Europa

Diamanten, Erdöl, Uran – was die EU den Sanktionen nicht opfern will

"Heilige Kühe" bleiben unangetastet: Seit mehr als sieben Monaten verschonen die schärfsten EU-Sanktionen gegen Russland einige Wirtschaftsbereiche, so die Zeitung "The New York Times". Und allem Anschein nach wird es auch so bleiben.
Diamanten, Erdöl, Uran  – was die EU den Sanktionen nicht opfern willQuelle: Gettyimages.ru © Paul O'Driscoll

"Die Belgier haben den Handel mit russischen Diamanten geschützt. Die Griechen verschiffen russisches Öl ungehindert. Frankreich und mehrere andere Länder importieren nach wie vor russisches Uran für die Atomstromerzeugung", stellte die US-amerikanische Zeitung The New York Times am 18. Oktober fest. "Einige heilige Kühe" werden immer wieder von den Sanktionen verschont, brachte es die Zeitung auf den Punkt – auch wenn es vielen EU-Ländern nicht gefalle.

The New York Times erklärte:

"Seit Februar hat die Europäische Union 1.236 Personen und 155 Unternehmen mit Sanktionen belegt, ihr Vermögen eingefroren und ihnen den Zugang zur EU versperrt. Sie hat den Handel mit Waren in fast 1.000 Kategorien und Hunderten von Unterkategorien verboten. Sie hat ein nahezu vollständiges Embargo gegen russisches Öl verhängt. Etwa ein Drittel der wertmäßigen Ausfuhren der EU nach Russland und zwei Drittel der Einfuhren wurden verboten.

Doch selbst jetzt bleiben einige Waren und Sektoren auffallend ausgenommen. Ein Blick auf nur einige wenige Güter zeigt, wie intensiv einige Länder und die Privatwirtschaft in Hinterzimmern verhandeln und die Waffen schwingen, um Sektoren zu schützen, die sie für zu wertvoll halten, um sie aufzugeben – und welche Kompromisse die Europäische Union eingegangen ist, um den Konsens zu wahren."

Die Zeitung führte als Beispiel einen Fall an, der sich während der Vorbereitung des letzten Sanktionspakets ereignet hat – als die EU die Diamanten von der Liste gestrichen hatte. Damals habe der Europäische Auswärtige Dienst, der mit der Kommission bei der Ausarbeitung von Sanktionen zusammenarbeitet, eine Nachricht nicht erhalten, nach der die Diamanten ausgenommen bleiben sollten. So geriet das staatliche russische Diamantunternehmen Alrosa irrtümlich auf die Sanktionsliste. The New York Times führte fort:

"Sobald Alrosa in den Entwurf aufgenommen worden war, wurde es schwierig, es wieder zu entfernen. Als man den Fehler bemerkte, zogen Polen und andere Länder, die eine harte Linie zugunsten der Ukraine vertreten, die Verhandlungen über das Paket so weit wie möglich in die Länge, wobei sie davon ausgingen, dass Alrosa tatsächlich mit Sanktionen belegt werden sollte. Am Ende setzten sich Einstimmigkeit und Schnelligkeit durch und Alrosa exportiert weiterhin in die Europäische Union."

Die Situation habe "die intensiven Interventionen" der belgischen Regierung aufgedeckt, die das Ziel hatten, die eigene Diamanten-Branche zu schützen, so die Zeitung. Dabei sei die Ausfuhr von Rohdiamanten "für Russland sehr lukrativ und wird über den belgischen Hafen Antwerpen abgewickelt". Der Handel mit Diamanten habe einen Wert von 1,8 Milliarden Euro pro Jahr, so die Zeitung, und werde von Belgien seit mehreren Monaten erfolgreich geschützt.

Ähnlich ginge es mit der Kernenergie und mit dem Öl-Transport. Da die Kernkraftwerke in Frankreich, Ungarn, der Slowakei, Finnland und anderen EU-Ländern von den russischen Uranexporten abhängig sind, seien die Befürworter der Aufrechterhaltung der russischen Uranlieferungen der Meinung, die Fähigkeit der EU-Länder, "während einer akuten Energiekrise durch den Betrieb ihrer Kernkraftwerke Strom zu erzeugen", sei wichtiger als die politischen Vorteile.

Eine der "komplexesten und wichtigsten Lobbying-Bemühungen" zum Schutz einer europäischen Industrie vor Sanktionen sei The New York Times zufolge die, "die griechische Diplomaten unternommen haben, um den in griechischem Besitz befindlichen Tankern den Transport von russischem Öl zu außereuropäischen Zielen zu ermöglichen".

Manche EU-Länder seien aber mit diesen "Ausnahmen" nicht zufrieden, schrieb die Zeitung:

"Regierungen, die durch die Sanktionen zur Unterstützung der Ukraine bereitwillig große Einbußen hinnehmen mussten und dadurch Einnahmen und Arbeitsplätze verloren haben, sind verbittert darüber, dass ihre Partner im Block weiterhin hartnäckig ihre eigenen Interessen schützen."

Die ukrainische Regierung habe diese Ausnahmeregelungen ebenfalls immer kritisiert, schrieb The New York Times. So hatte Wladimir Selenskij zum Beispiel den europäischen Ländern vorgeworfen, "die Opfer zu scheuen" und deshalb weiterhin Geschäfte mit Russland zuzulassen. Er hatte auch den Versuch Belgiens, den Diamantenhandel von den Sanktionen auszunehmen, in seiner Rede vor dem belgischen Parlament im März direkt angesprochen. Er warf den Verantwortlichen vor, dass es Menschen gebe, "für die die in Antwerpen verkauften Diamanten wichtiger sind als der Kampf", den die Ukraine führe und fügte hinzu: "Der Frieden ist viel mehr wert als Diamanten."

Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass seine Stimme gehört und der Unmut einiger EU-Länder berücksichtigt wird. Viel wahrscheinlicher ist, dass einige Branchen von den Sanktionen weiterhin ausgenommen bleiben, so The New York Times. Der Grund dafür ist einfach: Nur durch solche Ausnahmen ist es Brüssel bisher gelungen, zumindest eine gewisse Einigkeit bezüglich der antirussischen Sanktionen zu erzielen. "Dies ist der Preis der Einstimmigkeit", meinte gegenüber der Zeitung Jacob Kirkegaard, Senior Fellow im Brüsseler Büro der Forschungsgruppe des GMF (German Marshall Fund of the United States) und fasste es so zusammen:

"Wir würden gerne alles einbeziehen, auch Diamanten und alles andere, was von besonderem Interesse ist, aber ich bin der Meinung, dass wenn es nötig ist, etwas zu verschonen, damit alle zusammenzuhalten, dann soll es so sein."

Wie russische Medien meldeten, scheint der Sanktionsdruck jedoch allmählich nachzulassen – wenn man die Statistiken über die EU-Einfuhren aus Russland betrachtet.

Kürzlich berichtete die Nachrichtenagentur RIA Nowosti, dass dreizehn EU-Länder im Sommer ihre Einfuhren aus Russland erhöht haben. So waren nach Angaben der Agentur die Warenimporte aus Russland in zehn Ländern höher als im Winter. Slowenien steigerte die Einfuhren russischer Waren um das 4,4-fache, Kroatien um das 2,7-fache und die Tschechische Republik um das Zweifache. Malta importiert jetzt 88 Prozent mehr russische Waren als im Winter, Spanien 46 Prozent, Belgien 39 Prozent, Luxemburg 22 Prozent, Zypern 13 Prozent, Estland 11 Prozent und Bulgarien 10 Prozent, so die Agentur.

Am 18. Oktober berichtete auch die Zeitung Kommersant über einen Anstieg der Einfuhren russischer Waren und Rohstoffe nach Griechenland:

"Im August dieses Jahres beliefen sich die Einfuhren aus Russland nach Griechenland auf 1.207 Millionen Euro, was einem Anstieg von 178,3 Prozent im Vergleich zum August des Jahres 2021 entspricht, als sich die Einfuhren auf 433,7 Millionen Euro beliefen, wie aus einem Bericht des griechischen Statistikamtes Elstat hervorgeht. Griechenland kaufte Gas, Öl und Raffinerieprodukte im Wert von 1,12 Milliarden Euro. Für 57 Millionen Euro kaufte es unverarbeitetes Aluminium."

Auch die Importe von Waren aus Russland in die USA haben in den letzten Monaten leicht zugenommen, nachdem sie seit dem Beginn der Militäroperation in der Ukraine stetig zurückgegangen waren, berichtete die Nachrichtenagentur TASS am 5. Oktober. In einem Kommentar für die Internetplattform Federal Press kommentierte der Politikwissenschaftler Konstantin Bobrow diese Zahlen:

"Es ist wichtig festzustellen, dass der Trend zur Wiederherstellung der Wirtschaftsbeziehungen mit Russland stetig positiv ist. Es liegt im nationalen Interesse aller europäischen Akteure, die partnerschaftlichen Beziehungen zu Russland wiederherzustellen. Die Verschärfung der Folgen der durch den Sanktionskrieg verursachten Wirtschaftskrise wird eine wachsende Zahl europäischer Länder dazu veranlassen, ihre Außenpolitik gegenüber Russland radikal zu überdenken."

Mehr zum Thema - Wie andere Staaten die Russland-Sanktionen des Westens torpedieren

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