Europa

Das Scheitern der ukrainischen Gegenoffensive führt zu schweren Schuldzuweisungen

Die ukrainische Offensive hat die Geschlossenheit zwischen Kiew und dem Westens bröseln lassen – mit Folgen für die menschlichen und militärischen Ressourcen der Ukraine. Das bedeutet, dass das Interesse Russlands an einem Waffenstillstand nicht länger als selbstverständlich betrachtet werden kann.
Das Scheitern der ukrainischen Gegenoffensive führt zu schweren SchuldzuweisungenQuelle: www.globallookpress.com © Presidential Office Of Ukraine/Keystone Press Agency

Von Andrew Korybko

Zwei kurz aufeinanderfolgende Artikel, die vergangene Woche von Newsweek und Politico veröffentlicht wurden, berichten von schweren Schuldzuweisungen, nachdem die Gegenoffensive der Ukraine vorhersehbar gescheitert ist. Der erste Artikel wurde am vergangenen Mittwoch veröffentlicht und titelte: "Der Aufruf von Selenskij zur entscheidenden Gegenoffensive droht die Führung zu spalten" – eine Spaltung zwischen der Präsidialverwaltung, die sich auf eine mögliche russische Offensive vorbereiten will, und den Streitkräften, die in der Offensive bleiben wollen. Eine ungenannte Quelle behauptete außerdem, dass sich die Politik vom Militär in die Irre geführt fühle.

Im zweiten Artikel, der einen Tag später erschien, stellte der Autor fest: "Während die Gegenoffensive der Ukraine ins Stocken gerät, geht es wieder an den Planungstisch." Das Problem ist jedoch, dass niemand weiß, was als Nächstes zu tun ist, da man sich nicht einig darüber ist, was von Anfang an schiefgelaufen ist. Laut diesem Bericht in Politico zeigen alle mit dem Finger auf jene, die unrealistisch große Hoffnungen in diese gescheiterte Offensive geweckt haben.

Es war von Anfang an offensichtlich, dass die ukrainische Gegenoffensive scheitern musste, weil Russland im "Wettlauf der Logistik" beziehungsweise im "Zermürbungskrieg" einen immer größeren Vorsprung gewinnen konnte, diese Offensive aber dennoch aus politischen Gründen lanciert wurde. Erstens ging es dabei um das Interesse des Westens, unschätzbar wertvolle Erfahrungen mit und Daten über ihren Waffensysteme in einer realen Kriegssituation zu sammeln, zweitens war da die Unfähigkeit Kiews, seine maximalistischen Forderungen an Moskau zurückzunehmen.

Diese Katastrophe wäre daher völlig vermeidbar gewesen, was der westlichen Öffentlichkeit immer bewusster wird und ihr langsam dämmert, dass ihre über 165 Milliarden US-Dollar an Hilfen für Kiew die Pattsituation, die im vergangenen Winter herrschte, nicht brechen konnten. Die klügsten unter ihnen könnten sich bald auch fragen, warum damals kein Waffenstillstand vereinbart wurde, um sich auf den Wiederaufbau der vom Krieg zerrissenen Ukraine zu konzentrieren, weshalb ihre Staatslenker jetzt verzweifelt versuchen, die Schuld auf andere abzuwälzen, um den wachsenden öffentlichen Unmut von sich selbst wegzulenken.

Zehntausende ukrainischer Soldaten wurden seit Januar getötet und Dutzende Milliarden US-Dollar verbrannt, nur um weniger als 260 Quadratkilometer zurückzuerobern, was sich aus der Sicht eines durchschnittlichen Ukrainers oder eines westlichen Steuerzahlers in keiner Weise gelohnt hat. Die einzige Seite, die von all dem profitierte, war der militärisch-industrielle Komplex, allerdings auf Kosten einer weiteren Erschöpfung der Bestände in den Waffenlagern des Westens, was es für ihn schwieriger macht, auf unerwartete Krisen zu reagieren.

Berichten zufolge nehmen an der ukrainischen Front die militärisch-politischen Spaltungen zu, wie aus dem Bericht in Newsweek hervorgeht, in dem auch behauptet wird, Russland bereite sich auf seine eigene Offensive vor, die irgendwann im Herbst beginnen und im kommenden Frühjahr zu einer vollwertigen Offensive ausgedehnt werden soll. Unterdessen ist die Stimmung im Westen laut dem Bericht von Politico weniger dramatisch, wo die Offiziellen hauptsächlich versuchen, die Schuld für das Scheitern den Experten und Medien zuzuschieben, obwohl die US-Republikaner natürlich versuchen werden, für die kommenden Präsidentschaftswahlen Kapital daraus zu schlagen.

Die jüngsten Beobachtungen darüber, wie kontraproduktiv die Gegenoffensive für die Einheit der Ukraine und des Westens war, für die Solidarität untereinander und die menschlichen und militärischen Ressourcen der Ukraine, bedeuten, dass das Interesse Russlands an einem Waffenstillstand nicht länger als selbstverständlich betrachtet werden kann. Russland hat wohl mehr zu gewinnen, wenn es den Kampf weiterführt, als wenn es den Konflikt einfach einfriert, da die Schwächen seiner Feinde die Chancen erhöhen, dass alle von Moskau beanspruchten ehemaligen ukrainischen Gebiete endgültig befreit werden können.

Das soll nicht heißen, dass es für Russland keine Möglichkeit gibt, einem Waffenstillstand zuzustimmen, sollte der unwahrscheinliche Fall eintreten, dass die USA der Forderung von Präsident Putin von Ende Juni nachkommen, die Waffenlieferungen an die Ukraine einzustellen, als Voraussetzung für die Wiederaufnahme der entsprechenden Gespräche. Es bedeutet lediglich, dass dies dann seine bisher überraschendste "Geste des guten Willens" wäre. Auf jeden Fall ist er der Oberbefehlshaber, und was auch immer er letztendlich entscheidet – sei es eine eigene Offensive zu lancieren oder Waffenstillstandsverhandlungen – sollte von allen Unterstützern Russlands respektiert werden.

Aus dem Englischen.

Andrew Korybko ist ein in Moskau ansässiger amerikanischer Politologe, der sich auf die US-Strategie in Afrika und Eurasien sowie auf Chinas Belt & Road Initiative, Russlands geopolitischen Balanceakt und hybride Kriegsführung spezialisiert hat.

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