Europa

Estland plant Verbot der Estnisch-Orthodoxen Kirche

Nach der Ukraine droht der kanonischen Orthodoxen Kirche nun auch im EU-Mitglied Estland staatliche Verfolgung bis hin zum Verbot. Wie in der Ukraine hat auch hier der Patriarch von Konstantinopel (Istanbul) seine Finger im Spiel.
Estland plant Verbot der Estnisch-Orthodoxen KircheQuelle: Sputnik © V. Tiit, RIA Nowosti

Der estnische Innenminister Lauri Läänemets hat der Regierung einen Gesetzentwurf vorgelegt, der ein Verbot der Aktivitäten von Kirchen und religiösen Vereinigungen vorsieht, wenn sie "mit Organisationen verbunden sind, die militärische Aggressionen unterstützen". Wie schon diese Formulierung angesichts des westlichen Narrativs zum Krieg in der Ukraine erahnen lässt, zielt das geplante Gesetz in erster Linie, wenn nicht ausschließlich, auf die zum Moskauer Patriarchat gehörende autonome Estnisch-Orthodoxe Kirche (EOK) ab. 

Der Minister, der schon in der Vergangenheit mit russophoben Äußerungen aufgefallen war und dem besonders die der Anzahl praktizierender Gläubiger nach mitgliederstärkste Konfession des Landes keine Ruhe lässt, macht daraus keinen Hehl: Vor dem estnischen Parlament betonte Läänemets, dass die vorgeschlagenen Gesetzesänderungen auf die Tatsache zurückzuführen seien, dass die estnisch-orthodoxe Kirche "keine wesentlichen Schritte unternommen habe, um die bisherigen Forderungen des Staates zu erfüllen".

Den Charakter eines Sondergesetzes will man geschickt tarnen. Läänemets:

"Mit der Änderung des Gesetzes bestimmen wir für die heutige EOK MP nicht, wie ihre kanonischen Bindungen oder Lehren in Zukunft aussehen werden. Diese Entscheidungen kann und muss die Kirche selbst treffen. Wir legen lediglich klare Regeln und Erwartungen fest, an die sich jede in Estland tätige religiöse Vereinigung halten muss. Diese Regeln gelten für alle gleichermaßen, und im Rahmen dieser Regeln wird die Kirche ihre zukünftigen Entscheidungen treffen können."

Im April des laufenden Jahres machte Läänemets bereits mit einem auf die Zerstörung der EOK gerichteten Initiative Schlagzeilen: Damals wollte er das gesamte Moskauer Patriarchat zu einer terroristischen Organisation erklären. Einen Monat später forderte er von orthodoxen Geistlichen des Landes, "die Aktivitäten des Patriarchen Kirill als Häresie" zu verurteilen und alle Beziehungen zu Moskau abzubrechen.

Im Sommer wurde zudem bekannt, dass auf Anweisung des Innenministers orthodoxe Priester zu Verhören vorgeladen werden und Polizeibeamte auf der Suche nach vermeintlichen Gesetzesverstößen Gottesdienste und Predigten auskundschaften. Das Ganze gipfelte schließlich darin, dass dem Oberhaupt der Estnisch-Orthodoxen Kirche, Metropolit Eugen, das Aufenthaltsrecht in Estland entzogen wurde und er gezwungen war, das Land zu verlassen. 

Dass Estland bei seiner Kirchenverfolgung die ukrainische Praxis nachahmt, ist nicht von der Hand zu weisen. Auch sonst weisen die kirchlichen Probleme in beiden Ländern Parallelen auf. Estland gehört innerhalb der Weltorthodoxie traditionell zum territorialen Zuständigkeitsbereich der Moskauer Metropoliten und seit der Etablierung des Moskauer Patriarchats – der dort residierenden Patriarchen. Sie, die Moskauer Kirchenoberen, sind im kanonischen Verständnis der orthodoxen Weltkirchen für alle Länder "des Nordens" zuständig. Obwohl die Esten selbst mehrheitlich der lutherisch-evangelischen Konfession angehören, lebten auch am westlichen Ufer des Peipus-Sees seit jeher Russen, aber auch das kleine Volk der Setu im Südosten Estlands ist traditionell orthodox.  

Die kanonische Zugehörigkeit zu Moskau war bis 1917 auch weitgehend unstreitig. Nach der Russischen Revolution stand die orthodoxe Kirche in der Sowjetunion etwa zwei Jahrzehnte lang unter staatlichem Verfolgungsdruck, außerdem befand sich Estland nun hinter einer unpassierbaren Grenze, was die Verwaltung der estnischen Bistümer erschwerte. Das nutzte das Patriarchat in Konstantinopel dafür, Estland als sein Einflussgebiet zu reklamieren.

Im Jahr 1920 gewährte die Moskauer Mutterkirche den estnischen Orthodoxen den Status einer eigenverwalteten, autonomen Kirche. Schon zwei Jahre später zwangen die neuen Behörden des estnischen Nationalstaates den Klerus der Estnisch-Orthodoxen Kirche, sich an den Patriarchen von Konstantinopel mit der Bitte um Aufnahme in dessen Jurisdiktion zu wenden. Dem kam Istanbul mit Freuden nach und erteilte 1923 den unter Kirchengelehrten umstrittenen "Tomos": die Segnung der Abspaltung von Moskau. Die neue Struktur bekam den Namen "Estnische Apostolische Orthodoxe Kirche" und überlebte das Ende der ersten estnischen Unabhängigkeit um zwei Jahrzehnte: Nach 1945 wirkte sie im schwedischen Exil für rund 10.000 vor der Sowjetischen Armee geflohene Esten bis zum Tod ihres Vorstehers im Jahr 1961, wonach die verbliebenen Gemeinden unmittelbar dem Istanbuler Kirchenoberen unterstellt wurden. 1978 widerrief der zu diesem Zeitpunkt amtierende "Weltpatriarch" den 1923 erteilten "Tomos". 

Die estnischen Gemeinden gehörten nach 1945 wieder dem Moskauer Patriarchat an. Erst 1993, nach dem Zerfall der UdSSR, gewährte Patriarch Alexius II., selbst ein gebürtiger Este, der estnischen Kirche erneut den Autonomiestatus. 

Mit dem Ende der Sowjetunion setzten aber auch die Begehrlichkeiten Istanbuls von Neuem ein. Der umtriebige "Weltpatriarch", nach reiner Lehre kein orthodoxer "Papst", sondern nur "Erster unter Gleichen", mischte sich in fremdes kanonisches Gebiet ein, ließ die schon erwähnte "Estnische Apostolische Orthodoxe Kirche" (EAOK) von den Toten auferstehen und betrachtet das baltische Land seitdem als seine Domäne. Von diesem Zeitpunkt an ist die orthodoxe Gemeinschaft des Landes gespalten: Von ethnischen Esten dominierte Gemeinden im Westen und Süden des Landes führten ihre Kirchen unter das Banner Istanbuls, die mehrheitlich russischen Gemeinden in der Hauptstadt und im Osten blieben in der traditionellen Kirche.

Während die EAOK rund 7.000 Gläubige in 60 von 30 Priestern betreuten Kirchen vereint, zählt die EOK Moskauer Patriarchats bis zu 200.000 regelmäßige Kirchengänger in 31 Kirchen mit 45 Gemeindepriestern. Nun sollen offenbar mit Gewalt, administrativem Druck und Verboten die Verhältnisse zugunsten der "Nationalkirche" verändert werden: wie in der Ukraine ein gemeinsames Projekt des Patriarchats von Konstantinopel, des US-Außenministeriums und der örtlichen Nationalisten. 

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