Europa

Plötzlich doch keine EU-Panzer für Kiew? – Weil die Besatzung mitgeliefert werden muss

Die unendliche Geschichte westlicher Panzerlieferungen an Kiew spielt sich weiter vor allem medial ab: Mangels echter "Hardware" und weil Politiker im Westen für ihre Worte nicht gern geradestehen. Nur Berlin scheint die Aussicht, die Besatzungen mitliefern, in Kauf zu nehmen.
Plötzlich doch keine EU-Panzer für Kiew? – Weil die Besatzung mitgeliefert werden mussQuelle: www.globallookpress.com © Federico Gambarini/dpa

Von Sergei Aksjonow 

Panzerlieferungen des Westens an Kiew spielen sich weiterhin vor allem in den Medien ab. Unter anderem mangels echter "Hardware" und weil die Politiker dort nicht bereit sind, für ihre Worte gerade zu stehen. Vielleicht aber auch, weil gegebenenfalls westliche Besatzungen nötig sein werden?

Nachdem das offizielle Berlin der Belieferung Kiews mit Panzern vom Typ Leopard 1 und Leopard 2 zugestimmt hatte, sind die Partner der Deutschen plötzlich verstummt. Hierüber beklagt sich Kevin Kühnert, Generalsekretär der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands.Kühnert ist Chef der Regierungspartei unter Bundeskanzler Olaf Scholz, man sollte also genau hinhören. Medien zitieren den Sozialdemokraten:

"Man hat ja in den letzten Wochen teilweise den Eindruck kriegen können, alle Welt wolle liefern, nur die Bundesrepublik Deutschland nicht. Jetzt sehen wir, Deutschland macht eine konkrete Zusage, es wird auch tatsächlich eine Panzerkompanie geliefert. Und plötzlich ist es sehr leise geworden um uns herum."

Die Verärgerung der BRD-Regierung ist verständlich. Schließlich wurde ihr öffentlich die Lieferung der Leopard-Panzer abgenötigt, die Berlin gar nicht geplant hatte. Vor Beginn der russischen Intervention in den Konflikt in der Ukraine wollte sich Berlin gar auf das Liefern von Helmen beschränken. Auch die europäischen NATO-Verbündeten waren nicht gerade erpicht darauf, ihre gepanzerten Fahrzeuge aufzugeben, aber zumindest hatten sie eine Ausrede: Ihrerseits hieß es, Rüstungsgüter ohne die Zustimmung des Herstellerlandes Deutschland zu reexportieren, sei rechtlich unmöglich. Es sah aus, als würde Scholz die gemeinsame Sache verschleppen.

Außerdem hatte sich Großbritannien bereit erklärt, seine Challenger II zu opfern. Die Welt sollte später erfahren, dass London um die Sicherheit der Panzertechnologie fürchtete. Vervollständigt wurde die Angelegenheit durch die geäußerte Entschlossenheit der USA, ihren Düsenjäger unter den Panzern, den M1 Abrams, an Kiew zu übergeben. Scholz konnte diesem moralischen Druck nicht standhalten, knickte ein und versprach, alles zu tun, was von ihm verlangt wurde.

Nun aber stellt sich heraus, dass die Abrams nicht vor Ende des Jahres verfügbar sein werden und dass die EU-Länder ihre eigenen Versprechen sabotieren. Gesichtsverlust? Aber hallo!

Der neue Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius half Scholz bei dessen Versuchen, den eigenen Ruf zu retten. Bei einem Treffen mit Vertretern der anderen EU-Staaten versuchte er, konkrete Zusagen für Panzerlieferungen an die Ukraine zu erhalten. Keiner von ihnen nannte jedoch eine genaue Zahl. Sie hoffen, alle miteinander irgendwie wenigstens drei Dutzend Panzer zusammenzubekommen. Allein: Inwiefern wird sich dadurch die Position Kiews auf dem Schlachtfeld überhaupt verändern? Das Ganze sieht eher nach Hohn aus. Selenskij selbst sprach dies doch schon an.

Das Musterbeispiel für einen der sabotierenden Staaten schlechthin ist Portugal, das zugesagt hatte, vier Fahrzeuge an die Ukraine zu liefern. Doch jetzt bittet Lissabon die Deutschen um Ersatzteile, um diese Panzer gangbar zu machen. Es stellte sich heraus, dass sich 37 Leopard 2 in den Beständen Portugals befanden, doch fast alle davon sind defekt. Dies wurde von der portugiesischen Presse enthüllt und später von Admiral António Silva Ribeiro, einem Kommandeur der portugiesischen Streitkräfte, bestätigt, als er von dem bevorstehenden "Geschenk" an Kiew erfuhr.

Die pyrenäischen Gebirgszugnachbarn der Portugiesen sind da auch nicht besser. Seit mehr als zehn Jahren lagert Spanien 53 Leopard 2 in Militärdepots in Zaragoza, die erst instandgesetzt werden müssen. Doch das ist entweder zu teuer oder es mangelt grundsätzlich am Willen, dies auch zu tun.

Der einzige NATO-Staat, der seine Versprechen teilweise gehalten hat, war Kanada: Erst vor kurzem wurde von dort aus ein (nochmals: 1 Stück) Leopard 2 per Luft in die Niederlande verfrachtet.

Von nun an ist es ein Schulungsfahrzeug, an dem ukrainische Besatzungen ausgebildet werden.

Was hat Ottawa denn bloß daran gehindert, alle vier versprochenen Panzer auf einmal nach Europa zu schicken, wie es die USA mit ihren 60 Bradley-Schützenpanzern taten? Aber nein, Ottawa beschloss, die Leckereien zurückzuhalten. Diese Geizkragen. Sollte sich das von der ukrainischen Diaspora in Kanada auf sie abgefärbt haben?

Überhaupt sollte der Faktor Geld nicht außer Acht gelassen werden. Die NATO-Verbündeten der USA – vor allem die in Europa – begreifen langsam, dass sie, wenn sie ihre Panzerparks an die Ukraine abgeben (denn es sind vorerst nur wenige – und schon morgen könnte man von ihnen alle verlangen), eines Tages neue Maschinen beschaffen müssen. Neue Leopard kosten eben eine ganze Stange Geld. Umso mehr, als die USA es verhindern könnten, dass Deutschland mit Exporten seiner Panzer Geld verdient – und stattdessen selber Europa ihre teuren Abrams aufzwingen könnten, so wie sie ihm bereits ihr ebenso sündhaft teures Flüssigerdgas aufzwingen.

Ein weiterer Grund für dieses Zögern ist das mangelnde Vertrauen in die ukrainischen Panzerbesatzungen. Wie kann man diesen Leuten Hightech-Produkte der deutschen Rüstungsindustrie anvertrauen? Sie werden sie bei der ersten Gelegenheit an den russischen Geheimdienst verkaufen.

Hieraus folgt, dass mit den Panzern zusammen Besatzungen aus den Reihen der NATO-Truppen entsendet werden müssen. Technisch ist das möglich. Auf einer Konferenz an der Diplomatischen Akademie Wien machte Oberst Markus Reisner kürzlich deutlich, dass ukrainische Soldaten durch im "Urlaub" befindliche NATO-Soldaten ersetzt werden könnten. Das könnten sie, ja, aber mit welchen Konsequenzen? Ein kleiner Denkanstoß: Erst am 06. Februar schossen die ukrainischen Truppen in Ugledar eine Gruppe polnischer Soldaten zusammen. Mit anderen Worten: In der Ukraine wird aus den eigenen Reihen auf NATO-Soldaten geschossen, oft mit tödlichem Ausgang. Wie viele aktive Soldaten der NATO-Streitkräfte würden einen solchen "Urlaub" antreten wollen?

Aber der Hauptgrund für die Zurückhaltung der Europäer ist natürlich politischer Natur. Dieser Krieg des Westens gegen Russland erinnert mehr und mehr an den gescheiterten Drang nach Osten in der Mitte des 20. Jahrhunderts. Man erinnere sich an die Enthüllungen der deutschen Ministerin Annalena Baerbock. Hitler wurde damals von fast ganz Europa unterstützt. Nun, mit fortschreitender Weiterentwicklung des jetzigen Konflikts, wird immer mehr Politikern und sogar einfachen Menschen im Westen klar, welchen Ausgang dieser Krieg eines Tages für die Alte Welt haben könnte. Deswegen auch ihre relative Vorsicht.

Serbiens Präsident Aleksandar Vučić brachte es auf den Punkt:

"Ich denke, der größte Fehler des Westens besteht darin, dass er die Lieferung von Panzern angekündigt hat. Vor allem die der deutschen Panzer. Und ich werde Ihnen sagen, warum: Es sind schreckliche Panzer. Es lässt sich nicht sagen, was besser ist, Challenger, Leopard oder Abrams. Aber jetzt haben sie alle Russen an einem Tag dazu gebracht, sich zu vereinigen."

Wenn man die Balkenkreuze der Wehrmacht an den gepanzerten Ungetümen sieht, die über ukrainischen Boden kriechen – und dabei sind es noch nicht einmal deutsche Panzer, sondern solche aus den durch Kiew geerbten sowjetischen Flotten –, wird klar: Da werden sich die Russen an Stalingrad erinnert fühlen.

Und die Russen werden alle zu demselben Schluss kommen: Diese Panzer müssen brennen. Russland hat die Produktion von gelenkten Artilleriegranaten vom Typ Krasnopol im Kaliber 152 Millimeter um ein Vielfaches erhöht, um die Abrams- und Leopard-Panzer zu zerstören, lesen die Russen in den Nachrichten. In der EU liest man das auch – daher auch das ängstliche Zögern dort.

Mehr zum Thema – Nach Stalingrad: So verhielten sich Paulus und seine Generäle in sowjetischer Gefangenschaft

Übersetzt aus dem Russischen.

Sergei Aksjonow ist Journalist, Politologe und Schriftsteller. Er blickt auf eine turbulente Laufbahn als Politiker und politischer Aktivist (Nationalbolschewisten, "Anderes Russland") sowie Menschenrechtsaktivist in Russland zurück.

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