Macrons Glücksspiel: Kann Frankreich mit einem zentristischen Premierminister Stabilität finden?
Von Pierre Levy
Soll Frankreich von der rechten Seite der Linken, von der linken Seite der Rechten oder von der Mitte des Zentrums regiert werden? Seit Wochenbeschäftigten sich ernsthaft führende Politiker und Analysten mit dieser schwindelerregenden Frage und flehten den Präsidenten immer ungeduldiger an, so schnell wie möglich eine Entscheidung zu treffen.
Am 5. September ernannte dieser schließlich Michel Barnier zur Bildung und Leitung der nächsten Regierung. Herr Barnier stammt aus der Partei Les Républicains (LR, klassische Rechte). Der Lebenslauf des neuen Premierministers klingt fast wie ein Programm.
Herr Barnier war unter anderem französischer Minister für europäische Angelegenheiten (1995–1997), EU-Kommissar für Regionalpolitik (1999–2004), Außenminister (mit Zuständigkeit für EU-Angelegenheiten, 2004–2005) und wieder EU-Kommissar (und Vizepräsident der Kommission) für den Binnenmarkt (2010–2014). Schließlich diente er erneut Brüssel, indem er ab 2016 die Verhandlungen der Europäischen Kommission mit London leitete (eine Erfahrung, die er in einem – von niemandem gelesenen – Buch beschrieb, in dem er alles Negative, das er über den Brexit denkt, zum Ausdruck brachte).
Während die Politiker und Medien vor dieser Ankündigung in heller Aufregung waren, war dies bei den meisten Normalbürgern nicht der Fall. An den Kaffeemaschinen in den Fabriken und Büros drehten sich die Gespräche der Kollegen eher um die Kosten des Schulanfangs, die schwindende Kaufkraft, die Anzahl der Jahre bis zur Rente oder die Verschlechterung des öffentlichen Dienstes – in diesem Sommer vor allem des Krankenhaussektors.
Das Hin und Her rund um die Auswahl des neuen Gastgebers für Matignon (Sitz des Regierungschefs) hat die Massen nicht gefesselt. Zumal die zweite fünfjährige Amtszeit, die Emmanuel Macron vor zwei Jahren begann, eine Krise der politischen Repräsentation offenbarte. Der Herrscher des Élysée-Palasts, der im Mai 2022 gegen Marine Le Pen wiedergewählt wurde, zweifelte kaum an seiner Fähigkeit, einen Monat später eine absolute parlamentarische Mehrheit zu seinen Gunsten bestätigen zu lassen.
So geschah es nicht: im Juni 2022 erhielt er nur eine relative Mehrheit der Abgeordneten. Es folgten zwei anstrengende Jahre, in denen die meisten Gesetzesvorlagen nur durch endloses Palaver und Kompromisse verabschiedet werden konnten oder durch eine Verfassungsbestimmung, die es ermöglicht, ein Gesetz ohne Abstimmung durchzusetzen (außer wenn eine Mehrheit der Abgeordneten einem Misstrauensantrag zustimmt).
In diesem brutalen Verfahren wurden unter anderem die Haushalte verabschiedet (obwohl es sich hierbei um den wichtigsten Akt eines Parlaments handelt) und die unpopuläre Rentenreform durchgesetzt. Zwei Bereiche, die von der Europäischen Kommission genauestens überwacht werden.
Diese unbequeme Situation erforderte nach Meinung der Kommentatoren früher oder später eine Auflösung der Nationalversammlung. Der Präsident entschied sich schließlich dafür, diesen Termin zu beschleunigen, indem er seine Entscheidung am 8. Juni, am Abend der Europawahlen, bekannt gab. Diese waren in Frankreich wie eine Flutwelle zugunsten des Rassemblement National (RN, oft als rechtsextrem eingestuft, was Marine Le Pen bestreitet) ausgegangen.
Das Kalkül des Präsidenten war einfach: Indem er einen RN beschrieb, der der Macht gefährlich nahe komme, und so das Gespenst der "dunklen Stunden unserer Geschichte" heraufbeschwor, hoffte Emmanuel Macron von einem "republikanischen" Reflex zu profitieren und so eine Mehrheit der Abgeordneten zu finden, die seine Arbeit unterstützten.
Es kam anders. Der erste Wahlgang am 30. Juni war von einer zusätzlichen Stärkung des RN gekennzeichnet: Dieser erhielt 10,6 Millionen Stimmen, drei Millionen mehr als bei den Europawahlen. Im zweiten Wahlgang verhinderten aber die gegenseitigen Rücktritte der Linken, des Zentrums und der Rechten, dass der RN eine Mehrheit der Abgeordneten stellen konnte (er hat jedoch die stärkste Fraktion im Parlament).
Doch diese Taktik hatte ihren Preis: Im Palais Bourbon (wo das Abgeordnetenhaus tagt) zog ein Parlament ein, das zersplitterter denn je ist und noch weniger potenzielle Mehrheiten hat als im vorherigen. Daher das Kopfzerbrechen und die Verzögerungen, die der Ernennung von Michel Barnier vorausgingen.
Letzterer wird, obschon er es wagt, sich auf ein entferntes gaullistisches Erbe zu berufen, als Zentrist betrachtet, was dem Profil der seit zwei Monaten gesuchten Persönlichkeit gut entspricht. Mit diesem demokratischen Paradoxon: Je mehr Wähler sich für die "Extreme" aussprechen, desto häufiger werden Erklärungen abgegeben, in denen die Notwendigkeit verkündet wird, "Frankreich in der Mitte zu regieren".
Der Begriff "Extreme" sollte jedoch in Anführungszeichen gesetzt werden. Er wird von den Mainstream-Medien verwendet, um den RN auf der einen Seite und La France Insoumise (LFI) auf der anderen Seite zu bezeichnen. Letztere Partei, deren Inspirator der ehemalige sozialistische Minister Jean-Luc Mélenchon bleibt (der bei den nächsten Präsidentschaftswahlen erneut vorhat zu kandidieren), ist die größte Bewegung der vier linken Parteien, die sich in der im Juni gebildeten Koalition mit dem Namen Neue Volksfront zusammengeschlossen haben.
Der RN und die LFI sind natürlich in vielen Bereichen gegensätzlich. Sie haben jedoch eine Gemeinsamkeit: Beide (genauer gesagt die Parteien, aus denen sie hervorgegangen sind, der Front National bzw. die Linkspartei) hatten vage mit dem Plan geliebäugelt, Frankreich aus der EU zu entlassen, was einen interessanten Radikalismus hätte darstellen können; beide haben sich dann aber von diesem Punkt abgewandt. Die Freunde Jean-Luc Mélenchons schon vor einigen Jahren, die von Marine Le Pen erst vor kurzem. Beide plädieren nun dafür, "Europa von innen heraus umzugestalten" – eine illusorische und irreführende Perspektive, wie alle bisherigen Versuche gezeigt haben.
Nun werden die Beziehungen zur EU immer wieder ein grundlegender Problembereich für die nächste Regierung sein: Wird sich Frankreich von den Entscheidungen befreien können, die von den 27 Mitgliedstaaten getroffen werden, oder wird es sich weiterhin in einem unüberwindbaren Rahmen politischer, wirtschaftlicher, sozialer und internationaler Zwänge bewegen, und zwar unabhängig von den künftigen Entscheidungen der Wähler?
Die Ernennung des ehemaligen EU-Kommissars Michel Barnier ist in dieser Hinsicht eine Bestätigung und ein Symbol. Und zwar kein gutes für die Zukunft. Kürzlich veröffentlichte die Tageszeitung Le Monde (31.08.2024) eine umfassende Studie, die den allgemeinen Anstieg des Misstrauens und der Diskreditierung, unter denen die politische Klasse und die Institutionen leiden, aufzeigt.
Zufälligerweise wurde am selben Tag in einer Reportage derselben Zeitung über die jüngsten Unruhen in Großbritannien ein britischer Wissenschaftler zitiert: "Wut, Feindseligkeit und Zynismus sind zu Bestandteilen der Kultur der Unterschicht geworden. Eine große Anzahl von Menschen fühlt sich zutiefst ignoriert. Die herrschenden politischen Parteien weigern sich, sich mit den Gründen für diese Wut und Frustration auseinanderzusetzen. Während so viele Menschen nach Veränderung verlangen, bieten sie ihnen nur Kontinuität an".
Eine Diagnose, die leicht den Ärmelkanal überqueren könnte.
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