Von Abschreckungsstrategie zu Angriffsoperation im israelischen Hinterland: Hamas schlägt zurück
Die laufende Angriffsoperation der Hamas-Bewegung ist der heftigste Angriff auf Israel, den es aus Gaza je gegeben hat. Er folgt vor allem fast auf den Tag genau fünfzig Jahre nach dem Überraschungsangriff arabischer Staaten auf Israel zu Jom Kippur. Am Sonntag wurde das Ausmaß der Operation im strategischen israelischen Hinterland sichtbarer: Mindestens 250 Israelis, Medienberichten zufolge sogar 300, wurden getötet, mehr als 1.800 verletzt, davon 300 schwer. Unter ihnen sind Soldaten, aber auch viele Zivilisten aus den Städten und Kibbuzen, die unmittelbar um den Gazastreifen herum liegen. Hamas-Milizionäre nahmen auch zahlreiche israelische Soldaten als Geiseln und verschleppten sie in den Gazastreifen. Die Geiseln stammen wohl überwiegend aus den Kibbuzen.
Die Medien in der Region zeigten Aufnahmen umjubelter Hamas-Kämpfer, die mit Geiseln nach Gaza zurückkehren. Auf den Bildern waren auch getötete Israelis auf israelischen Straßen sowie getötete und entführte Soldaten in Israel zu sehe, die in Panik auf die Hamas-Kämpfer starrten. Den bewaffneten Palästinensern ist es gelungen, in mindestens acht Orte einzudringen, darunter zwei Militärbasen.
Nach den Angriffen aus dem palästinensischen Gazastreifen auf Israel hat die israelische Armee am Samstag den Kriegszustand erklärt. Das Militär erwiderte daraufhin die Überraschungsangriffe der militanten Palästinenser mit hunderten Raketen, wobei Israel seit gestern wahllos Wohngebäude im Gazastreifen bombardiert. In Gaza regnet es geradezu Bomben. Das Gesundheitsministerium in Gaza musste am Sonntag die Zahl der Todesopfer noch aktualisieren, zuletzt hatte sie dort bei 256 gelegen. Unter den Opfern im Gazastreifen sind nach Angaben des Gesundheitsministeriums auch 20 Kinder.
Seit Vertreter der radikalen Siedlerbewegung in der rechtsreligiösen Regierung von Benjamin Netanjahu sitzen, haben ihre Aktionen immer mehr eine neue Qualität gewonnen. Die Überfalle radikaler Siedler auf palästinensische Ortschaften im Westjordanland hatten in letzter Zeit zugenommen, wobei Tel Aviv weiterhin den illegalen Siedlungsbau vorantrieb. Die Siedler griffen mehrfach auch zur Selbstjustiz – wie der Plünderung der palästinensische Stadt Huwara im Februar. Israelische Sicherheitskräfte hatten zudem mehrfach die Al-Aqsa-Moschee angegriffen. Die Provokationen gegen Palästinenser gipfelten dann in der jüngsten UN-Vollversammlung, wo Netanjahu vor den Vereinten Nationen eine Karte des "Neuen Nahen Ostens" ohne Palästina zeigte.
Allerdings ist unter anderem anzumerken, dass Iran hinter der Hamas-Offensive steckt. Teheran zielt darauf ab, den möglichen saudisch-israelischen Deal zur Normalisierung der Beziehungen zum Scheitern zu bringen.
Während die Hamas bei der jüngsten Operation gleichzeitig hunderte Kurzstreckenraketen auf Israel abfeuerte, fuhren hunderte Kämpfer erstmals mit Geländewagen und Motorrädern in die israelische Stadt Sderot und die umliegenden Dörfer hinein. Die Hamas ist offenbar von einer Abschreckungsstrategie durch Raketenangriffe von Gaza aus zu einer Infiltrationsoperation bis tief nach Israel hinein übergegangen. Die Hamas will den Status quo der eingeschlossenen Enklave in Gaza verändern, den sie durch die Raketenangriffe auf Israel 2021, 2014, 2012 und 2008 nicht entscheidend hatte verändern können.
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