Nahost

Putins Besuch im Nahen Osten: Weshalb diese Reise besonders wichtig war

Der russische Präsident besuchte die Vereinigten Arabischen Emirate und flog anschließend nach Saudi-Arabien zu einem weiteren hochrangigen Treffen. Allerdings war der Grund seiner Reise nicht, inmitten des russischen Winters etwas Sonne zu tanken.
Putins Besuch im Nahen Osten: Weshalb diese Reise besonders wichtig warQuelle: AFP © Alexey Nikolsky/POOL/AFP

Von Fjodor Lukjanow

Die Reise des russischen Präsidenten Wladimir Putin nach Saudi-Arabien und in die Vereinigten Arabischen Emirate, unmittelbar gefolgt vom einem Besuch seines iranischen Amtskollegen in Moskau, erinnerte uns an die Bedeutung, die der Persische Golf in internationalen Angelegenheiten und insbesondere in der russischen Außenpolitik erlangt hat. Es ist nicht so, dass die Region zuvor von Moskau ignoriert worden war, es gab schon immer Gründe, sich mit den Golfstaaten auseinanderzusetzen. Dies war jedoch hauptsächlich auf Fragen der natürlichen Ressourcen und des geopolitischen Ringens um deren Kontrolle zurückzuführen.

Die Struktur des internationalen geopolitischen Systems hat sich stark verändert. Erstens spielen die sogenannten "Mittelmächte" – und alle oben genannten Länder gehören in diese Kategorie – eine viel wichtigere Rolle als noch vor zehn oder fünfzehn Jahren, und ihr Einfluss nimmt zulasten der Großmächte kontinuierlich zu. Zweitens wird die regionale Politik zunehmend von diesen regionalen Kräften vorangetrieben, auch wenn es sich um eine Region handelt, in der die Interessen großer globaler Mächte kollidieren.

Die Golfstaaten haben zahlreiche gemeinsame Probleme, und fast alle davon sind für Russland von vorrangiger Bedeutung. Das Management der Ölmärkte gehört selbstverständlich dazu. Die OPEC+ hat sich als überraschend widerstandsfähig gegenüber globalen militärischen und politischen Unruhen erwiesen. Die Spannungen innerhalb des Verbunds nehmen zwar zu, doch bisher konnte stets ein Kompromiss gefunden werden. Die Bedeutung, die dies für Russland hat, sowohl wirtschaftlich – bezüglich der finanziellen Erträge – als auch politisch – bezüglich des Einflusses auf die globalen Prozesse –, kann kaum hoch genug eingeschätzt werden.

Bei der Frage der finanziellen Erträge geht es nicht nur um die Regulierung der Ölpreise, sondern auch um die Zusammenarbeit mit den reichen arabischen Monarchien. Diese beobachten mit großem Interesse die Chancen, die der von der westlichen Präsenz befreite russische Markt ihnen bietet, und sie prüfen Möglichkeiten, die von den USA und der EU auferlegten Beschränkungen zu umgehen. Natürlich möchte niemand den Strafmaßnahmen Washingtons ausgesetzt sein, da die USA über zahlreiche Instrumente verfügen, um die Interessen ihrer langjährigen arabischen Partner zu untergraben. Daher ist Vorsicht und äußerste Umsicht das Gebot der Stunde.

Doch vor dem Hintergrund des globalen Wandels hin zur Multipolarität begannen Staaten, die sich bisher strikt an die Disziplin der Unipolarität gehalten haben, deutlich unabhängiger zu agieren. Die angespannten Beziehungen zwischen der saudischen Führung und der Regierung von US-Präsident Joe Biden sind nur ein Symptom für diese Entwicklung. Und es sind nicht nur die tragische Geschichte des Journalisten Jamal Khashoggi oder die Rhetorik über Menschenrechte und Demokratie, die dazu geführt haben. Riad hat die globalen Veränderungen klar erkannt und seine geopolitischen Grenzen dramatisch verschoben. Diese sind zwar nicht ganz aufgegeben worden, aber sie haben sich zweifellos ausgeweitet. Und die USA müssen dies mit einiger Zurückhaltung akzeptieren lernen. Für Länder, die sich zuvor in einer untergeordneten Position befanden, besteht eine große Chance, ihre geopolitische Stellung zu ändern und sich von ihrem langjährigen Schutzpatron USA zu lösen.

Das verbindende Thema zwischen Russland und den Golfstaaten ist die allgemeine Lage im Nahen Osten. Moskaus ernsthafte Rückkehr in die Region hatte mit der militärischen Operation in Syrien im Jahr 2015 begonnen, als die russische Intervention den Lauf der Dinge in diesem Land verändert hatte. Damals hatten die in der Region führenden Länder, angeführt von Saudi-Arabien, Russland zum ersten Mal als wirklich bedeutenden Akteur erkannt. Und erst danach begann eine echte Zusammenarbeit.

Heute erlebt die Region mit dem Konflikt im Gazastreifen eine weitere Katastrophe, deren Ausgang möglicherweise widersprüchlich sein wird. Einerseits zeigt dieser Konflikt die Sackgasse auf, in die die Palästinenserfrage uns alle geführt hat. Andererseits kann es sein, dass es überhaupt keine grundlegenden Veränderungen geben wird. Einig sind sich alle über die Notwendigkeit einer neuen regionalen Ordnung. Jeder Akteur in dieser Region hat eigene Ansprüche, aber niemand hat ein ausgereiftes Konzept. In diesem Sinne ist die Beteiligung aller Akteure unabdingbar – nicht nur der direkt betroffenen, sondern auch derjenigen, die Einfluss nehmen können.

Natürlich hat der Konflikt in der Ukraine für Russland Vorrang. Merkwürdigerweise zeigten sich die Golfstaaten als recht eng damit verbunden. Die militärische und technische Zusammenarbeit mit Iran, die stille Diplomatie Saudi-Arabiens, der Vereinigten Arabischen Emirate und Katars hinter verschlossenen Türen zur Lösung spezifischer Probleme sowie das allgemeine Streben nach Unabhängigkeit dieser Subregion spielen derzeit eine größere Rolle, als sich vor zwei Jahren irgendjemand hätte vorstellen können.

Die russische Politik und Diplomatie werden neu ausgerichtet. Nachdem der Westen aus dem Fokus der russischen Außenpolitik verschwunden ist – in diese Richtung gibt es nichts weiter als Konfrontation –, bilden sich neue Beziehungen, manchmal auch ganz spontan. Im Falle der Golfregion lohnt es sich jedoch, diese Beziehungen als eine Säule zu betrachten. Und das nicht nur, weil die Region wohlhabend und gut ausgestattet ist.

Russlands internationale Aktivitäten müssen erst noch ein neues Gleichgewicht finden. Es ist klar, dass China allein aufgrund seiner Größe und seiner globalen Rolle herausragt. Aber gerade deshalb ist jedes wirksame Mittel zu einem Ausgleich besonders wichtig. Es gibt andere Mächte in Ost- und Südasien, und es gibt ein gewisses Maß an Rivalität zwischen diesen Mächten und Peking. Allerdings bilden die wohlhabenden und einflussreichen Staaten Westasiens, insbesondere die Golfmonarchien, ein Gegengewicht ohne den Ballast einer Konfrontation.

Iran, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate haben untereinander ein schwieriges Verhältnis. Aber alle drei werden im nächsten Monat den BRICS+ beitreten – und das ist eine bedeutende Entwicklung. Eine vielversprechende Art internationaler Organisation ist kein Klub von Gleichgesinnten, sondern ein Zusammenschluss von Interessen, mit denen wichtige Prozesse auf unterschiedliche Weise beeinflusst werden können und in dem man sich über die Bedeutung dieses Einflusses einig wird. Das ist nicht einfach, aber es ist effektiv.

Aus dem Englischen.

Fjodor Lukjanow ist Chefredakteur der Zeitschrift "Russia in Global Affairs", Vorsitzender des Präsidiums des Rates für Außen- und Verteidigungspolitik und Forschungsdirektor am Internationalen Diskussionsklub Waldai.

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