Europa

Wie die Zweckehe zwischen der Ukraine und Polen ein dramatisches Ende fand

Vergangene Woche zog sich Polen – zusammen mit Ungarn und der Slowakei – aus der EU-Plattform zur Koordinierung der ukrainischen Getreideexporte zurück. Jetzt beschuldigt der ukrainische Staatschef hysterisch die notorisch russophoben Polen, den Russen in die Hände zu spielen.
Wie die Zweckehe zwischen der Ukraine und Polen ein dramatisches Ende fandQuelle: www.globallookpress.com © Ukraine Presidency / Ukrainian Pre

Von Rachel Marsden

Die Beziehung zwischen der Ukraine und Polen hat offenbar jene Phase erreicht, wo man sich gegenseitig mit Gegenständen bewirft. In seiner Rede vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen sagte Präsident Wladimir Selenskij, es sei "alarmierend zu sehen, wie einige Länder in Europa dazu beitragen, einem Moskauer Akteur eine Bühne zu bieten". Welche Länder könnte er damit gemeint haben?

"Ich hoffe, diese Worte waren nicht an Polen gerichtet", kommentierte der polnische Regierungssprecher. Wenn man sich diese Frage stellen muss, kennt man die Antwort wahrscheinlich bereits. Ja, Selenskij wirft Polen vor, sich mit Russland ins Bett gelegt zu haben.

Gefühlt war es erst gestern, als Polen die EU-Mitgliedsstaaten drängte, der Ukraine Waffen bereitzustellen. Bereits im Mai gelang es Warschau, Dänemark und Finnland dazu zu bewegen, der Ukraine ihre deutschen Leopard-Panzer zu überlassen und in Berlin Druck zu machen, weil man im Kanzleramt mit der Erlaubnis zur Wiederausfuhr dieser Panzer zögerte. "Selbst wenn wir diese Erlaubnis nicht bekommen, werden wir – innerhalb dieser kleinen Koalition –, auch wenn Deutschland nicht mitzieht, diese Panzer an die Ukraine übergeben", erklärte der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki damals.

Schneller Vorlauf zu dieser Woche. "Wir transferieren keine Waffen mehr in die Ukraine, weil wir Polen uns jetzt selber mit moderneren Waffen ausrüsten müssen", verkündete Morawiecki. Mit anderen Worten: Warschau hat entschieden, dass es sich von nun an auf sich selbst konzentrieren will. Klingt das nicht wie ein verärgerter Ehepartner, der eine Zeit lang auf der Couch eines Therapeuten gelegen hat und schließlich zur Besinnung gekommen ist?

Vergangene Woche zog sich Polen – zusammen mit Ungarn und der Slowakei – aus der EU-Plattform zur Koordinierung der ukrainischen Getreideexporte zurück. Informierte Quellen behaupten, dass diese Länder befürchteten, dass die Beteiligung an dieser EU-Plattform in einer Klage bei der Welthandelsorganisation gegen sie verwendet werden könnte, die Kiew Anfang dieser Woche gegen diese Länder eingereicht hat. Mit der Klage reagierte die Ukraine darauf, dass diese Länder ihre Einfuhrverbote für ukrainisches Getreide aufrechterhalten – trotz gegenteiliger Entscheidung aus Brüssel, diese weiterhin zuzulassen.

Somit hat Warschau seine Liebe zu Kiew mit einem Paukenschlag beendet. Es verhält sich wie eine Partei einer möglicherweise chaotischen Scheidung und ergreift nun Selbsterhaltungsmaßnahmen gegen einen toxischen Ex-Partner. Ein Partner, der auch dann noch Forderungen stellt, wenn man deutlich "Nein" gesagt hat. Und genau das haben diese drei Länder getan, indem sie darauf bestanden, dass die Einfuhr von ukrainischem Getreide verboten bleibt, damit es nicht mit dem Getreide ihrer eigenen Bauern konkurriert und die Marktpreise drückt.

Anstatt zu versuchen, die Situation aus der Perspektive dieser Länder zu betrachten, hat Kiew einen Fehler gemacht. "Der systemische Ansatz von Budapest und Warschau, die Position der EU-Institutionen in der Handelspolitik zu ignorieren, wird meiner Meinung nach ein Problem für die EU im Allgemeinen sein, weil dort offensichtlich keine Einigkeit herrscht", sagte Taras Katschka, der stellvertretende ukrainische Minister für Entwicklung von Wirtschaft, Handel und Landwirtschaft. Kiew tut so, als könne es nicht verstehen, warum Brüssel die drei Länder gewähren lässt, während man der Ukraine gegenüber weiterhin Verbindlichkeiten ausspricht.

Das liegt daran, dass diese drei Länder in einer verbindlichen Beziehung zur EU stehen. Im Gegensatz dazu ist die Ukraine eine Nebenfrau, die auf einen Ring hofft und giftige Taktiken anwendet, um jeden so zu manipulieren, dass sie immer das bekommt, was sie will. Doch jetzt sind alle Hemmungen gefallen, nachdem die Ukraine es gewagt hat, den Eindruck zu erwecken, dass die EU nicht geeint sei. Das droht das zentrale Kernthema – Einigkeit – der nicht gewählten EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zu ruinieren.

Kiew verschärft nun das Psycho-Spiel und droht damit, polnische Äpfel und Zwiebeln sowie ungarische Autos mit Einfuhrverboten zu belegen, sofern die Importverbote für ukrainisches Getreide nicht aufgehoben werden. Polen hat daraufhin mit einem Gegenangriff gedroht. "Ich warne die ukrainischen Behörden, denn wenn sie diesen Konflikt auf diese Weise eskalieren lassen, werden wir weitere ukrainische Produkte mit einem Einfuhrverbot in das Hoheitsgebiet der Republik Polen belegen", verlautbarte Premierminister Morawiecki am vergangenen Mittwoch.

Und welche Rolle spielt die EU bei diesen Verstimmungen, fragen Sie sich vielleicht? Brüssel ist derzeit damit beschäftigt, der Kritik der EU-Mitgliedsstaaten wegen der Aufhebung des Importverbots für ukrainisches Getreide auszuweichen. Der ungarische Landwirtschaftsminister István Nagy betonte im Anschluss an ein Treffen der Landwirtschaftsminister der EU, dass von der Leyen sich zu diesem Thema nicht mit den Staats- und Regierungschefs der Mitgliedsstaaten abgesprochen habe, sondern lediglich mit dem ukrainischen Präsidenten.

Er wies weiter darauf hin, dass die EU ihren eigenen Landwirten in den Rücken fällt, zugunsten saudischer, amerikanischer und niederländischer Investitionen in den ukrainischen Getreidemarkt. Nicht dass dies das erste Mal wäre, dass die EU sich selbst und ihre Bürger zum Wohle amerikanischer Interessen ruiniert und dabei die Ukraine als Vorwand nutzt. Man frage einfach die Millionen europäischen Bürger, die für die Entscheidung, billige russische Energie durch viel teureres Flüssigerdgas aus den USA zu ersetzen, die Zeche zahlen müssen.

Polen hat sich als Vorreiter hervorgetan, sich der EU-Königin Ursula zu widersetzen. Der Vorteil für Warschau besteht nun darin, dass man sich nicht mit jener Art von Protesten auseinandersetzen muss, mit denen die bulgarische Regierung jetzt konfrontiert ist, nachdem sie die Einfuhr von ukrainischem Getreide weiterhin zugelassen hat. Bulgarische Bauern blockierten Anfang dieser Woche Autobahnen und Grenzübergänge. Zumindest bisher scheint es so, als ob Brüssel sich nicht allzu sehr in das Kreuzfeuer verwickeln lassen will, bei dem sich Polen und die Ukraine ihre Wutanfälle entgegenschleudern.

Nach einem Telefonat am vergangenen Donnerstag zwischen den Landwirtschaftsministern Polens und der Ukraine erkannte Kiew schließlich "die engen und konstruktiven Beziehungen" zu Warschau an und man einigte sich darauf, in naher Zukunft Optionen für eine Zusammenarbeit in Fragen des Exports zu erörtern. Es sieht ganz danach aus, als ob sich Warschau und Kiew plötzlich Gedanken über ihren öffentlich ausgetragenen Krach gemacht haben und darüber, wie ihre Streitereien in der Nachbarschaft wahrgenommen werden – und bemühen sich jetzt zumindest den Schein zu wahren.

Aus dem Englischen.

Rachel Marsden ist Kolumnistin, politische Strategin und Moderatorin eines unabhängig produzierten französischsprachigen Programms, das auf Sputnik France ausgestrahlt wird. Ihre Webseite findet man unter rachelmarsden.com.

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