Die Befreiung von Artjomowsk – Wendepunkt im Kampf um den Donbass
Von Jewgeni Krutikow
Die Streitkräfte der Russischen Föderation (RF) setzten in den vergangenen 24 Stunden ihre erfolgreiche Offensive in der Region um Soledar und Artjomowsk (Bachmut) fort. Im Norden von Soledar wurden die kleinen Dörfer Sakko, Vanzetti und Nikolajewka eingenommen.
Diese scheinbar kleine Entwicklung hat dazu geführt, dass die AFU selbst das Dorf Belogorowka am Rande von Serebrjanskoje Lesnitschestwo verlassen haben. Diese Richtung ist eine völlig andere: Die ukrainische Gruppierung ist dort mehrere Dutzend Kilometer in Form einer Staffelung in Richtung Kremennaja-Lissitschansk vorgerückt.
Mehrere Monate lang sammelte Kiew dort Kräfte, mit dem Ziel, eine Offensive nach Lissitschansk-Sewerodonezk tief in die LNR hinein zu organisieren. Dieser Plan ist nun durchkreuzt worden. Die ukrainischen Streitkräfte müssten ihre Stellungen dringend verlassen, sollten die russischen Einheiten weiter in Richtung Sewersk vorrücken. Das zum Thema, wie wichtig "lokale" Operationen in Dörfern seien, von denen man zuvor nichts gehört hat.
Kämpfe in der Umgebung von Artjomowsk
Um Artjomowsk herum ist die Situation noch komplizierter. Die Kämpfe innerhalb der Stadtgrenzen finden im Nordosten und Südosten der Stadt statt. Vorrückende Stoßtrupps haben einen Teil der Wohnblocks in der Watutin-Straße besetzt und dringen in die benachbarten Straßen vor, die überwiegend mit Einfamilienhäusern bebaut sind. Das Gewerbegebiet der Champagner- und Fleischfabriken ist weitgehend passiert.
Allerdings finden die wichtigsten Geschehnisse nicht in Artjomowsk selbst, sondern in der Umgebung statt.
Südwestlich der Stadt haben russische Stoßtrupps eine Reihe hoher Hügel besetzt, haben den dahinter liegenden Waldgürtel passiert und sind in Richtung des Dorfes Iwanowskoje (Krasnoje) vorgedrungen, das an der Fernstraße Artjomowsk-Konstantinowka liegt. Bis zur Hauptstraße sind es zwei Kilometer Luftlinie, sie steht unter Beschuss, und die Versorgung der AFU-Garnison in der Stadt ist über sie nicht mehr möglich.
Hinter Iwanowskoje (Krasnoje) ist bereits Tschassow Jar die Hauptposition zur Versorgung von Artjomowsk und die zukünftige Verteidigungsposition der AFU nach der Aufgabe der Stadt. Tschassow Jar liegt auf einem Hügel hinter dem Kanal. In den letzten zwei oder drei Tagen wurde dort eine taktische Gruppe "Karpaten" zur eigenständigen Verteidigung dieser Stellung eingerichtet. Aber auch Iwanowskoje ist stark befestigt (an sich ist das Dorf eher klein) und wird derzeit fest von der AFU gehalten.
Von Amerikanern ausgebildete Spezialeinheit eingetroffen
Vor kurzem ist dort das 214. Separate Bataillon "Opfor" der AFU eingetroffen. Diese Abkürzung stammt aus dem Englischen (von opposing force). Zu Friedenszeiten werden sie dazu geschaffen, bei Übungen die Rolle eines potenziellen Gegners zu spielen. Unter den gegenwärtigen ukrainischen Bedingungen ist die 214. Bataillon eine von den Amerikanern ausgebildete Spezialeinheit, die allerdings nach russischen Methoden ausgebildet wurde. Vorher war sie in der Nähe von Donezk stationiert, zog sich aber unter Verlusten zurück und wurde nach ihrer Neuformation nach Iwanowskoje (Krasnoje) verlegt. Am gleichen Ort werden voraussichtlich Einheiten der Territorialverteidigung aus Charkow erwartet.
Im nordöstlichen Teil von Artjomowsk wird seit vierzehn Tagen um zwei Vororte gekämpft: Krasnaja Gora und Paraskowjewka. Ein Teil von Krasnaja Gora ist bereits eingenommen, und die Aussichten in dieser Richtung sind insgesamt gut. Die AFU verlegt regelmäßig Verstärkungen dorthin und führt regelmäßig Rücktransporte von Einheiten mit schweren Verlusten durch. Diese Richtung wird als kritisch für die Verteidigung von Artjomowsk gesehen, weil die Einnahme von Krasnaja Gora und Paraskowjewka die Kontrolle über die letzte Straße, die von der Stadt nach Tschassow Jar führt, ermöglichen wird.
Momentan ist die operative Einkreisung von Artjomowsk definitiv nicht gegeben. Es gibt genau diese Straße nach Tschassow Jar, die zur Versorgung der ukrainischen Garnison und zur Verstärkung dient. Doch die Mobilität ist auch in die andere Richtung gegeben: Die AFU könnte den Versuch unternehmen, einen Teil der umzingelten Garnison über diese Straße zu evakuieren.
Evakuierung oder Spiel auf Zeit?
Solange diese Möglichkeit einer Evakuierung nach Tschassow Jar besteht, solange werden Gespräche über die Alternative geführt: Entweder die Verteidigung von Artjomowsk bis zum letzten Soldaten, um die Zeit bis zum Erhalt von gepanzerten Fahrzeugen hinauszuzögern oder umgekehrt die Evakuierung der Garnison, mit dem mythischen Ziel, "die Armee für eine Gegenoffensive im Frühjahr zu retten". Es gibt jedoch keine Anzeichen für einen systematischen Rückzug aus der Stadt. Wenn in ein paar Tagen die russischen Stoßtrupps Paraskowjewka besetzen und sich entlang der Eisenbahnlinie nach Süden zum Bahnhof Stupka bewegen, verlieren alle diese Überlegungen (Rückzug oder nicht) ihren Sinn. Ein Rückzug der Garnison wird nicht mehr möglich sein.
Momentan übersteigt die Dichte der AFU-Verteidigung in Artjomowsk alle vernünftigen Grenzen. Schätzungsweise sind es drei Züge pro Kilometer Verteidigungslinie im dichten Stadtgebiet. Dabei ist dies ein sehr vielfältiges Publikum. Im Verlauf einer Minderung der Verteidigungskräfte werden diese zersplittern und folglich zerfallen.
Der Verlust von Artjomowsk in jeder Form (Rückzug oder Sturm) bedeutet für die AFU den Kollaps der Frontlinie. Und zwar nicht nur auf dieser Verteidigungslinie (sie ist bereits zersplittert), sondern im Grunde im gesamten AFU-System der Nordfront.
Wie dargelegt, hat bereits eine kleine Vorstoßbewegung in Richtung Sewersk den Rückzug der AFU aus dem Vorposten Lyssjanka eingeleitet. Und dort ist sozusagen ein "Flaschenhals": Der Abzug der dort seit Langem zusammengezogenen AFU-Einheiten ist nur über Sewersk möglich. Ohne Sewersk ergibt sich eine Einkesselung mit darauffolgender Wiedererlangung von Krasny Liman und möglicherweise sogar Isjum.
Für zusätzliche Aufregung sorgt die Information, dass der Feind angesichts des Tempos des Vormarsches der russischen Streitkräfte keine Zeit hat, den benötigten Verteidigungsbereich um die Agglomeration Slawjansk-Kramatorsk-Konstantinowka zu bilden. Das ist zwar überraschend, doch eine Tatsache: Derzeit finden dort verstärkte Bauarbeiten statt, und Kramatorsk, wo seit Jahren Stabsquartiere und Nachschubdepots der Armee untergebracht sind, ist nun von Osten her offen.
Artjomowsk könnte für den Donbass zum Wendepunkt werden
Was bedeutet es nun für die AFU, "die Armee für eine Offensive zu schonen"?
Soll man ein Selbstmordkommando in Artjomowsk als Nachhut an den Hauptstraßen zurücklassen und die gesamte 30.000 Mann starke Garnison in einem Kapellenzug über die einzige von Geschützen kontrollierte Straße hinausführen? Und dann ein ähnlicher Rückzug durch Sewersk von Lissitschansk aus? Zeitgleich geht Ugledar verloren, und die Streitkräfte der RF beginnen mit dem Vormarsch in Richtung Norden nach Kurachowo und weiter nach Krasnoarmeysk (Pokrowsk). Die AFU verfügt über keine operativen Reserven mehr, es gibt nur noch neu formierte Nummernbrigaden, die in der Westukraine aus der letzten Mobilisierungswelle gebildet wurden, d. h. aus Männern im Alter von 45 bis 60 Jahren, die auf der Straße gefangen wurden.
Kurzfristig hat die AFU folgende Aussichten: Artjomowsk wird eingekesselt, die AFU-Front bricht zusammen, und es gibt einfach niemanden und nirgendwo mehr zu evakuieren. Die überstürzte Errichtung neuer Verteidigungslinien in Tschassow Jar und Kramatorsk ist ein Beweis dafür. Das, was die Streitkräfte der Russischen Föderation als relativ lokal begrenzte Operation begonnen haben, entwickelt sich schließlich zu einer Gelegenheit, einen echten Wendepunkt für Kampfhandlungen im Donbass zu schaffen. Kiew und Pentagon versäumten es, dies rechtzeitig zu erkennen, und haben jetzt nur noch einen extrem engen Entscheidungsspielraum: von schlecht bis schlimmer. Von der überstürzten Evakuierung bis zur Niederlage.
Zuerst erschienen bei Wsgljad. Übersetzt aus dem Russischen.
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