Westlicher Balkan am Scheideweg: Ungebetene NATO-Hilfe, die man nicht ablehnen kann?
Von Marinko Učur
Kenner der Lage auf dem Balkan neigen zu der Behauptung, dass ein Teil der Mittel dieser Militärhilfe für Bosnien und Herzegowina (BIH) zur Vorbeugung von Cyberangriffen und der andere Teil zur Verhinderung des nicht bestehenden "russischen bösartigen Einflusses" verwendet werden soll. Offizielle Vertreter Sarajevos nahmen das NATO-Angebot begeistert an und behaupteten, es wäre "unlogisch, dieses Angebot abzulehnen", obwohl es in dieser ehemaligen jugoslawischen Republik keinen Konsens über die Bestrebungen des Bündnisses gibt, dieses ethnisch gespaltene Land unter seine Fittiche zu nehmen.
"Niemand hat die NATO um Hilfe gebeten, und die dreiköpfige Präsidentschaft von Bosnien und Herzegowina sollte sie nicht annehmen", reagierte der Präsident der Republika Srpska Milorad Dodik rasch und behauptete, dies wäre eine völlig vernünftige Entscheidung eines souveränen Landes, dessen Bestrebung in Richtung Demilitarisierung und nicht in Richtung Konzentration von Waffen und militärischer Ausrüstung gehen sollte.
Es ist klar, dass die NATO mit dieser Spende diesem Land, in dem die Erinnerungen an Krieg und Leid noch frisch sind, keine Hilfe leistet, insbesondere unter dem Gesichtspunkt, dass weder eine offizielle Institution darüber entschieden hat, noch irgendjemand offiziell einen Antrag wegens des Bedarfs an irgendwelcher militärischer Unterstützung gestellt hat. Selbst wenn, dann ginge das eindeutig über die Verfassung und das Gesetz hinaus.
Das Land, das immer noch die Wunden des blutigen Bürgerkriegs der 1990er Jahre heilen muss, ist aufgrund der noch frischen und bitteren Erinnerungen an seine Rolle bei der Bombardierung der Serben im Jahr 1999 und bei der bis heute andauernde Besetzung der serbischen Provinz Kosovo nicht bereit, die NATO als Faktor für Frieden und Stabilität zu akzeptieren. In Bosnien ist dies keine Mehrheitsentscheidung, in der Republika Srpska aber durchaus dominant, woher auch der energische Widerstand der serbischen Seite rührt, auch gegen die Rolle, die sich die NATO in diesem ethnisch heterogenen und instabilen Staat zugedacht hat.
Befürworter einer engen Verbindung mit der NATO und gar einer möglichen Mitgliedschaft dieses Landes in dieser Allianz behaupten, dass das Land aufgrund der restriktiven Ausgaben im BIH-Haushalt für die Verteidigung von nur etwa 0,8 Prozent des gesamten BIP gezwungen ist, sich an Partner und Geber zu wenden, um dadurch zu versuchen, den Bedarf des Verteidigungssektors zumindest teilweise zu kompensieren. Die NATO-Mission in Bosnien und Herzegowina behauptet, dass das Land "mit seinen internen Entscheidungen bestimmte Verpflichtungen eingegangen ist und die Allianz um Unterstützung gebeten hat", und bestreitet die Behauptungen serbischer Politiker, die das Vorliegen einer solchen offiziellen Entscheidung von höchster staatlicher Seite, nämlich von der Präsidentschaft, bestreiten.
Die USA als größter Geber von Militärhilfe zeigen eine gewisse Müdigkeit angesichts der ständigen Investitionen in den Verteidigungssektor dieses Landes und erwarten, dass die Behörden durch Eigenmittel oder Kapitalinvestitionen die Fähigkeiten der Streitkräfte erhöhen, um autark zu werden. Doch die schwache Wirtschaft kollidiert heftig mit den angestrebten 2 Prozent des BIP für den Verteidigungssektor – dessen sind sich Befürworter einer engeren Anbindung an das NATO-Bündnis bewusst, das unverhohlene Bestrebungen zeigt, dieses Land unter seinen Verteidigungsschirm aufzunehmen. "Eine Partnerschaft mit der NATO" ist nach Ansicht vieler nur ein anderer Name für die unaufhaltsame Bewegung des Landes in Richtung einer Vollmitgliedschaft in diesem Bündnis – trotz des mangelnden Konsens und der fehlenden Zustimmung der drei konstitutiven Völker.
Die US-Amerikaner rühmen sich, die Streitkräfte des Landes unterstützt zu haben, indem sie leichte Transportfahrzeuge, Huey II-Hubschrauber und individuelle Ausrüstung zur Unterstützung leichter Infanterieeinheiten gespendet haben. Sie warnen jedoch davor, dass sich die Streitkräfte "nicht nur auf westliche Hilfe verlassen können" und fordern die lokale Regierung auf, die erforderlichen finanziellen Mittel für die weitere Modernisierung und die Bewältigung der Herausforderungen der Zukunft bereitzustellen.
BIH unterhält derzeit eine Partnerschaftsbeziehung mit der NATO, aber Artikel 84 des Verteidigungsgesetzes von Bosnien und Herzegowina, das von Parteien der jeweiligen drei konstitutiven Völker angenommen wurde, sieht sogar eindeutig die Mitgliedschaft von Bosnien und Herzegowina in der NATO vor. Die Präsidentschaft von Bosnien und Herzegowina richtete nach einer Zustimmung aller drei Präsidentschaftsmitglieder im Jahr 2009 einen Brief an das NATO-Bündnis, in dem das Bekenntnis für die Mitgliedschaft unterstrichen wurde, und nahm 2016 auch einstimmig die Verteidigungsüberprüfung an, die 16 Projekte für die Modernisierung der Streitkräfte vorsieht, um BIH weiter an die NATO-Standards anzunähern. Seitdem hat sich jedoch nicht viel zur Umsetzung dieser Projekte getan. Und die große Frage ist, wie der Weg dieses fragilen Balkanstaates in die NATO aussehen und wie lange er dauern wird.
Unterdessen gibt es sporadische Debatten über die Zweckmäßigkeit der Existenz von Streitkräften in einem Land, das unlängst erst einen blutigen ethnischen Bürgerkrieg erlebt hat. Welche Rolle würden diese Kräfte in einem angenommenen Krieg spielen? Weniger als 10.000 Mann und etwas mehr als 150 Millionen Euro im Verteidigungshaushalt sind für jedermann eine unzureichende Unterfütterung, außer dass diese Truppen als mögliche NATO-Soldaten ein potenzielles Kanonenfutter in einigen der vermuteten NATO-Abenteuer auf der Welt wären.
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