Nahost

"Wir sind völlig schockiert" - Was die Menschen in Gaza über Israels Vergeltungsmaßnahmen sagen

Ein Anwohner sagt, dass durch die israelischen Angriffe keine Straße ohne Schäden blieb. Beide Seiten müssten tief durchatmen und sich zu Gesprächen zusammensetzen, Gefangene austauschen und eine Einigung erzielen. Doch da die Kämpfe weitergehen und Israel offiziell den Krieg erklärt hat, scheint diese Möglichkeit derzeit nicht in Sicht zu sein.
"Wir sind völlig schockiert" -  Was die Menschen in Gaza über Israels Vergeltungsmaßnahmen sagenQuelle: Gettyimages.ru © Abed Rahim Khatib / Getty Images

Von Elizabeth Blade

Seit Beginn seiner Operation "Eisernes Schwert" am Sonnabend hat Israel mehr als 400 Einrichtungen im Gazastreifen zerstört oder beschädigt. Mehr als 300 Palästinenser wurden bereits getötet, viele von ihnen waren Zivilisten. Mindestens 1.990 Menschen wurden verletzt.

Sanaa Kamal, eine Bewohnerin des Gazastreifens, die auch als Lokalreporterin tätig ist, hat eine Reihe von Konfrontationen zwischen Israel und den palästinensischen militärischen Gruppen verfolgt und darüber berichtet. Sie berichtet, noch nie eine größere Zerstörung gesehen zu haben wie diese, die Israel am Sonntag nach dem Eindringen von Dutzenden von Hamas-Kämpfern in die südlichen Gemeinden Israels angerichtet hat.

Offiziellen Angaben zufolge wurden bisher mehr als 500 Menschen von militanten Palästinensern ermordet. Mehr als 1.900 weitere wurden verwundet und 100 werden Berichten zufolge von der Hamas, einer von Israel als terroristisch eingestuften Gruppe, im Gazastreifen festgehalten.

"Wir sind völlig schockiert über den Schaden, den Israel angerichtet hat. Es gibt buchstäblich keine Straße in Gaza, die unversehrt geblieben ist. Jede Straße und jede Ecke ist zerstört oder beschädigt. Einige von ihnen waren gerade erst wieder aufgebaut worden, und jetzt sind sie wieder zerstört", sagte Kamal.

Seit Sonnabend haben Israels Streitkräfte (IDF) mehr als 400 Ziele angegriffen, die angeblich mit der Hamas und dem palästinensischen Islamischen Dschihad "in Verbindung stehen" sollen. Das ist an sich nicht ungewöhnlich. Diesmal haben die Jets jedoch auch die Häuser von hochrangigen Hamas-Kommandeuren und politischen Führern ins Visier genommen, um dieser Gruppe die Botschaft zu übermitteln, dass ihr Aufenthaltsort bekannt sei. Parallel dazu haben die IDF auch die Infrastruktur der Exklave bombardiert, darunter Moscheen, Wohngebäude, Straßen, Banken und Krankenhäuser.

Kamal hat nicht geschlafen und sagt, dass sie die schweren Bombardierungen daran gehindert haben abzuschalten. Sie gesteht, ihre Familie und alle Menschen in ihrer Umgebung haben Angst, dass sie selbst das nächste Opfer in der langen Reihe der getöteten Palästinenser sein könnten. Sie ist bei weitem nicht die einzige Anwohnerin, die über den Anblick besorgt ist, der sich ihr offenbart. Maram Faraj sagt, dass auch sie nicht schlafen konnte und von den Gedanken an ihren verschwundenen Journalistenfreund gequält wurde.

"Mein Freund ging zusammen mit Hamas-Kämpfern in eine der israelischen Siedlungen, um besser berichten zu können. Seitdem habe ich nichts mehr von ihm gehört – und wir vermuten, dass er zusammen mit anderen Kämpfern von den Israelis erschossen wurde", sagte Faraj gegenüber RT.

Das palästinensische Gesundheitsministerium hat bereits erklärt, dass mehr als 300 Palästinenser bei israelischen Angriffen auf den Gazastreifen getötet wurden. Mehr als 1.990 wurden verwundet. Viele davon, meldet die Hamas, waren Zivilisten, die unter Trümmern begraben wurden. 

Wer ist daran schuld?

Mit Blick auf die Zerstörung um sie herum zeigt Kamal mit dem Finger auf Israel und dessen "sture" Führung, die sich weigert, den Palästinensern irgendwelche Zugeständnisse zu machen, und die sich so einer Lösung des jahrzehntelangen Konflikts verweigert. Aber sie kritisiert auch die Hamas dafür, dass sie die palästinensische Bevölkerung einer weiteren Tortur aussetzt.

Seit dem Jahr 2007, als die Hamas die Kontrolle über den Gazastreifen übernahm, war die islamische Gruppe in eine Reihe von bewaffneten Auseinandersetzungen mit Israel verwickelt, und alle diese Auseinandersetzungen haben irreparable Schäden verursacht. Die traumatischste dieser Konfrontationen – die Operation "Protective Edge" – fand 2014 statt und forderte mehr als 2.000 Todesopfer unter den Palästinensern. Kamal befürchtet jedoch, dass sich die derzeitige Situation noch weiter verschlechtern wird und die Zahl der Opfer noch steigen könnte.

"Wenn sich die beiden Seiten nicht bald zu Verhandlungen zusammensetzen, wird es auf beiden Seiten mehr Opfer unter der Zivilbevölkerung geben. Deshalb brauchen wir arabische und europäische Unterhändler, die maximalen Druck ausüben, um die Feindseligkeiten zu beenden."

Am Sonnabend noch machte sich eine ägyptische Delegation von Kairo aus auf den Weg nach Israel, um schnellstmöglich Verhandlungen einzuleiten. Andere Vermittler, darunter Katar und eine Reihe europäischer Staaten, sind ebenfalls beteiligt. Bislang haben diese Bemühungen jedoch keine Früchte getragen, da beide Seiten schwören, ihrem Feind Schaden zuzufügen.

In Israel hat Premierminister Benjamin Netanjahu versprochen, so lange zu kämpfen, bis alle seine Ziele erreicht sind. Israelische Experten vermuten, dass dazu auch eine Bodeninvasion gehören könnte, kurz nachdem alle Ansammlungen von Kämpfern in den südlichen Gemeinden geräumt sind. Auch die Hamas zeigt keine Anzeichen für ein Einlenken und erklärt, der Krieg gegen die "Besatzung" habe gerade erst begonnen.

"Hier im Gazastreifen höre ich Experten sagen, dass die Hamas den Angriff geplant hat, um das Normalisierungsabkommen zwischen Israel und Saudi-Arabien zu unterminieren", sagte Kamal. 

"Ich weiß nicht, ob das wahr ist. Aber ich unterstütze diese Normalisierung, und mehr noch, ich unterstütze die Normalisierung der palästinensischen Beziehungen zu Israel, denn schließlich teilen wir uns alle dieses Gebiet und müssen miteinander auskommen", resümiert sie.

Genau wie Kamal glaubt auch Faraj an eine Koexistenz. Sie sagt, beide Seiten müssten tief durchatmen und sich zu Gesprächen zusammensetzen, Gefangene austauschen und eine Einigung erzielen. Doch da die Kämpfe weitergehen und Israel offiziell den Krieg erklärt hat und somit Tausende von Truppen, Jets und militärisches Gerät an die Grenze zum Gazastreifen schickt, scheint diese Möglichkeit derzeit  nicht in Sicht zu sein.

Übersetzt aus dem Englischen

Elizabeth Blade ist RT-Korrespondentin für den Nahen Osten.

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