Medienbericht: Langes Strafverfahren gegen Österreichs Ex-Kanzler Kurz möglich
Tilo Gräser
Der neue österreichische Bundeskanzler Alexander Schallenberg (ÖVP) verteidigt seine Aussagen, dass die strafrechtlichen Vorwürfe gegen seinen Vorgänger Sebastian Kurz falsch seien. Er wolle sich dafür nicht entschuldigen, gab die Zeitung Der Standard am Mittwoch Äußerungen Schallenbergs aus mehreren Interviews wieder. Die Vorwürfe gegen Kurz würden sich in Luft auflösen, so Schallenberg bei seiner Antrittsrede am Dienstag. Weiter erklärte er gegenüber dem Sender ORF, dass er den Kurs seines Vorgängers fortsetzen wolle, der über eine Affäre um mit dem Geld der Steuerzahler finanzierte ÖVP-Inserate stürzte. Basis für Schallenbergs Arbeit bleibe in der Migrations- und Arbeitsmarkt- sowie auch in der Corona-Politik das bestehende Regierungsprogramm.
Der 35-jährige Kurz war am 9. Oktober "aus Verantwortung für das Land" als Kanzler zurückgetreten. Anlass waren Berichten zufolge Ermittlungen der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) gegen ihn in der sogenannten "Inseratenaffäre". Dadurch geriet er zunehmend unter Druck.
Die Grünen als Koalitionspartner der ÖVP hatten sich bereits gegen ihn gewandt. Der von ihnen gestellte Vizekanzler Werner Kogler hatte Kurz zuletzt als "nicht amtsfähig" bezeichnet und ihm ein Ultimatum gestellt: Rücktritt oder Misstrauensvotum aller anderen Parteien bei einer Sondersitzung des Nationalrats, des österreichischen Parlaments. Dem kam der Kanzler durch seinen Rücktritt zuvor, der künftig die Funktion als "Klubobmann" (Fraktionschef) der ÖVP im Nationalrat übernimmt.
Folgen des "Ibiza-Videos"
Kurz geriet laut Wiener Zeitung durch Chats seines Vertrauten Thomas Schmid auf Online-Plattformen ins Visier der Ermittler. Die waren eigentlich auf der Suche nach Spuren zum Skandal um das sogenannte Ibiza-Video des ehemaligen FPÖ-Chefs und Vizekanzlers Heinz-Christian Strache. Dabei rückte Schmid zunehmend in den Blickpunkt, so die Zeitung.
"Ich bin einer deiner Prätorianer, der keine Probleme macht, sondern löst", habe dieser an Kurz geschrieben. Die Chats hätten als "Zufallsfunde" zu immer neuen Ermittlungssträngen geführt, bis hin zu Drogenermittlungen gegen Schmid. Für den nunmehrigen Ex-Kanzler wurde dann bedrohlich, dass einige aus dessen Vertrautenkreis anscheinend ab dem Jahr 2016 Meinungsumfragen zugunsten der Regierung illegal mit Steuergeldern finanzierten.
Dafür wurde laut Wiener Zeitung Gefälligkeitsberichterstattung der Fellner-Gruppe mit Inseraten gekauft. Wolfgang Fellner ist Herausgeber der Tageszeitung Österreich und Vorsitzender des dazugehörigen Medienkonzerns (Oe24.at, Fernsehkanal Oe24.tv und Radio Austria).
Kurz war von 2014 bis 2017 österreichischer Außenminister und wurde dann mit 31 Jahren Bundeskanzler, nachdem er zuvor die konservative Österreichische Volkspartei (ÖVP) "radikal umbaute", wie es in Berichten hieß. Nach der Neuwahl im Jahr 2017 kam es erst zu einer Koalition mit der FPÖ, die nach dem "Ibiza-Video" zerbrach. Dem folgte im Januar 2020 eine "türkis-grüne" Koalition der ÖVP mit den österreichischen Grünen.
Ermittlungen wegen Untreue und Bestechlichkeit
Ermittelt wird gegen den Ex-Kanzler nun wegen Untreue und Bestechlichkeit, wie die Wiener Zeitung am Dienstag schrieb. Demnach sei Kurz ein sogenannter Bestimmungstäter. Im österreichischen Recht beschreibt dies die Anstiftung zu einer Straftat. "Laut WKStA hat Kurz den damaligen Generalsekretär im Finanzressort Thomas Schmid angestiftet, für ihn geschönte Umfragen mit Steuergeldern zu kaufen", so die Zeitung. "Im Rahmen eines Deals mit der Fellner-Mediengruppe sollen diese in der Zeitung Österreich veröffentlicht worden sein. Im Gegenzug dafür und eine allgemein wohlwollende Berichterstattung gegenüber Kurz sollen Inserate im Wert von 800.000 Euro vom Finanzressort in der Zeitung geschaltet worden sein."
Kurz dementiert die Vorwürfe gegen ihn. Der Strafrechtler Klaus Schwaighofer von der Universität Innsbruck rechnet laut Wiener Zeitung mit einer längeren Verfahrensdauer. Eine schnelle strafrechtliche Klärung sei nicht zu erwarten.
"Die Ermittlungen werden noch länger über dem ÖVP-Chef schweben. Frühestens im Laufe des Jahres 2022 werde klar sein, ob Kurz in der Inseratenaffäre angeklagt wird oder die Ermittlungen eingestellt werden, erklärten Strafverteidiger gegenüber der Nachrichtenagentur APA."
Schwaighofer erklärte weiter, dass Kurz frühestens sechs Monate nach Ermittlungsbeginn einen Antrag auf Einstellung des Verfahrens stellen könne. Ein solcher Antrag habe aber "nur ganz selten Erfolg", wird der Strafrechtler zitiert. Damit würde das Verfahren aufgrund der verschiedenen notwendigen Schritte eher verzögert.
Erste Verhaftung und Absetzbewegung
"Wirklich beschleunigen kann man ein Ermittlungsverfahren nur, wenn man ein Geständnis ablegt. Allenfalls, wenn man sich kooperativ zeigt und nicht gegen jede Maßnahme alle Rechtsmittel ausschöpft", erklärte Schwaighofer der Wiener Zeitung. Doch das stehe nicht in Aussicht, da Kurz alle Vorwürfe abstreitet.
Meldungen zufolge wurde im Zuge der Ermittlungen bereits im Jahr 2016 eine an den Vorgängen mutmaßlich beteiligte Meinungsforscherin wegen "Verdunklungsgefahr" verhaftet. Die Fellner-Brüder bestritten hingegen alle Vorwürfe. Strafrechtler Schwaighofer rechnet nicht mit einer Kronzeugenregelung, bei der ein Beschuldigter sein Wissen offenbart und so die Ermittler unterstützt.
Der Jurist sagte gegenüber der Zeitung, dass die Vorwürfe der Korruption ebenso untersucht werden wie die Frage, ob tatsächlich Umfragen für Kurz manipuliert wurden. Die Details des Vorgangs müssten zunächst geprüft werden, um zu klären, ob der Vorwurf der Untreue gerechtfertigt ist. Dazu gehört laut Schwaighofer ebenso die Frage, ob die Inserate zu einem zu hohen Preis bezahlt wurden und ob das Finanzministerium dazu berechtigt war.
Beobachter wie der Wiener Politikwissenschaftler Heinz Gärtner sehen die politische Karriere von Kurz noch nicht am Ende. Dagegen berichtet die Wiener Zeitung am Donnerstag von Absetzbewegungen innerhalb der ÖVP gegenüber dem Ex-Kanzler:
"Die alte, schwarze Volkspartei, zumal in den Ländern, hat also auch auf der Vorderbühne mit der Abkapselung von Kurz und seinem engsten Umfeld begonnen."
Ein weiteres Festhalten am jungen Altkanzler könnte sich negativ auf den Neustart der ÖVP auswirken, analysiert die Zeitung. "Dass Kurz als nächster Spitzenkandidat in eine Neuwahl geht, halte ich für ausgeschlossen", wird ein ÖVP-Mitglied zitiert. Die "Beurlaubung" des bisherigen Kurz-Pressesprechers Johannes Frischmann und des Medienbeauftragten Gerald Fleischmann sind laut der Zeitung erste Schritte in Richtung eines "Neustarts" der Partei.
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