewöhnen. Die Journalistin sei tatsächlich erstaunt, wie wenig Menschen in Argentinien sich bisher darüber aufregten, solange sie nicht selbst davon betroffen seien. Man müsse ihm Zeit geben, hieße es an allen Ecken.
Es würde noch eine Weile dauern, so Webers Annahme, bis die per Dekret oder Notstandsgesetz erlassenen Maßnahmen eine große Mehrheit träfen. Noch nähmen die Leute alles hin: Wie beispielsweise eine Inflation von 30 Prozent für Lebensmittel im Dezember – also in nur einem Monat. Seit Mileis Amtsantritt sei schon alles teurer geworden: Fahrpreise, Strom, Wasser, Versicherungen.
Da der Kongress das Dekret nicht "in die Tonne getreten" habe, sei es im Moment in Kraft. Neue Mietverträge würden bereits auf dieser Rechtsgrundlage in US-Dollar abgeschlossen. Daraufhin habe sich das Angebot auf dem Immobilienmarkt in den letzten Tagen vervielfacht. Bisher warteten die meisten Argentinier ab. Aus diesem Grund glaubt Gaby Weber, dass der für den 24. Januar angekündigte Generalstreik erst ein Anfang der Proteste sei. Dabei würden zunächst nur die politisch organisierten Menschen auf die Straße gehen, (noch) nicht die Bürger.
Die Journalistin und Filmemacherin Gaby Weber ist ausgewiesene Latein-Amerika Expertin und lebt sowohl in Berlin als auch in Buenos Aires. Man kann sie über ihre Webseite https://www.gabyweber.com/ erreichen.
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