Europa

Warum Selenskij eine nukleare Katastrophe in Saporoschje braucht

Seit Freitag beschießen die ukrainischen Streitkräfte (AFU) das größte Atomkraftwerk Europas. Gleichzeitig behauptet Kiew, das AKW Saporoschje würde vom russischen Militär beschossen, das es bewacht. Selbst der UN-Generalsekretär bemerkte Ungereimtheiten und beschloss, trotz des Widerstands Kiews, internationale Inspektoren zum Kernkraftwerk zu schicken. Welches Geheimnis versucht die Ukraine zu verbergen?
Warum Selenskij eine nukleare Katastrophe in Saporoschje brauchtQuelle: Legion-media.ru © Rokas Tenys

Eine Analyse von Rafael Fachrutdinow, Aljona Zadoroschnaja und Darja Wolkowa

UN-Generalsekretär António Guterres arbeitet mit der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEA) daran, einen Besuch der Inspektoren dieser Organisation im Kernkraftwerk Saporoschje zu arrangieren.

"Wir sind äußerst beunruhigt über die Situation rund um das Kraftwerk und darüber, dass es möglicherweise Ziel eines Angriffs sein könnte, die Ursache für einen Angriff. Wir hoffen sehr, dass die IAEA in der Lage sein wird, Inspektoren zu entsenden, um herauszufinden, was in der Anlage vor sich geht", sagte am Montag Stéphane Dujarric, Stellvertreter des IAEA-Leiters. "Der Generalsekretär machte in Tokio deutlich, dass jeder Angriff auf ein Atomkraftwerk selbstmörderisch ist", fügte der Sprecher von Guterres hinzu.

Washington wiederum hat beschlossen, die Darstellung Kiews zu wiederholen, wonach das Kernkraftwerk angeblich durch das russische Militär bedroht wird. "Wir appellieren weiterhin an Russland, alle militärischen Aktivitäten in oder in der Nähe von ukrainischen Nuklearanlagen einzustellen und die volle Kontrolle an die Ukraine zurückzugeben", sagte die Pressesprecherin des Weißen Hauses, Karine Jean-Pierre, zu diesem Thema. "Wir werden die Radioaktivität weiterhin überwachen", erklärte sie und fügte hinzu: "Glücklicherweise haben wir keine Anzeichen für erhöhte oder abnormale Strahlungswerte festgestellt."

Generalleutnant Igor Konaschenkow, offizieller Vertreter des Verteidigungsministeriums, gab bekannt, dass die ukrainische Armee am Sonntagnachmittag mit dem Beschuss des Kernkraftwerks Saporoschje fortgefahren habe, den sie am Freitag begann. Seinen Angaben zufolge wurde der Angriff von der 44. Artilleriebrigade der Ukraine aus dem Gebiet der Stadt Marganets durchgeführt, die sich am gegenüberliegenden Ufer des Kachowka-Stausees vom AKW befindet.

"Infolge des ukrainischen Beschusses wurde die Hochspannungsleitung von Kachowka beschädigt, welche die Regionen Saporoschje und Cherson mit Strom versorgt. Ein Spannungsstoß im Kernkraftwerk Saporoschje verursachte Rauch an der offenen Schaltanlage des Kraftwerks. Zudem wurde ein Schutzsystem ausgelöst, das die Stromzufuhr unterbrochen hat", zitiert die TASS den General. Um eine Unterbrechung des Betriebs zu vermeiden, habe das technische Personal des Kraftwerks die Leistung der Blöcke 5 und 6 auf 500 MW reduziert, fügte das Militärdepartement hinzu. Konaschenkow bezeichnete die Tat als "neuen Akt des Nuklearterrorismus", der zu einer humanitären Katastrophe in den Regionen Cherson und Saporoschje führen sollte.

Die örtlichen Behörden präzisierten ihrerseits: der Anschlag der Artillerie war auf das Kühlsystem und das Lager für abgebrannte Brennelemente (SNF) gerichtet. "Neben dem Kühlsystem des Reaktors, das für die Sicherheit sehr wichtig ist, befinden sich auch der Bereich des Trockenlagers für abgebrannte Brennelemente und die Kontroll- und Abrechnungsstelle für Strahlung dauerhaft in der Angriffszone. Das sind ganz beängstigende Dinge, das ist nuklearer Terrorismus", sagte Wladimir Rogow, Mitglied des Obersten Rates der militärisch-zivilen Verwaltung der Region Saporoschje, gegenüber dem Fernsehsender Rossija 24. Er bemerkte, das Kernkraftwerk sei in der Tat zum Hauptziel der ukrainischen Artillerie in der Region geworden. Sollte das Kühlsystem beschädigt werden, könnte der Reaktor überhitzen, was zu einem Verlust der Kontrolle über die Brennprozesse führen könnte, erklärte Rogow, wobei das Trockenlager ein großes Volumen an SNF enthält.

"Die IAEA zeigt die Bereitschaft, das AKW Saporoschje durch eine Kommission inspizieren zu lassen, um zu prüfen, was dort vor sich geht", fügte Rogow hinzu. Die ukrainischen Behörden aber, sagte Rogow, stellen dafür eine Bedingung: "Sie sagen: Ihr müsst abziehen, die Sicherheit nicht länger gewährleisten, das Luftabwehrsystem entfernen. Können Sie sich vorstellen, was passieren würde, wenn es dort keine russischen Luftabwehrsysteme gäbe?"

Gemäß der Stadtverwaltung von Energodar, wo sich das Kernkraftwerk befindet, fielen die Splitter einer am Sonntag abgefeuerten Rakete nicht weiter als 400 Meter von dem in Betrieb befindlichen Kraftwerksblock entfernt. Dabei kam eine Person ums Leben.

Dabei hält Kiew hartnäckig an der Darstellung fest, das Kernkraftwerk werde von der russischen Armee selbst beschossen. In diesem Zusammenhang rief der ukrainische Präsident Wladimir Selenskij am Sonntag zu einer härteren Reaktion auf Russlands "atomaren Terror" auf. Am Montag sagte der ukrainische Diplomat Oleksandr Scherba, dass Selenskij mit dem Präsidenten des Europäischen Rates, Charles Michel, über Sanktionen gegen den russischen Atomenergie-Sektor gesprochen habe, berichtete Kommersant.

Nach Auffassung russischer Experten ist das kein Zufall, dass ein weiterer Beschuss des Kernkraftwerks fast zeitgleich mit Selenskijs diplomatischen Ausfällen gegen Russland erfolgte. "Offensichtlich sind diese Aktionen synchronisiert. Der Beschuss erfolgt systematisch zu einer bestimmten Zeit. Sie haben einen komplexen Ansatz, wie bei allen rational denkenden Führungskräften", sagt Duma-Mitglied Michail Deljagin.

"Ein derartiger Beschuss könnte die Wasserversorgung des AKWs beschädigen. Er könnte ein unangenehmes Problem verursachen. In solchen Situationen sollte der Reaktor abgeschaltet werden. Die Lage ist alles andere als sicher", warnt Alexander Borowoj, Atomphysiker und Berater des Präsidenten des Kurtschatow-Instituts. "Höchstwahrscheinlich handelt es sich nicht um verirrte Granaten, sondern um einen kalkulierten psychologischen Angriff auf die lokale Bevölkerung. Die Menschen in der Ukraine waren seinerzeit durch Tschernobyl verängstigt. Schon ein kleiner Unfall in einem Kernkraftwerk wird von vielen als eine gefährliche Angelegenheit betrachtet. Diejenigen, die das Werk beschießen, versuchen, Panik zu schüren. Außerdem versuchen sie, soviel Schaden wie möglich anzurichten, damit die Russen dort alles wieder aufbauen müssen", meint der Experte.

Kiew treibt ein doppeltes Spiel, ist der Energieexperte Aleksei Anpilogow überzeugt. Und er stimmt zu, dass der Angriff auf das Kernkraftwerk darauf abzielt, Panik unter den Einwohnern von Saporoschje auszulösen. "Dies geschieht, um einen Auszug der Bevölkerung aus dem befreiten Teil der Region Saporoschje zu provozieren. Heute wurde die Absicht geäußert, ein Referendum über den Beitritt zu Russland abzuhalten. Gibt es keine Bevölkerung, so kann Kiew behaupten, die Abstimmung habe nicht stattgefunden, sie sei unrechtmäßig. So oder so wird das Kiew behaupten, doch im konkreten Fall kann es seine Behauptungen mit echten Bildern der Migration untermauern", erklärte Anpilogow.

"Die Blöcke selbst sind nur schwer zu beschädigen – die Betonhülle widersteht selbst den Sturz eines Leichtflugzeugs, den Beschuss durch Mörser oder die Artillerie", fügte er hinzu. "Doch die ukrainischen Streitkräfte zielen auf Schwachstellen des Kraftwerks, auf die offenen Schaltanlagen und auf den Notstromgenerator, um das Kernkraftwerk der Elektrizitätsversorgung zu berauben und seine Stilllegung zu erreichen."

Nach dem Verteidigungsministerium äußerte sich am Montag auch das russische Außenministerium zu der Situation in Energodar. Das ukrainische Regime nehme mit dem Beschuss des Atomkraftwerks "ganz Europa in Geiselhaft" und die Lage werde von Tag zu Tag gefährlicher, sagte die Pressesprecherin des Ministeriums, Maria Sacharowa. Sie ist überzeugt, es kam zu keinem großen Zwischenfall, "nur weil die Mitarbeiter des Kernkraftwerks und die russischen Streitkräfte so geschickt und operativ handeln", und dabei die Anlage umfassend schützen.

Zugleich sieht sich Moskau durch die Erklärungen von Guterres vertröstet, der die Bemühungen der IAEA um den Zugang zur Anlage unterstützt. Wäre die Reaktion von Guterres "von Anfang an klar" gewesen, hätten die derzeitigen Komplikationen vermieden werden können, denn angesichts seiner "Schwäche" greife das ukrainische Militär immer waghalsiger das AKW von Saporoschje an, empört sich Sacharowa.

Der Generaldirektor der IAEA, Rafael Grossi, beabsichtigt, das Kernkraftwerk zu besuchen, und auf russischer Seite sei alles für einen erfolgreichen Besuch vorbereitet worden, erinnerte Sacharowa. "Die Tatsache, dass die internationale Mission nicht stattgefunden hat, liegt allein auf dem Gewissen Kiews", fügte Sacharowa hinzu.

Die hartnäckige Weigerung Kiews, den Besuch der Inspekteure zu ermöglichen, ist eine Erklärung für den konspirativen Charakter des Verhaltens, erklärte Anpilogow. "Wie sich neulich herausstellte, hat Kiew in dieser Anlage das größte SNF-Lager errichtet, wobei die IAEA bereits ihre Besorgnis darüber zum Ausdruck gebracht hat. Denn SNF ist das ideale Rohmaterial für eine "schmutzige" Atombombe. Die IAEA-Inspektoren wären in der Lage, sobald sie in Energodar vor Ort sind, Diskrepanzen zwischen den Berichten, die sie in der Vergangenheit regelmäßig aus Kiew erhalten haben, und der realen Gegebenheiten am Standort, an dem die abgebrannten Brennelemente gelagert werden, festzustellen. Diese Interpretation ist die einzig vernünftige Erklärung dafür, warum die Ukraine ihr eigenes Atomkraftwerk beschießt", sagte Anpilogow.

"Was die Behauptungen von Selenskij angeht, das russische Militär beschieße sich selbst, so ist diese Verleumdung keineswegs neu. Acht Jahre lang hörten wir Beteuerungen, dass die Milizen des Donezk sich selbst beschießen, d. h. diejenigen Viertel, in denen ihre Familien und Kinder leben", erinnerte der Experte. Anpilogow glaubt, dass Selenskij aus diesen Gründen die IAEA-Inspektoren bis zum Schluss daran hindern wird, Energodar zu erreichen.

Übersetzt aus dem Russischen

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