Nahost

Ungelöster Jahrhundertkonflikt: "Bürgerkrieg" in Lod – schwere Luftangriffe auf Gaza-Stadt

Die Gewalt zwischen Israelis und Palästinensern nimmt kein Ende. In zahlreichen Städten kam es zu Ausschreitungen zwischen Palästinensern und Israelis – besonders heftig in Lod, wo der Bürgermeister von einer "Kristallnacht" spricht. Die israelische Luftwaffe bombardierte Gaza-Stadt, während die Hamas hunderte Raketen abfeuerte.
Ungelöster Jahrhundertkonflikt: "Bürgerkrieg" in Lod – schwere Luftangriffe auf Gaza-StadtQuelle: AFP © MOHAMMED ABED

Im Konflikt zwischen Israel und Palästina kam es heute Nacht zu weiteren Raketenangriffen und gewaltsamen Auseinandersetzungen. Israels Luftwaffe führte nach eigenen Angaben das umfangreichste Bombardement des Gazastreifens seit dem Gaza-Krieg von 2014 durch. Palästinensische Quellen sprachen von Dutzenden von Toten in dem abgeschotteten Küstenstreifen der Palästinenser. Ein Sprecher des von der islamistischen Hamas geführten Innenministeriums teilte mit, alle Polizeigebäude im Gazastreifen seien bei israelischen Luftangriffen zerstört worden. Im Westen von Gaza-Stadt waren Dutzende laute Explosionen zu hören.

Auf israelischer Seite wurden infolge der zahlreichen Raketenangriffe von militanten Palästinensern aus dem Gazastreifen nach Angaben von Sanitätern mehrere Menschen verletzt. Bislang beklagt Israel mindestens fünf Todesopfer durch Raketenangriffe. Besonders stark beschossen wurde die Küstenmetropole Tel Aviv – dort starben nach Angaben der israelischen Behörden bislang drei Personen. In der bereits tagsüber besonders schwer beschossenen Küstenstadt Aschkelon waren nach Angaben der israelischen Polizei bereits Stunden zuvor zwei Frauen bei Raketenangriffen getötet worden. Der internationale Flughafen Ben Gurion bei Tel Aviv wurde wegen der Angriffe zeitweise für Starts und Landungen geschlossen, die Flüge wurden nach Zypern umgeleitet.

Die islamistische Hamas erklärte gestern Abend, 130 Raketen aus dem Gazastreifen auf Tel Aviv und Zentralisrael abgefeuert zu haben. Über die Nacht wurden weitere Raketen abgefeuert. Ein Sprecher der Hamas erklärte laut dpa, man werde keinen Rückzieher machen:

"Wenn Israel zuschlägt, schlägt der bewaffnete Widerstand zurück."

Die israelische Armee teilte in der Nacht zu Mittwoch mit, sie habe in den vergangenen Stunden "eine Reihe wichtiger Terrorziele und Terroraktivisten im Gazastreifen getroffen". Die Armee zerstörte in der Nacht zum Mittwoch zwei mehrstöckige Gebäude im Gazastreifen. Den Angaben zufolge hätten sich darin Büros ranghoher Hamas-Mitglieder befunden. Laut Angaben israelischer Militärs wären die Anwohner der Gebäude vor dem Angriff durch Israels Streitkräfte gewarnt worden.

Ein Augenzeuge aus Gaza berichtete laut Sputnik News:

"Die Situation hier ist fürchterlich. Wir hören Explosionen die ganze Zeit. Sie kommen entweder von den israelischen Angriffen oder von den Militanten aus dem Gazastreifen. Und während sie kämpfen, verlieren wir unser Leben und müssen die ganze Zerstörung um uns herum miterleben."

Nach Angaben des Gesundheitsministeriums in Gaza stieg die Zahl der seit Montag getöteten Palästinenser auf 35, darunter zwölf Kinder und drei Frauen. 233 Menschen seien verletzt worden. Nach Angaben der israelischen Armee wurden mindestens 20 Mitglieder der islamistischen Hamas und des militanten Islamischen Dschihads getötet, darunter hochrangige Vertreter.

Russland und USA rufen zu Deeskalation auf – Maas betont Israels "Recht auf Selbstverteidigung"

Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu sagte, die militanten Palästinenserorganisationen Hamas und Islamischer Dschihad würden einen hohen Preis für die jüngsten Angriffe auf Israel bezahlen. Er betonte, mit den Militärangriffen werde man "den Bürgern Israels die Sicherheit zurückbringen". Der israelische Generalstabschef Aviv Kochavi sagte, man sei fest entschlossen, den militanten Gruppierungen einen harten Schlag zu versetzen.

In New York zeigte sich UN-Generalsekretär António Guterres einem Sprecher zufolge sehr besorgt und "zutiefst traurig über die zunehmende Zahl von Opfern". Angesichts der zunehmend entfesselten Gewalt in Nahost soll der UN-Sicherheitsrat heute zum zweiten Mal binnen weniger Tage zu einer Dringlichkeitssitzung zusammenkommen.

Die USA riefen beide Seiten zur Zurückhaltung auf. US-Außenminister Antony Blinken äußerte sich "zutiefst besorgt" über die Raketenangriffe aus dem Küstengebiet, das von der islamistischen Hamas beherrscht wird. Er äußerte laut The Times of Israel:

"Israel hat das Recht sich selbst zu verteidigen und auf diese Raketenangriffe zu antworten. […] Aber auch die Palästinenser haben ein Recht auf Sicherheit – genauso wie die Israelis."

Russland forderte beide Seiten dazu auf, die Eskalation zu stoppen. Gestern Abend teilte das russische Außenministerium mit:

"Wir verurteilen nachdrücklich Angriffe auf Zivilisten, unabhängig von ihrer Nationalität oder Religion."

Im Kontrast dazu positionierte sich der deutsche Außenminister Heiko Maas (SPD) eindeutig auf der Seite Israels. Er verurteilte über Twitter lediglich die Raketenangriffe aus dem Gazastreifen auf Israel. Ein Raketenbeschuss "auf die israelische Zivilbevölkerung ist durch nichts zu rechtfertigen". Maas betonte:

"Israel hat in dieser Situation das Recht auf Selbstverteidigung."

Ausschreitungen in diversen Städten – "Bürgerkrieg", "Kristallnacht"

Der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern hatte sich seit Beginn des muslimischen Fastenmonats Ramadan Mitte April zugespitzt. In den vergangenen Tagen hatte es zunächst vor allem in Jerusalem heftige Zusammenstöße zwischen Palästinensern und israelischen Sicherheitskräften gegeben. Auslöser waren unter anderem Polizeiabsperrungen in der Altstadt sowie drohende Zwangsräumungen für einige palästinensische Familien im Stadtviertel Scheich Dscharrah.

In der Stadt Lod nahe Tel Aviv, in der Israelis und Palästinenser gemeinsam leben, kam es am Dienstagabend zu schweren Ausschreitungen. Nach Medienberichten setzten palästinensische Einwohner eine Synagoge und Dutzende von Autos in Brand, Fenster von Geschäften wurden eingeworfen. Laut Polizeiangaben starben bei den Unruhen in Lod gestern Nacht zwei Personen.

Der Bürgermeister von Lod Yair Revivo sprach im Fernsehen von einem "Bürgerkrieg" in der Stadt und forderte eine sofortige Ausgangssperre. Er verglich die Situation laut The Times of Israel mit der Reichspogromnacht ("Kristallnacht") 1938 im Deutschen Reich:

"Das ist die Kristallnacht in Lod."

In den sozialen Medien kursieren Bilder und Videos aus Lod, die das Ausmaß der Zerstörung zeigen. Bei einem Raketenangriff auf die Stadt kamen laut israelischen Angaben eine 35-jährige Frau und ein sieben Jahre junges Mädchen ums Leben.

Israels Regierungschef Netanjahu erklärte noch in der Nacht einen Ausnahmezustand für die Stadt Lod. Er beorderte weitere israelische Polizeitruppen aus den umliegenden Regionen in die Stadt, "um für Ruhe und Ordnung zu sorgen".

Auch in anderen Städten und Gemeinden, wo Israelis und Palästinenser gemeinsam leben – wie etwa in Akkon im Norden des Landes und in Jaffa bei Tel Aviv – kam es zu schweren Zusammenstößen. In den sozialen Medien ist zu sehen, wie Gruppen von Israelis fahrende Autos mit Palästinensern attackieren.

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(rt/dpa)

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