Kiew: Auch nach sechs Monaten kein Lebenszeichen von verschleppten Oppositionellen
Es war vor sechs Monaten, als mehrere prominente Stimmen der ukrainischen Opposition – Politiker, Journalisten, Politologen, Publizisten –, die bis dahin täglich oder nahezu täglich auf Youtube und in sozialen Netzwerken die Tagesereignisse (oppositionelle TV-Sender hatte Wladimir Selenskij schon im Vorjahr abschalten lassen) kommentiert hatten, abrupt verstummten. RT DE hatte im März anhand der Schicksale der Menschen berichtet, die dem zuständigen Redakteur persönlich bekannt und vertraut waren: des Politologen und Intellektuellen Dmitri Dschangirow, der früheren Abgeordneten und zuletzt als Journalistin sowie Verteidigerin von Menschenrechten tätigen Elena Bondarenko, der kommunistischen Aktivisten Alexander und Michail Kononowitsch, des linken Politikers Wassili Wolga, …
Von ihnen allen gibt es bis heute, ein halbes Jahr später, immer noch kein Lebenszeichen.
Dschangirow wurde am 8. März verschleppt. Das letzte Lebenszeichen von ihm war ein an diesem Tag auf seinem Facebook-Account hochgeladenes Video, das ihn – sehr untypisch für den immer auf ein gepflegtes Erscheinungsbild bedachten Intellektuellen – in häuslicher Kleidung in unnatürlicher Pose sitzend zeigt, den Kopf mit einer unter anderen Umständen gewiss amüsanten Zwergenmütze bedeckt. Der linke Arm liegt auf der Rückenlehne, die Hand außerhalb des Bildes. Im Hintergrund sind männliche Stimmen hörbar, ein schroffer Ton. Dschangirow selbst verliest in dem Video einen Text, in dem er den "russischen Angriffskrieg" verurteilt.
Nach diesem Video hat die Öffentlichkeit Dschangirow nie wieder gesehen. Sein Youtube-Kanal und der Facebook-Account waren in den Folgewochen allerdings überaus aktiv: In einem ungewöhnlichen Stil und mit Rechtschreibfehlern, die sich Dschangirow niemals erlaubt hatte, wurde ukrainische Propaganda anderer Kanäle verbreitet. Mittlerweile ist auch diese Aktivität eingeschlafen.
Die letzte öffentliche Aktivität von Bondarenko war am 4. März. Von Beginn der militärischen Intervention Russlands in ihrem Land an koordinierte sie humanitäre Aktionen und half bei der Suche nach Vermissten. Im bis heute letzten Post auf ihrem Facebook-Account publizierte sie eine Vermisstenmeldung. Seitdem wird sie selbst vermisst: keine Äußerung, kein Lebenszeichen, nichts.
Über Wolga, den Vorsitzenden des "Bündnisses Linker Kräfte", ist bekannt, dass er bei seiner Verhaftung verletzt wurde und sich im Gewahrsam des ukrainischen Geheimdienstes SBU befindet. Diese Meldung fand sich auf einem inzwischen gelöschten Nachrichtenportal am 28. März. Seitdem ist von dem Sozialisten und Geschäftsmann kein Lebenszeichen an die Öffentlichkeit gedrungen.
Über die Kononowitsch-Brüder kann man zumindest mit einiger Gewissheit sagen, dass sie noch leben.
Sie wurden am 6. März durch den SBU verhaftet. Am 20. Juni druckte die österreichische Zeitung der Arbeit ein Foto der Brüder mit einem bärtigen Mann im T-Shirt ab, der als Anwalt der beiden Kommunisten vorgestellt wird, und berichtet:
"Mal ausnahmsweise gute Neuigkeiten erreichen uns aus der ukrainischen Hauptstadt. Obwohl noch in Haft und unmenschlichen Bedingungen unterworfen, leben die beiden Kononowitsch-Brüder noch. Seit mehr als hundert Tagen im Gefängnis und nach einer langen Zeit, in der man über ihren Verbleib und Lebenszustand nichts mehr gehört hat, veröffentlichte die britische Jugendorganisation Young Communist League (YCL) ein Foto von ihnen und ihrem Anwalt."
Am 4. Juli berichtete dieselbe Zeitung über den ersten Tag einer Gerichtsverhandlung gegen die Kononowitschs. Die Brüder werden des Staatsverrats angeklagt, wegen "proweißrussischer Ansichten". Über den Ausgang des Prozesses war bislang nichts zu erfahren.
Eines lässt sich inzwischen offiziell behaupten: Die Fälle Dschangirow, Bondarenko, Wolga und Kononowitsch sind keine Einzelfälle. Mittlerweile wurde das Schweigekartell der professionellen "Menschenrechtler" und der westlichen Presse durchbrochen. Die ukrainische Mission des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte mit Sitz in Odessa dokumentierte 51 Fälle willkürlicher Verhaftungen und 30 Fälle spurlosen Verschwindens, für die sie die Ukraine verantwortlich macht.
Ukrainische Menschenrechtsaktivisten und Anwälte fürchten jedoch, dass das lange nicht alles ist. Vorsichtige Schätzungen gehen von über 500 spurlos verschwundenen und wahrscheinlich wegen ihrer Überzeugungen getöteten Menschen allein in der Hauptstadt Kiew aus.
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Auf beiden Seiten des Konfliktes sind zahlreiche Soldaten und Zivilisten getötet worden. Moskau und Kiew haben sich gegenseitig verschiedener Kriegsverbrechen beschuldigt. Tausende Ukrainer sind mittlerweile aus ihrer Heimat geflohen.