Europa

Die Kosovo-Frage: Der Druck auf Serbien steigt, doch Belgrad zögert mit der Anerkennung

Seit Jahren wird über die EU-Aufnahme verhandelt, doch zuletzt stockten die Gespräche mit den Ländern des Westbalkans. EU-Parlamentspräsident Sassoli warb jüngst für die Erweiterung der Union. In Serbien jedoch sorgten die Aussagen eines Politikers für Schlagzeilen.
Die Kosovo-Frage: Der Druck auf Serbien steigt, doch Belgrad zögert mit der AnerkennungQuelle: Reuters © Virginia Mayo

Mit Serbien und Montenegro führt Brüssel bereits Beitrittsverhandlungen, Nordmazedonien und Albanien sind offizielle Bewerberländer. Bosnien-Herzegowina und das Kosovo gelten bislang als potenzielle Kandidaten für Verhandlungen. Die vor allem wirtschaftlich schwachen, aber auch politisch instabilen Länder an der südöstlichen Schwelle der EU wollen Teil der Union werden – doch eine Aufnahme ist nicht in Sicht.

Seitens der EU-Staaten wird zwar stets die "uneingeschränkte Unterstützung für die europäische Perspektive" der Länder des westlichen Balkans zum Ausdruck gebracht, doch ein konkretes Zeitfenster für die EU-Erweiterung wird vermieden. Stattdessen wird auf die Durchführung noch ausstehender, aber notwendiger Reformen etwa im Bereich der Justiz verwiesen und den Beitrittskandidaten fortwährend vage Hoffnungen auf eine Aufnahme in die Gemeinschaft gemacht.

Die sogenannte Migrationskrise, der Brexit und nun zuletzt die COVID-19-Pandemie haben das Thema potenziell neuer Mitglieder in der Union in den vergangenen Jahren weit in den Hintergrund gerückt. Zudem stocken die Gespräche, weshalb sich in einigen beitrittswilligen Ländern auf dem Balkan inzwischen Überdruss breitmacht. Unter anderem, weil auch mehrere EU-Staaten aus innenpolitischen Gründen eine weitere Annäherung der Beitrittskandidaten an die EU blockieren. Der Vorwurf der Hinhaltetaktik Brüssels wird immer öfter in den Raum gestellt. Zeitgleich werden in einigen Staaten die politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zu Ländern wie China, Russland oder der Türkei immer weiter ausgebaut.

Jüngst warb EU-Parlamentspräsident David Sassoli für den EU-Beitritt der südosteuropäischen Staaten und bezeichnete eine Erweiterung als "positives Projekt für Frieden und Wohlstand". Sie könne sowohl für die Region als auch für Europa als Ganzes "immense Vorteile bringen, da sie dazu beiträgt, einen stabilen, wohlhabenden und friedlichen Kontinent zu sichern", sagte Sassoli der Funke Mediengruppe.

Der 65-jährige Politiker verwies zugleich nochmals darauf, dass in jedem einzelnen dieser Länder "noch Reformen" abgeschlossen werden müssten. Doch laut Sassoli müsse aber auch die EU ihre Versprechen halten und Fortschritte anerkennen.

Einer der sogenannten "Fortschritte" dürfte beispielsweise im Falle von Serbien die Lösung des jahrzehntelangen Streits mit dem Kosovo sein. Belgrad betrachtet seine abtrünnige Provinz, die sich 2008 für unabhängig erklärt hatte, weiterhin als sein Staatsgebiet. Doch mehrmals wurde Serbien signalisiert, dass für eine Aufnahme in die EU "schmerzhafte Entscheidungen", wie es einst der amtierende serbische Staatschef Aleksandar Vučić formuliert hat, getroffen werden müssten. Mit der Wahl von Joe Biden zum US-Präsidenten steigt seit Monaten der Druck auf Belgrad, sich intensiver mit dem Thema zu befassen. EU-kritische Analysten in Serbien sprechen gar von der Rückkehr des sogenannten Esel-Karotte-Prinzips.

Doch Belgrads Einlenken ist zumindest in den nächsten Monaten offenbar nicht zu erwarten. Beim ersten Treffen zwischen dem neuen Regierungschef Kosovos, Albin Kurti, und dem serbischen Präsidenten gestern in Brüssel wurde dies noch einmal deutlich. Brüssel versucht, die Gespräche zwischen Pristina und Belgrad wieder in Gang zu bringen, doch die Positionen liegen sehr weit auseinander. Kurti ist nur dann bereit, Serbien Zugeständnisse wie etwa mehr Autonomie für Gemeinden im Kosovo, in denen eine mehrheitlich serbische Bevölkerung lebt, zu machen, wenn Belgrad zuvor die Unabhängigkeit der abtrünnigen Provinz ausdrücklich anerkennt.

Doch das dürfte Vučić sicherlich nicht machen, zumal Anfang nächsten Jahres im Land Wahlen stattfinden sollen. Ende Juli ist ein weiteres Treffen zwischen den zwei Politikern geplant.

Auch der US-amerikanische Politikprofessor von der Johns-Hopkins-Universität, Daniel Serwer, nannte in einem Gespräch mit dem US-amerikanischen Auslandssender Voice of America die geplanten Präsidentschaftswahlen in Serbien als Grund für Vučićs Zögern. Doch er betonte auch, dass er davon ausgehe, dass das Kosovo nie wieder von Belgrad regiert werde.

Und inmitten der neu aufgeflammten Debatte über die Kosovo-Frage und der weiteren EU-Annäherung sorgten jüngst die Aussagen eines Politikers für Schlagzeilen. Čedomir Jovanović, Vorsitzender der Liberaldemokratischen Partei (LDP), die sich bereits seit Jahren für die Anerkennung des Kosovo als unabhängigen Staat einsetzt und den schnellen EU- und NATO-Beitritt Serbiens fordert, erzählte in einer Fernsehsendung von den Details eines Gesprächs aus dem Jahr 2003 zwischen dem damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) und dem damaligen serbischen Premierminister Zoran Đinđić.

Laut Jovanović soll Schröder dem serbischen Ministerpräsidenten, der kurze Zeit nach diesem Treffen in Belgrad ermordet wurde, erklärt haben, dass Serbien nie Teil der Europäischen Union werde. In einer Sendung des öffentlich-rechtlichen Fernsehsenders RTS anlässlich des 20. Jahrestages der Verhaftung des ehemaligen jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milošević und seiner späteren Auslieferung an das Haager Tribunal erklärte Jovanović, dass Belgrad weiterhin um die Lösung der gleichen Probleme wie damals ringe, allen voran die Anerkennung der abtrünnigen Provinz.

Belgrad müsse sich demnach "seinen politischen Fehlern aus der Vergangenheit" stellen, das Kosovo anerkennen und durch die Lösung der sogenannten Kosovo-Frage den künftigen Generationen zeigen, dass man im Stande sei, die Kette der "nationalen Katastrophen zu beenden" und Frieden zu schaffen, so Jovanović.

Nach Aussagen des 50-Jährigen habe auch nach dem politischen Wandel in Serbien und dem Sturz von Milošević 2000 stets der Druck auf Belgrad bestanden, die Kosovo-Frage zu beenden. Und dies sei auch im Interesse Serbiens.

Schröder habe Đinđić demnach 2003 – angeblich verärgert – gefragt, warum denn der serbische Premier auf eine Lösung in diesem Konflikt bestehe. Zu dem Zeitpunkt hatte sich das Kosovo noch nicht für unabhängig erklärt. Zeitgleich sei die europäische Politik damals mit dem Thema Irak beschäftigt gewesen. Demnach habe Đinđić darauf verwiesen, dass man wissen wolle, wo die Grenzen des Landes seien, weil man Teil Europas sein möchte. Schröder soll darauf verwiesen haben, dass Serbien nie Teil der EU sein werde. Die Grenzen der EU auf dem Balkan seien jene der k. u. k. Doppelmonarchie sowie jene des Teils im Osten zu Russland. Jovanović betonte jedoch, dass er als Politiker dies nicht hinnehmen wolle und weiterhin plane, für den Beitritt zu kämpfen.

Eine Bitte um Stellungnahme zu den Aussagen ließ Altkanzler Schröder unbeantwortet.

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