Reise ins Nirgendwo – Die große EU-Erweiterung wird ausfallen
Von Pierre Lévy
Die Erweiterung wird nicht stattfinden. Diese Vorhersage mag paradox erscheinen, da die Kommission am 8. November ihre Empfehlungen zu den Aussichten auf einen EU-Beitritt von sechs Balkanländern sowie der Ukraine und Moldawien veröffentlicht hat.
In seiner jährlichen Bestandsaufnahme schlägt Brüssel die Aufnahme von "Verhandlungen" mit den beiden letztgenannten Ländern vor, denen im Juni letzten Jahres der offizielle Kandidatenstatus zuerkannt worden war. Der gleiche Vorschlag wird auch Bosnien unterbreitet. Für die Länder, die bereits in die Gesprächsphase eingetreten sind, will die Kommission sechs Milliarden Euro bereitstellen, um die internen "Reformprozesse" zu beschleunigen.
Brüssel schlägt außerdem vor, Georgien eine Stufe weiterkommen zu lassen, indem man ihm den Kandidatenstatus verleiht. Alle diese Empfehlungen sind an Bedingungen geknüpft, die im März 2024 bewertet werden. Inzwischen sollte der Europäische Rat (die Staats- und Regierungschefs der 27 EU-Mitgliedsstaaten) auf seinem Treffen am 14. und 15. Dezember grünes Licht für den Beginn der "Verhandlungen" geben.
Bei früheren Beitrittswellen dauerten die "Verhandlungen" (das heißt eigentlich eine allgemeine Überprüfung, um die Gesetze der Kandidatenländer an die EU-Verpflichtungen anzupassen) viele Jahre, obwohl es sich um Länder handelte, die die EU-Standards in größerem Masse erfüllten. Dieses Mal ist der Prozess noch komplexer. Mehrere EU-Experten halten es für unwahrscheinlich, dass er erfolgreich abgeschlossen werden kann.
Dies gilt zum Beispiel für eine Studie zweier Wissenschaftler, die wenige Tage vor dem Europäischen Rat am 6. Oktober in Granada veröffentlicht wurde, einem Gipfeltreffen, das dem Prozess neuen Schwung verleihen wollte. Die beiden Autoren, Hans Kribbe und Luuk van Middelaar, arbeiten für einen Brüsseler Thinktank und sind als solche natürlich Befürworter der europäischen Integration. Ihre Analyse ist daher umso interessanter.
In ihrer Schlussfolgerung vertreten Kribbe und van Middelaar die Ansicht, dass die EU-Führer "vor dem Dilemma stehen, ein Ziel zu erreichen, das sowohl notwendig als auch unmöglich ist". Jeder der beiden Begriffe bedarf einer näheren Erläuterung.
"Notwendig"? In den Augen der EU-Führer hat der Krieg in der Ukraine das Bestreben beschleunigt, die Staaten, die sie als Teil ihres Einflussbereichs betrachten, enger an sich zu binden (ein höflicheres Verb als "annektieren"). Die Kommissionspräsidentin erklärte es in fast messianischer Manier: "Die Erweiterung ist die Antwort auf den Ruf der Geschichte, sie ist der natürliche Horizont unserer EU." Ist es nicht genau das, was ein Imperium ausmacht, den Horizont der Grenzen immer weiter zu verschieben? Für die ehemalige deutsche Verteidigungsministerin "müssen unsere Nachbarn zwischen 'Demokratie' und 'autoritärer Herrschaft' wählen", mit anderen Worten zwischen Gut und Böse, zwischen der EU und Russland.
Denn prosaischer ausgedrückt sind die Ambitionen der Erweiterung geopolitischer Natur. Frau von der Leyen macht keinen Hehl daraus, dass die Erweiterung eine "Investition in unsere Sicherheit" und ein Weg zur "Stabilisierung unserer Nachbarschaft" ist. Was die Studie der Forscher ungeschminkt klarstellt: "Andere geopolitische Akteure wie Russland oder China aus dieser potenziell instabilen Region fernzuhalten, ist zu einer absoluten Priorität geworden."
Doch nachdem die "Notwendigkeit" erklärt wurde, befasst sich die Studie mit den explosiven Widersprüchen, die dieser Prozess unweigerlich hervorrufen wird. Sie unterteilen diese "unglaublich schwierigen Herausforderungen in den kommenden Jahren" (das sind ihre eigenen Worte) in fünf Bereiche.
Zunächst einmal "Entscheidungsfindung und Institutionen". Die Frage der "Regierbarkeit", die bereits mit 27 Mitgliedsstaaten kompliziert ist, würde mit 35 oder mehr Mitgliedsstaaten nahezu unmöglich werden. Von daher müsste die EU reformiert werden, insbesondere müsste sie die Einstimmigkeitsregel in den letzten Bereichen, in denen sie noch besteht, wie Steuern und Außenpolitik, abschaffen. Berlin setzt sich stark dafür ein, aber viele kleinere Länder sind dagegen. Das Problem: Um die Verträge zu reformieren (wie auch um ein neues Mitglied aufzunehmen), braucht man Einstimmigkeit.
Der zweite Bereich betrifft den EU-Haushalt. Entweder wird dieser sehr stark erhöht, indem die Beiträge der derzeitigen Mitglieder angehoben werden – ein völlig unrealistischer Weg; oder derselbe Kuchen wird in mehr und damit kleinere Stücke aufgeteilt. Da die Beitrittsländer ein Pro-Kopf-BIP von weniger als der Hälfte des EU-Durchschnitts haben, würden die derzeitigen Nettoempfänger (diejenigen, die von Brüssel mehr als den von ihnen gezahlten Beitrag erhalten, sehr oft die osteuropäischen Länder), zu Nettozahlern werden. Dies gilt unter anderem sowohl für regionale Subventionen (ein Drittel des EU-Haushalts) als auch für die Landwirtschaft (ein weiteres Drittel).
Die Autoren schätzen, dass "die Ukraine allein über 40 Millionen Hektar landwirtschaftliche Nutzfläche verfügt – mehr als ganz Italien – und zu einem der größten Empfänger von GAP-Geldern (Gemeinsame Agrarpolitik) werden würde", natürlich auf Kosten der derzeitigen Mitglieder, was explosive Auseinandersetzungen verspricht. All dies kommt zu den Hunderten von Milliarden hinzu, die laut Kiew für den Wiederaufbau erforderlich sein werden – ganz zu schweigen vom Ausgang des Krieges.
Im dritten Bereich, der mit "Binnenmarkt, Freizügigkeit und Beschäftigung" überschrieben ist, stellen die Experten fest, dass "auf einigen Märkten, wie dem Agrarmarkt, der Zustrom billigerer Waren, Kulturen und Produkte auch die lokale Wirtschaft treffen und zur Schließung von Unternehmen und landwirtschaftlichen Betrieben führen könnte". Schon heute, so erinnern die Autoren, "hat die Entscheidung, den Binnenmarkt für ukrainisches Getreide zu öffnen, bereits zu heftigen Spannungen mit Polen und anderen osteuropäischen Ländern geführt".
Und nicht nur das: Die Unterschiede bei den Arbeitskräften "könnten kurzfristig auch das Lohnniveau in der Union senken, eine korrosive Wirkung auf die Arbeitsbedingungen haben und gesellschaftliche und politische Unzufriedenheit schüren".
Kribbe und van Middelaar mahnen, dass der explosionsartige Anstieg der innereuropäischen Einwanderung in das damalige EU-Mitglied Großbritannien zum Ergebnis des Brexit-Referendums 2016 beigetragen hatte. Sie hätten auch die Tausende von Industrieverlagerungen in die Beitrittsländer und die Hunderttausende von Arbeitsplätzen, die dadurch im Westen verloren gingen, erwähnen können.
Im vierten Bereich, "Rechtsstaatlichkeit und Demokratie", weist der Bericht auf die Schwierigkeit hin, von den Bewerbern vorbildliche Regelungen zu verlangen, während Brüssel der Ansicht ist, dass mehrere derzeitige Mitglieder (Polen, Ungarn und weitere Länder) die erforderlichen Kriterien missachten.
Der letzte Bereich umfasst die "äußere Sicherheit". Die Autoren stellen fest, dass "der territoriale Schwerpunkt der Union sich weiter nach Osten verlagern wird, vom Atlantik zum Schwarzen Meer", und weisen also auf die Wahrscheinlichkeit hin, dass "die Abhängigkeit von den USA in Sicherheitsfragen zunehmen wird".
Kurz gesagt: Einerseits können die EU-Führer aufgrund ihrer geopolitischen Ambitionen, insbesondere gegenüber Russland, ihrer Lust auf den Drang nach Osten nicht widerstehen. Anderseits aber, wenn sie diesen Weg einschlagen, wird dies sicher zu fatalen Spannungen innerhalb der EU-27 führen.
Eine weitere, nicht zu unterschätzende Herausforderung bestehe darin, Wege zu finden, um ihre eigenen Wähler zu gewinnen. Kribbe und van Middelaar erinnern daran, dass das doppelte Nein der Franzosen und Niederländer zum Entwurf des europäischen Verfassungsvertrags von 2005 auf die Erweiterung von 2004 folgte.
Daher der Alarmruf: "Die Union beginnt gerade erst, sich mit den Herausforderungen, Kosten, Risiken und Nachteilen auseinanderzusetzen, die eine erweiterte EU mit sich bringen könnte, ganz zu schweigen von der potenziellen Reaktion der Bevölkerung nicht nur gegen den einen oder anderen Beitritt, sondern auch gegen die Union selbst."
Um die fatale Explosion zu verhindern, kann man davon ausgehen, dass es zu gegebener Zeit letztendlich realistische Führer geben wird, die den Prozess einfrieren werden – leider.
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