Willkommen in Russlands Familie – Aufbauprogramm für befreite Gebiete der Südukraine angekündigt
In den ersten Wochen nach ihrer Übernahme durch russische Truppen herrschte in vielen Städten des ukrainischen Südens noch eine gespannte Atmosphäre. Proukrainische Aktivisten zogen teils auf die Straßen, um gegen russische "Besatzer" zu demonstrieren und viele Leute wagten es noch nicht, russische humanitäre Hilfe anzunehmen. Zwei Lokalpolitiker aus Cherson, die mit den Russen kooperierten, wurden von mutmaßlichen ukrainischen Diversanten hinterrücks ermordet.
Doch dann kippte die Stimmung – und je entschlossener die neuen militärisch-zivilen Verwaltungen Schritte zur Integration mit Russland verkündeten, desto offener sprachen die Leute auch auf den Straßen der südukrainischen Städte aus, was ihnen die letzten Jahre nach dem Maidan-Putsch auf dem Herzen lastete – sie hätten Angst vor ukrainischen Nationalisten und wollen nicht, dass die Russen wieder gehen. So berichteten es zumindest Journalisten, die diese Gebiete im April und Mai besuchten.
Und dann überschlugen sich die Nachrichten, als provisorische Gouverneure und Bürgermeister in den Gebieten Cherson und Saporoschje immer mehr Signale sandten, dass sie die Zukunft ihrer Region nicht einmal als eigenständische "Volksrepubliken" – also als separatistische Protostaaten nach dem Muster der Donbass-Republiken – sehen, sondern als integralen Teil Russlands.
Dass Moskau die Zukunft der Südukraine genauso sieht, wurde spätestens diese Woche klar, als ein Stellvertretender Ministerpräsident der Russischen Föderation, Marat Сhusnullin, der Gebietshauptstadt Cherson und Melitopol im Gebiet Saporoschje einen Besuch abstattete:
"Ich denke, die Perspektive der Region liegt darin, in unserer einträchtigen russischen Familie zu arbeiten. Deswegen bin ich hierhergekommen, um maximale Hilfe in der Integration zu leisten", sagte er am Mittwoch bei einem Pressetermin in Melitopol.
Damit machte er fast wortgleich die Versprechung, die er am Tag zuvor auch in Cherson tätigte. Сhusnullin betonte, dass Melitopol nicht in die Ukraine zurückkehren werde. Ihr künftiges Schicksal werde vielmehr eng mit der Russischen Föderation verknüpft sein. Der Politiker teilte darüber hinaus mit, dass alle Straßen, die die befreiten Gebiete der Ukraine mit Russland verbinden, repariert werden sollen:
"Wir werden alle Straßen reparieren, die nach Russland führen. Sie werden in gutem Zustand sein. Russland hat ein umfangreiches Programm zur Instandsetzung von Straßen. Wir werden auch im Rahmen dieses Programms arbeiten und die Straßen auf Vordermann bringen."
Der russische Vizepremier sagte auch, dass es ihm darum gehe, dass in der Region die Arbeitsplätze gesichert und neue geschaffen werden. So würden die Bauunternehmen aus Melitopol am Wiederaufbau des zerstörten Mariupol in der Donezker Volksrepublik teilnehmen. Auch Russland würde von der Region profitieren, so könne das Gebiet bei der Versorgung Russlands mit Baumaterialien helfen, da diese im Land fehlten, meinte der Regierungsbeamte.
Сhusnullin kündigte auch umfassende russische Investitionen für Infrastrukturprojekte, für die Industrie, für Lebensmittelverarbeitung und Saatprogramme an und sagte, dass Russland daran arbeite, dass die Absatzmärkte für landwirtschaftliche Produkte dieser fruchtbaren Region gesichert seien. Gleichzeitig teilten die örtlichen Beamten in Melitopol mit, dass die erste russische Bank bereits ihre Filialen öffnete und der Rubel die ukrainische Griwna als Handelswährung bald ersetzen werde.
Nach dem Treffen mit dem russischen Regierungsvertreter hat schließlich das Oberhaupt der militärisch-zivilen Verwaltung des Gebiets Cherson Wladimir Saldo am Donnerstag erklärt, das diese ehemals ukrainische Region zu einem Subjekt der Russischen Föderation transformiert werden solle. Zuvor hat er angekündigt, eine Volkszählung einleiten zu wollen und lud alle Landsleute, die in ukrainische Gebiete geflüchtet waren, zur Rückkehr ein. Saldo erklärte weiterhin, dass der neue Haushalt der Region bereits bewilligt und in Rubel berechnet sei.
Solche Nachrichten ließen erwartungsgemäß in Kiew die Alarmglocken schrillen. In seiner Videoansprache vom Mittwochabend machte der ukrainische Präsident Wladimir Selenskij den Menschen in den russisch besetzten Gebieten im Süden Hoffnung, dass die Ukraine sie bald befreien werde – wie es in einer dpa-Meldung hieß.
"Cherson, Melitopol, Berdjansk, Energodar, Mariupol und alle unsere Städte und Gemeinden, die unter Besatzung, unter vorübergehender Besatzung sind, sollen wissen, dass die Ukraine zurückkehren wird", verkündete Selenskij.
Wie lange dies dauern werde, hänge von der Lage auf dem Schlachtfeld ab. "Wir versuchen es so schnell wie möglich. Wir sind verpflichtet, die Besatzer zu vertreiben und der Ukraine echte Sicherheit zu garantieren", sagte er.
Es ist allerdings durchaus zu bezweifeln, dass die Menschen in dieser Region ihre Städte in ein Kampffeld verwandelt sehen wollen. Viele Einwohner sind froh, dass ihre Orte weitgehend von Militäraktionen und Beschuss verschont geblieben waren. So postete ein Einwohner von Cherson ein aktuelles Video mit friedlichen Szenen von der Uferpromenade in Cherson und sagte dazu:
"Wir wollen friedlich leben: friedlich das Leben genießen. Und das gefällt der Ukraine nicht. Und wir werden gut leben, trotz allem anderen."
Der Pressesprecher des russischen Präsidenten Dmitri Peskow erklärte dazu, dass die Entscheidung über einen möglichen Beitritt zu Russland den Bewohnern des Gebietes selbst überlassen bleiben solle.
Es ist sehr zu bezweifeln, dass die örtlichen Verwaltungen in den befreiten Gebieten, die aus kooperationswilligen Lokalpolitiker der Region zusammengestellt wurden, nach all ihren bisherigen Ankündigungen einen Rückzieher machen wollen. Gegen sie wird in der Ukraine wegen Landesverrat ermittelt, und es gibt für sie nun nur diese eine Perspektive – die Integration mit Russland bis auf die vollständige Aufnahme in das russische Staatsgebiet weiter voranzutreiben. Derzeit wird in Russland in der russischen Staatsduma an einer entsprechenden gesetzlichen Grundlage gearbeitet, die es zulassen würde, die Gebiete eines anderen Staates ohne Volksabstimmung in die Russische Föderation aufzunehmen.
Zuvor hat der stellvertretende Leiter der militärisch-zivilen Verwaltung des Gebiets Cherson Kirill Stremousow erklärt, dass es keine Volksabstimmungen geben werde und hat auf Erfahrungen mit der ohnehin internationaler Nichtanerkennung des Krim-Referendums von 2014 verwiesen. Auch aus den negativen Erfahrungen der jüngsten Geschichte der beiden selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk dürften Experten zufolge Schlüsse gezogen werden. Acht Jahre als rechtliche Grauzonen zwischen den zwei Staatsgebieten Russland und Ukraine hätten die Donbass-Region wirtschaftlich und humanitär ruiniert.
Auch eine drohende Lebensmittelkrise zwingt Russland und die integrationswilligen örtlichen Kräfte in der landwirtschaftlich geprägten Region zum Handeln. Der Zyklus von Saat, Ernte, Verarbeitung und Absatz der Produkte darf nicht unterbrochen werden. Russland hat sich offenbar dafür entschieden, die Versorgungketten nicht abreißen zu lassen und unter seiner Aufsicht dafür zu sorgen, dass diese ehemals ukrainische Region sich selbst ernähren kann und darüber hinaus auch Getreide, Obst und Gemüse – also all die Produkte, für die sie bekannt ist – auch weiter vertreiben kann.
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