Kiew bläst Cherson-Gegenoffensive ab: Ankündigung war "psychologische Kriegsführung"
Die ukrainische Cherson-Gegenoffensive, die von zahlreichen Analytikern vorausgesagt, von Kiew geplant und durch Zusammenziehen von Truppen, Artillerie und anderem Material vorbereitet wurde, scheint nun endgültig abgeblasen. So zitierte die Financial Times jüngst mehrere ukrainische Beamte, laut derer größere Operationen aufgrund Materialmangels aufs kommende Jahr verschoben werden müssen:
"Wir können ja aus jeder Lieferung an die Ukraine ein großes Ding machen. Doch wenn wir vernünftig sind, müssen wir rechnen und die Lieferungen mit unserem strategischen Bedarf vergleichen. Daran gemessen haben wir nicht einmal 30 Prozent davon, was wir brauchen. Wir rechnen nicht mit dem Aufbau ausreichender Kapazitäten für die Planung einer Gegenoffensive noch in diesem Jahr. Unsere größeren Pläne werden jetzt im kommenden Jahr kommen müssen."
Ob die "Cherson-Offensive" der ukrainischen Truppen denn nun kommt, bleibt abzuwarten.Zuletzt erklärten ausgerechnet einige ukrainische Vertreter, dass man eigentlich nicht genug Kapazitäten dafür habe, und die Offensive erst im Frühling 2023 starten könne.(25/25) pic.twitter.com/51ts1Iv1gt
— Nikita Gerassimow (@NikGerassimow) August 8, 2022
In welchem Maße der Materialmangel durch Einwirkung der russischen Präzisionslenkwaffen spezifisch auf die jeweiligen als Ausgangspunkte der Cherson-Gegenoffensive festgelegten Truppen- und Materialkonzentrationsgebiete beim benachbarten Nikolajew oder auch woanders entstanden ist, ist unklar. Doch zumindest von der prorussischen zivil-militärischen Verwaltung des Gebiets Cherson erfolgte sogar noch Ende Juli eine Lagebewertung, laut derer Kiew in der Tat bereits Versuche einer Gegenoffensive unternommen haben soll, die in der dortigen völlig offenen Steppenlandschaft am Beschuss durch die Gegenseite scheiterten.
Fakt bleibt jedenfalls: Die Gesamtverluste der ukrainischen Seite machen ihr jegliche Großunternehmen unmöglich. Kiew gesteht dies auch ein. Indes versuchen einige dortige Regierungsbeamte dennoch, ihr Gesicht zu wahren. So erklärte Michail Podoljak, Ratgeber des Präsidialbüroleiters von Staatschef Selenskij gegenüber der BBC, jegliche Gespräche von einer Gegenoffensive seien von vornherein eine Sonderoperation der informationspsychologischen Kriegsführung (IPSO) gewesen:
"Ob das eine IPSO gewesen ist? Ohne Wenn und Aber gehören heute alle öffentlichen Kommentare zu den IPSO. Wir müssen die russische Armee demoralisieren, sie müssen verstehen, dass dieses Gebiet ständig unter Beschuss stehen wird."
Doch auch Versuche, die in mehreren befreiten Gebieten der Ukraine geplanten Referenden zur Wiedervereinigung mit Russland zu vereiteln, kann man getrost als ein weiteres Ziel derartiger "informationspsychologischer Sonderoperationen" Kiews betrachten. Dass kiew-treue Truppen bei jeder Gelegenheit Wohngebiete und Ortschaften, die unter der Kontrolle russischer Truppen oder der Milizen der Volksrepubliken Donezk und Lugansk stehen, Artillerie- und Raketenbeschuss aussetzen, ist lange bekannt.
Nichts anderes erwartet zum Beispiel Wladimir Rogow vom Rat der zivil-militärischen Verwaltung des Gebiets Saporoschje speziell für die angedachte Zeit des Referendums im September 2022:
"Dass es Provokationen, Beschuss, Versuche einer Offensive seitens des Selenskij-Regimes geben wird, steht mittlerweile komplett außer Zweifel."
Genau so wertete er bereits Anfang Juli auch alle Kiewer Informationseinwürfe über Gegenoffensiven:
"Das Kiewer Regime versucht mit seinen Erklärungen über in Vorbereitung befindliche Gegenoffensiven, die Bewohner des Gebiets Saporoschje einzuschüchtern und die Vorbereitung zum Referendum zu vereiteln. Kiews Ziel ist es, die Menschen zum Verlassen der bereits befreiten Gebiete zu zwingen, um im Falle einer demokratischen Willensäußerung erklären zu können, dort sei ja niemand mehr."
Doch damals wie jetzt beharrt er darauf, dass dieses Ziel für Kiew unerreichbar bleiben werde.
Dass eine Gegenoffensive im Gebiet Cherson nicht bloß Gerede, sondern tatsächlich geplant gewesen sei, betont Alexander Sitnikow, Kriegsberichterstatter und Analytiker der Oruschije Rossii, einer russischen Nachrichtenagentur mit Schwerpunkt Waffen und Militär. Auch er geht vom Versuch, das dortige Referendum zu vereiteln, als einem vorrangigen Zweck der Unternehmung aus:
"In diesem Zusammenhang kann man im ukrainischen Internetsegment jetzt einen wahren Streit aller gegen alle beobachten. Einstecken musste zum Beispiel Selenskij selber, denn die öffentliche Vorbereitung der Referenden ist ein schmerzhafter Schlag gegen das Image des Präsident gewordenen Clowns. Es sei erinnert: Er schwor hoch und heilig, keine Abstimmung zuzulassen. Das Kiewer Regime befürchtet anscheinend in vollem Ernst, dass die 'Russenköpfe, Sowoks und Watniks' in den Gebieten Saporoschje und Cherson genauso abstimmen werden wie auch die Krimbewohner im Jahre 2014."
"Um einer Bekundung des Volkswillens entgegenzuwirken, hatten die Ukronazis ihre Offensive gegen Cherson geplant und breit angekündigt. Gerade dafür hatte das Präsidialbüro angeordnet, einen riesigen Teil der Artillerie und der Panzerfahrzeuge der blaugelben Armee in Nikolajew zu konzentrieren – sogar zu Lasten der 'Mannerheim'-Linie der vorgeblich unabhängigen Ukraine im Donbass."
Im Übrigen sieht auch der russische Journalist, Autor und Politiker Sachar Prilepin, der zu Beginn der Kampfhandlungen in den Jahren 2014 bis 2015 Feldkommandeur im Donbass war, in dieser Ausdünnung der ukrainischen Artilleriebestände im Donbass einen möglichen Grund für die in jüngster Zeit in Verstoß gegen Kriegsrechtsnormen immer öfter verübte Fernverminung von Wohngebieten in Donezk. Um die Zivilbevölkerung dort trotzdem weiterhin terrorisieren zu können, habe Kiew seine dort verbleibenden Artilleristen reichlich mit Fernverminungsgeschossen für die Uragan-Mehrfachraketenwerfer versorgt.
Als Argument für seine These in Bezug auf den Donbass führt Sitnikow die Niederlage der kiew-treuen Truppen in Peski an, einer Ortschaft nahe Donezk, die den Ort innerhalb von acht Jahren in ein wahrhaft befestigtes Gebiet verwandelt hatten:
"Jetzt aber, nach der vernichtenden Niederlage in Peski, versucht der Oberkommandeur der ukrainischen bewaffneten Formationen Saluschny, die Bandera-Artillerie zur Linie Awdejewka-Artjomowsk-Soledar-Sewersk zurückzuverlegen. Von der Verlegung der Artillerie der 'Unabhängigen' zurück in den Donbass bekam dann die maidangeschädigte Öffentlichkeit Wind (zu großen Teilen über Informationslecks und von Whistleblowern aus dem Umkreis des militärischen Oberbefehlshaber Saluschny) und deren Aktivisten haben Selenskij bereits vielsagend und exakt qualifiziert – nämlich als einen Idioten."
"Denn nun ist einerseits Kiews Cherson-Offensive vereitelt, und andererseits sind auf der Linie von Awdejewka bis Marjinka, wo die Ukronazis die mächtigsten Befestigungsanlagen erschaffen hatten, für die 'Schützer der Unabhängigkeit' nun wahrlich höllische Zeiten eingetreten."
Die Gefahr sei jedoch mitnichten gänzlich gebannt. Vielmehr dürfe man befürchten, dass Kiew bei weiteren Versuchen, die demokratische Willensäußerung in den Gebieten Cherson und Saporoschje zu vereiteln, statt auf Offensiven oder flächendeckenden Beschuss gegen Wohngebiete nun auf punktgenauen Artillerieterror setzen wird. So wurde in der Stadt Cherson ein Saboteur festgenommen, der an Objekten ziviler Infrastruktur Peilsender anbrachte, an denen sich Lenkwaffensysteme der ukrainischen Seite orientieren sollten, schrieb am 9. August RIA Nowosti. Der Cherson-Bewohner wurde zu dieser Aktivität genötigt, heißt es. Jedenfalls dürften dort in Ermangelung von Rohr- und Raketenartillerie nun satellitengelenkte Hochpräzisionsraketengeschosse zum Einsatz kommen, schreibt Sitnikow:
"Jetzt hat der blutige Clown aber laut Insider-Darlegungen seinem Generalstab die Ausarbeitung eines Plans aufgetragen, nach welchem Wahllokale in Cherson, Melitopol, Energodar mit Hilfe der HIMARS vernichtet werden sollen. Gerade für dieses unbedingt nötige Werk haben die Yankees Kiew Militärhilfen in Höhe von einer Milliarde US-Dollar zugesagt. Auch kriechen aus den Korridoren des Präsidialbüros Gerüchte ins Land, Selenskij beabsichtige damit, möglichst viele seiner nunmehr ehemaligen Mitbürger mit Artillerie zu erfassen. Nach dem Motto, dass man nicht neben jeder Wahlurne ein Flugabwehrsystem abstellen kann."
In der Tat, das kann man nicht. Doch so sehr Kiew auch versucht, eine gute Mi(e)ne zu machen: Sein Spiel scheint immer schlechter zu laufen. Auf dem Schlachtfeld wie in der internationalen Arena.
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Am 24. Februar kündigte der russische Präsident Wladimir Putin an, gemeinsam mit den Streitkräften der Donbass-Republiken eine militärische Spezialoperation in der Ukraine zu starten, um die dortige Bevölkerung zu schützen. Die Ziele seien, die Ukraine zu entmilitarisieren und zu entnazifizieren. Die Ukraine spricht von einem Angriffskrieg. Noch am selben Tag rief der ukrainische Präsident Wladimir Selenskij im ganzen Land den Kriegszustand aus.
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Auf beiden Seiten des Konfliktes sind zahlreiche Soldaten und Zivilisten getötet worden. Moskau und Kiew haben sich gegenseitig verschiedener Kriegsverbrechen beschuldigt. Tausende Ukrainer sind mittlerweile aus ihrer Heimat geflohen.