Europa

Wegen russischer Herkunft – Wie die EU die Schlinge um Telegram zuzieht

Schon vor der Verhaftung von Pawel Durow geriet die Messenger-App Telegram wegen ihrer "russischen Herkunft" ins Fadenkreuz der EU. Nach dem neuen EU-Zensurgesetz (DSA) müssen soziale Medien "Desinformation" zensieren. Dabei wird nicht definiert, was "Desinformation" sein soll.
Wegen russischer Herkunft – Wie die EU die Schlinge um Telegram zuzieht© Cfoto / Keystone Press Agency

Die Verhaftung des Telegram-Gründers Pawel Durow in Frankreich ist die jüngste Eskalation in einer EU-weiten Kampagne gegen den russischen Unternehmer und seine auf Datenschutz ausgerichtete Messaging-App. Nach begrenzten Verboten in einigen Mitgliedsstaaten kündigten Beamte in Brüssel Anfang des Jahres an, dass sie ihre eigenen Gesetze beugen würden, um Zensurregeln auf der Plattform durchzusetzen.

Durow, der auch die französische Staatsbürgerschaft besitzt, wurde am Samstag auf dem Flughafen Paris-Le Bourget verhaftet, unmittelbar nachdem er mit einem Privatjet aus Aserbaidschan gekommen war. Französischen Medien zufolge wollen die Pariser Staatsanwälte den 39-Jährigen wegen Beihilfe zum Drogenhandel, Pädophilie und Betrug anklagen. Angeblich würden die unzureichende Moderation der Inhalte und die starke Verschlüsselung von Telegram sowie die angeblich mangelnde Zusammenarbeit mit der Polizei dazu führen, dass die Kriminalität in der App gedeihen kann. Bereits in den Jahren vor Durows Verhaftung haben EU-Beamte und einzelne Mitgliedstaaten Telegram mit Verboten, Verordnungen und mit rechtlichen Schritten gedroht.

2021: Deutschland ruft zum Handeln auf

Nachdem eine Gruppe radikaler Impfgegner verhaftet wurde, weil sie im Jahr 2021 angeblich über Telegram die Ermordung des sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer (CDU) geplant haben sollen, forderte der deutsche Justizminister Marco Buschmann (FDP) eine EU-weite Initiative zur Einschränkung dieser Plattform. Während der Coronavirus-Pandemie hatten Ministerpräsidenten und Innenminister in Deutschland ihren Unmut über die Weigerung von Telegram geäußert, Anti-Lockdown-Aktivisten von der Plattform zu verbannen. Buschmann meinte, dass ein gemeinsames Vorgehen der EU einen größeren Eindruck auf Telegram machen würde, als wenn "jedes Land versucht, das alleine zu machen". Telegram hatte und hat seinen Hauptsitz in Dubai. Berichten zufolge weigerte sich Durow, mit den deutschen Behörden zu kommunizieren. Damals warnte die deutsche Innenministerin Nancy Faeser (SPD): Berlin werde sich Durows Weigerung zur Zusammenarbeit "nicht gefallen lassen".

2022 bis 2024: Verbote und Einschränkungen

Der Ukraine-Konflikt gab nationalen und regionalen Regierungen im Westen einen Vorwand, Telegram zu drosseln. Das norwegische Justizministerium berief sich auf die "russischen Ursprünge" der Plattform, als es Regierungsangestellten letztes Jahr verbot, die App auf ihren Arbeitsgeräten zu installieren. Auch die Amsterdamer Stadtverwaltung berief sich auf die angebliche Gefahr "ausländischer Spionage", als sie letzte Woche ein ähnliches Verbot für Angestellte der niederländischen Stadt erließ. Frankreich wies letztes Jahr seine Beamten an, aufgrund von Sicherheitsbedenken von Telegram und anderen Messaging-Apps auf landeseigene Alternativen zu wechseln. Im März dieses Jahres ordnete das Oberste Gericht Spaniens den Mobilfunkanbietern des Landes an, den Zugang zu Telegram zu sperren. Aber gleichzeitig durfte wegen Urheberrechtsverletzungen ermittelt werden. Der Gerichtsentscheid über die Sperrung wurde zwar innerhalb weniger Tage aufgehoben, aber die Ermittlungen dauern noch an.

2024: Zensur wird verschärft

Anfang dieses Jahres trat das EU-Gesetz über digitale Dienste (DSA) in Kraft. Es verpflichtet sogenannte "sehr große Online-Plattformen" – mit mehr als 45 Millionen monatlichen Nutzern – zur Einhaltung einer Reihe von Datenschutz- und Werbevorschriften. Solche großen Plattformen müssen nach dem neuen Gesetz auch "gegen die Verbreitung von Desinformation vorgehen". Im Gesetz über digitale Dienste wird der Begriff "Desinformation" mehr als ein Dutzend Mal verwendet, ohne dass er definiert wird.

Obwohl Telegram nach eigenen Angaben 41 Millionen monatliche Nutzer in der EU hat, und damit in Bezug auf die vorgeschriebene Zensur unter den im Gesetz festgelegten 45 Millionen Nutzern liegt, erklärte die Vizepräsidentin der Europäischen Kommission für Werte und Transparenz, Věra Jourová, im Mai gegenüber Bloomberg, dass die Plattform ein "Sonderfall" sei. Insofern würde diese ohnehin untersucht und möglicherweise auf die Liste gesetzt werden. Jourová beschuldigte Telegram, die Verbreitung russischer "Desinformationen" zu ermöglichen. Sie bezeichnete es als "ein Problem", dass die Plattform "besonders in den östlichen Mitgliedsstaaten aktiv ist, wo wir eine russischsprachige Minderheit haben".

Im Vorfeld einer möglichen Regulierung hat Telegram ein in Brüssel ansässiges Unternehmen zu seinem rechtlichen Vertreter in der EU ernannt. Infolgedessen werden die belgischen Behörden für die Durchsetzung des EU-Rechts gegen Durows Unternehmen verantwortlich sein. Letzte Woche gab das Belgische Institut für Post und Telekommunikation (BIPT) bekannt, es könne immer noch nicht beweisen, dass Telegram mehr als 41 Millionen monatliche Nutzer hat. Nach dem DSA-Gesetz kann die EU gegen Plattformen, die gegen ihre Regeln verstoßen, Geldbußen in Höhe von bis zu sechs Prozent ihres weltweiten Jahresumsatzes verhängen. Außerdem können Wiederholungstäter mit einem Betätigungsverbot in der EU belegt werden.

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