Nahost

"Caesar-Gesetz": USA wollen Syrien mit verschärften Sanktionen in die Knie zwingen

Die vom Westen gegen Syrien verhängten Sanktionen haben verheerende Konsequenzen für die Zivilbevölkerung. Diese soll gegen die Assad-Regierung aufgebracht werden, deren Sturz mit militärischen Mitteln nicht gelang. Nun ziehen die USA mit dem "Caesar-Gesetz" die Daumenschrauben an.
"Caesar-Gesetz": USA wollen Syrien mit verschärften Sanktionen in die Knie zwingenQuelle: Sputnik

von Karin Leukefeld

Die syrische Regierung kontrolliert 70 Prozent des Landes und kooperiert im Nordosten Syriens teilweise mit den syrischen Kurden – unter russischer Vermittlung. Dennoch wird das Land daran gehindert, den notwendigen Wiederaufbau nach den zerstörerischen Kriegsjahren zu beginnen.

Nicht nur, dass es keine internationalen Hilfen für den Wiederaufbau gibt, auch Staaten wie Russland, China, Iran, Indien und die Golfstaaten, die das Land beim Wiederaufbau unterstützen wollen, sollen durch das "Caesar-Gesetz" davon abgehalten werden. Besonders betroffen sind mit dem Irak, Jordanien und dem Libanon die direkten Nachbarländer Syriens, für die der Handel mit Syrien existenziell für die eigene Wirtschaft und die nationale Sicherheit ist.

Die syrische Regierung verurteilte die neuen Sanktionen als "wirtschaftlichen Terrorismus", einseitige wirtschaftliche Zwangsmaßnahmen verstießen gegen internationales Recht und gegen das humanitäre Völkerrecht. Die Maßnahmen basierten auf "Falschaussagen von denjenigen, die gegen das syrische Volk feindselig eingestellt sind", hieß es in einer Erklärung des syrischen Außenministeriums, aus der die syrische Nachrichtenagentur SANA zitierte.

Der syrische Botschafter in Moskau, Riad Haddad, verurteilte die Sanktionen darüber hinaus als "medizinischen Terrorakt". Angesichts der weltweiten Corona-Pandemie seien solche Maßnahmen unmenschlich. Auch Syrien benötige Medizin und technische Geräte, um die Bevölkerung zu schützen. Das neue Sanktionspaket ziele zudem auf die Verbündeten Syriens am Persischen Golf, so Haddad weiter. Die Sanktionen sollten den Außenhandel, den Binnenhandel und gemeinsame Investmentprojekte mit der syrischen Regierung sowie Kredite und Überweisungen blockieren, so der Diplomat. "Niemand soll in Syrien investieren und jeder, der das vorhat, soll die USA um Erlaubnis bitten."

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Zudem sehe er die Gefahr, dass Syrien durch die Sanktionen gespalten werden solle, sagte Haddad weiter und verwies darauf, dass das "Caesar-Gesetz" nicht im Nordosten Syriens gelten soll, der von der US-Armee und den mit ihr verbündeten syrischen Kurden kontrolliert wird.

Der iranische Außenminister Mohammed Dschawad Sarif bekräftigte, dass der Iran seine wirtschaftlichen Beziehungen mit Syrien vertiefen werde, der syrisch-iranische Kreditrahmen bleibe erhalten. Sarif, der sich am Dienstag zu bilateralen Gesprächen in Moskau mit dem russischen Außenminister Sergei Lawrow traf, erklärte vor russischen Medien, man sei dabei ein weiteres Treffen mit Russland und der Türkei im Astana-Format vorzubereiten. Der ökonomische Druck auf Syrien werde auch zwischen dem Iran und Russland besprochen.

China und Russland haben sich bisher offiziell nicht zum US-Caesar-Gesetz geäußert. Beide Länder sind politisch und wirtschaftlich – und Russland auch militärisch – eng mit Syrien verbündet. Die US-Regierung hat offen erklärt, dass das "Caesar-Gesetz" auch die syrischen Verbündeten Russland, China und Iran unter Druck setzen soll.

Die neuen US-Wirtschaftssanktionen gegen Syrien sollen am 17. Juni 2020 in Kraft treten. Das "Caesar-Gesetz für den Schutz der syrischen Zivilisten" ist eingebettet in den US-Haushalt für die nationale Verteidigung 2020 und wird von der US-Administration als außenpolitisches Instrument gegen Syrien und seine Verbündeten eingesetzt.

Das Gesetz sei ein "wichtiger Schritt, um die Verantwortung für die vielen Gräueltaten ans Tageslicht zu bringen, die Baschar al-Assad und sein Regime in Syrien verübt haben", hatte US-Außenminister Mike Pompeo unmittelbar nach Unterzeichnung des Gesetzes durch US-Präsident Donald Trump am 21. Dezember 2019 verkündet.

Die US-Administration habe mit dem Gesetz ein "Werkzeug" in der Hand, mit dem der "schreckliche, anhaltende Konflikt in Syrien beendet" werden könne. Alle sollten zur Rechenschaft gezogen werden, "die für den Tod von Zivilisten und die zahlreichen Verbrechen verantwortlich sind, einschließlich des Einsatzes von chemischen Waffen", so Pompeo weiter.

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Das Caesar-Gesetz ist laut dem US-Chefdiplomaten "ein klares Signal, dass keine ausländischen Akteure Geschäfte mit diesem Regime machen oder zu dessen Bereicherung beitragen sollen". 

"Salz in die Wunden"

Das neue US-Sanktionspaket richtet sich gegen Einzelpersonen, Institutionen, Unternehmen und Staaten, die mit der syrischen Regierung Geschäfte machen. Offiziell heißt es, Zielpersonen seien der syrische Präsident, die Regierung, Militär und Geheimdienste. Tatsächlich aber trifft es die zu großen Teilen staatlich organisierte Wirtschaft Syriens im Energie-, Transport- und landwirtschaftlichen Sektor, es trifft das staatlich organisierte Gesundheitswesen und sämtliche staatlichen Produktionsbetriebe.

Angebliche Ausnahmen für den medizinischen und humanitären Sektor werden kaum Wirkung zeigen, da Unternehmen oder zivilgesellschaftliche Organisationen aufgrund der unübersichtlichen und komplizierten Antragsverfahren von vornherein von Projekten in Syrien Abstand nehmen. Viele Hilfsorganisationen übten "Selbstzensur", erklärte Bassma Alloush vom Norwegischen Flüchtlingsrat gegenüber dem Internetportal Al Monitor. Hilfsorganisationen scheuten das Risiko und wenn es die Gefahr gäbe, unter US-Sanktionen zu fallen, zöge man sich zurück.

Das "Caesar-Gesetz" bezeichnete Alloush als "Salz in die Wunden" der syrischen Bevölkerung, die seit Jahren unter dem Krieg leide. "Und jetzt sagen wir ihnen, sie sollen weitere fünf Jahre ihr Land nicht wiederaufbauen können, weil das Caesar-Gesetz einen Regime-Change herbeiführen oder Gerechtigkeit bringen soll", führt Alloush aus. Da sei sie anderer Meinung.

Internationale Kritik an einseitigen Sanktionen

Kritik an einseitig verhängten Wirtschaftssanktionen der EU und der USA gibt es aus aller Welt. Syrische Kirchenvertreter weisen seit Jahren auf die gravierenden Folgen für die vom Krieg schwer betroffene Zivilbevölkerung hin. Anfang des Jahres appellierte ein Zusammenschluss syrischer Nichtregierungsorganisationen, Stiftungen und Einzelpersonen an den UN-Generalsekretär und forderte diesen auf, sich gegen die Sanktionen stark zu machen.

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Unterschriftenlisten und Proteste der engagierten Zivilgesellschaft in aller Welt verhallen jedoch in Washington, Brüssel, London, Paris und Berlin ebenso ungehört wie die zahlreichen Studien, die sich mit Wirtschaftssanktionen im Allgemeinen und gegenüber Syrien im Besonderen beschäftigen.  Dazu gehören eine Studie der UN- Wirtschafts- und Sozialkommission für Westasien (ESCWA) aus dem Jahr 2016 als auch der Bericht aus dem Jahr 2018 des algerischen Diplomaten Idriss Jazairy, dem kürzlich verstorbenen UN-Sonderberichterstatter für die Auswirkungen von einseitigen Zwangsmaßnahmen.

Syrien in der Grauzone

Der Hinweis, dass die einseitigen EU- und US-Sanktionen zur Spaltung Syriens beitragen, wird bestätigt durch Ausführungen auf der Tagung "Syrien in der Grauzone", die im Zentrum für Strategische und Internationale Studien (CSIS) in Washington im November 2019 stattfand.

Dana Stroul vom Washington Institut für Nahostpolitik (WINEP) führte dort die US-Strategie aus, wonach man in der "Grauzone" Syriens sowohl Russland als auch den Iran in Schach halten wolle. Die "Architektur der Wirtschaftssanktionen" gehöre zum "Feldzug der Trump-Administration, mit dem maximaler Druck auf den Iran" ausgeübt werden solle. Wiederaufbauhilfe könne es durch "Stabilisierungshilfen" im Nordosten Syriens geben, dem "ressourcenreichen ökonomischen und landwirtschaftlichen Kraftzentrum Syriens", das sich "im Besitz des US-Militärs und seiner lokalen Partner, den Syrischen Demokratischen Kräften" befinde.

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Die US-Regierung habe zudem Einfluss auf "die internationalen Finanzinstitutionen" und durch "die Kooperation mit den Europäern" habe man eine "Karte in der Hand", mit der "das Assad-Regime" zu Zugeständnissen gezwungen werden solle. Es müsse verhindert werden, so Stroul, dass "Wiederaufbauhilfe und technische Expertise in Syrien ankommen".

Konfrontation im UN-Sicherheitsrat

Im UN-Sicherheitsrat wurde am Dienstag über die politische und humanitäre Lage in Syrien gesprochen. Die wirtschaftlichen Schwierigkeiten im Land waren eines der Themen. Der massive Verfall des syrischen Pfundes gegenüber dem US-Dollar innerhalb weniger Tage seit Anfang Juni hat zu einem enormen Preisanstieg bei Nahrungsmitteln und Medikamenten geführt. Nach Angaben des Welternährungsprogramms (WFP) sind die Preise in Syrien innerhalb eines Jahres um mehr als 100 Prozent gestiegen.

Die einseitigen Zwangsmaßnahmen und Sanktionen verhindern den Wiederaufbau der nationalen Produktion, weil der Kauf von Ersatzteilen, neuen Maschinen und von Rohstoffen blockiert wird. Weil nicht aufgebaut wird, werden keine Arbeitsplätze geschaffen, mit denen die Arbeiter ihre Familien ernähren könnten. Die enge Verbindung von Syrien zu seinen Nachbarn Irak, Jordanien und Libanon führt dazu, dass die von den westlichen Staaten bewusst aufrecht erhaltene Krise in Syrien auch bei dessen Nachbarn zu anhaltenden Wirtschaftskrisen führt.

Wie schon viele Male zuvor hatten Russland und China auch bei der letzten monatlichen Beratung des UN-Sicherheitsrates über Syrien die Aufhebung der einseitigen Sanktionen gefordert. Konkreter Anlass waren im April und Mai die gesundheitliche Bedrohung der Bevölkerung durch die Corona-Pandemie. UN-Generalsekretär António Guterres hatte gefordert, dass alle Staaten im Kampf gegen das Coronavirus kooperieren und ihre Kriege und Kämpfe aussetzen sollten. 

Die Vertreter der USA, Großbritanniens, Frankreichs und Deutschlands sind nicht bereit, die Sanktionen gegen Syrien aufzuheben. Im März hatte bereits der deutsche UN-Diplomat Jürgen Schulz einen entsprechenden Appell Russlands zurückgewiesen. Die Sanktionen richteten sich "nicht gegen die Bevölkerung", sondern "gegen die Führung in Damaskus, (…) die der schlimmsten Menschenrechtsverbrechen schuldig ist, die man sich nur vorstellen kann", sagte Schulz. "Die humanitäre Situation in Syrien ist einzig und allein das Ergebnis der Politik von Damaskus (...)." 

Caesar und das humanitäre Völkerrecht

Benannt ist das neue US-Sanktionsgesetz nach dem syrischen Militärfotografen "Caesar", der 2013 mit Hilfe einer gleichnamigen Unterstützergruppe Tausende Fotografien von Leichen aus syrischen Militärgefängnissen geschmuggelt hatte. Angeblich soll es sich bei den Toten um zu Tode gefolterte Gefangene handeln. Vieles deutet aber darauf hin, dass es sich bei den Toten auch um Opfer von Anschlägen, Entführungen und Kämpfen handeln könnte. Alle Toten, die seit Beginn des Krieges 2011 vom syrischen Zivilschutz oder Militär gefunden werden, werden in Militärkrankenhäusern dokumentiert, wie der Autorin in zahlreichen Gesprächen in Syrien bestätigt wurde.

"Caesar" wandte sich nach seiner Flucht mit dem Bildmaterial nicht an das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK), das sich seit seiner Gründung für Gefangene, Verschwundene und Folteropfer einsetzt. In Syrien arbeitet das IKRK seit Jahrzehnten und hat seit 2017 auch bei den Verhandlungen zwischen bewaffneten Oppositionsgruppen und der syrischen Regierung den Austausch von Gefangenen oder die Suche nach Verschwunden begleitet.

Die Arbeit des IKRK basiert auf der Genfer Konvention und den klaren Regeln des humanitären Völkerrechts, ist neutral, unparteiisch und unabhängig. Zum Thema "Tod in Gefangenschaft" hat das IKRK einen Leitfaden erstellt. Daran waren "Caesar" und seine Unterstützergruppe nicht interessiert. Sie zeigten die Fotos der französischen Reporterin Garance Le Caisne. "Caesar" erzählte ihr seine Geschichte, die die Reporterin medienwirksam in einem Buch veröffentlichte.

Es folgten Einladungen an "Caesar" auf höchster politischer Ebene in den USA und Europa. Die Fotos wurden international auf Ausstellungen, in der UNO und im EU-Parlament gezeigt. In einem von der Bundesanwaltschaft eröffneten "Weltstrafverfahren" vor dem Oberlandesgericht Koblenz gegen zwei mutmaßliche ehemalige Mitarbeiter des syrischen Geheimdienstes werden die Fotos als Beweismittel eingesetzt.

Nach den IKRK-Regeln wäre das vermutlich so nicht möglich gewesen. Schutz und Würde der Opfer – und auch ihrer Familien – untersagen es nach dem humanitären Völkerrecht, solche Fotos unautorisiert in der Öffentlichkeit zu präsentieren. Die Aufklärung des Geschehens hinter den Bildern wäre mühsam und langwieriger – und könnte zu einem vielschichtigen Ergebnis führen.

Unterstützt wurde "Caesar" dann von einem in den USA ansässigen "Syrischen Notfall- Einsatzkommando" (SETF), das die Fotos der US-Bundespolizei FBI übergab, die sie als authentisch verifizierte. Seit 2014 betrieb SETF intensive Lobbyarbeit im US-Senat und Kongress für das neue Sanktionsgesetz "Caesar". Die Syrer sollten sich darüber freuen, sagte SETF-Direktor Mouaz Moustafa gegenüber Al Monitor: "Es kommt, um all diejenigen zu bestrafen, die die Syrer zwingen, in Armut zu leben."

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