Europa

Wahlen in Rumänien entlarven politische Tricks der EU

"Rumänien, das an die Ukraine grenzt, weicht vom prowestlichen Kurs ab", heißt es in der westlichen Presse nach der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen im Land. Wie begründet sind solche Einschätzungen und was bedeutet der Sieg von George Simion für die EU, die Ukraine und Russland?
Wahlen in Rumänien entlarven politische Tricks der EUQuelle: Gettyimages.ru © Andrei Pungovschi

Von Geworg Mirsajan

Am 4. Mai hat in der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen in Rumänien der Vorsitzende der ultrarechten Partei "Allianz für die Vereinigung der Rumänen", George Simion, den Sieg davongetragen. Er erhielt fast 41 Prozent der Stimmen und behauptete:

"Diese Wahlen betreffen nicht den einen oder anderen Kandidaten, sondern jeden Rumänen, der betrogen, ignoriert, erniedrigt wurde, doch der immer noch die Kräfte hat, zu glauben und seine Identität und Rechte zu schützen."

Mit Betrug, Ignoranz und Erniedrigung meint er ganz konkrete Ereignisse, nämlich die Annullierung der Ergebnisse der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen im November 2024. Diese erfolgte allein deshalb, weil damals Simions Kollege aus dem ultrarechten Lager, Călin Georgescu, den ersten Platz belegt hatte. Das rumänische Gericht bezeichnete die Wahlen ohne jegliche Beweise als gefälscht und Georgescu fast schon als russischen Agenten. Darauf wurde eine neue Abstimmung angesetzt, zu welcher der Sieger der vorherigen nicht zugelassen wurde.

Es ist daher nicht verwunderlich, dass sich Georgescus Wähler und der in Ungnade gefallene Politiker um Simion scharten. Letzterer tritt gegen militärische Hilfe an die Ukraine ein, kritisiert die EU-Führung und sympathisiert mit dem US-Präsidenten Donald Trump.

Doch Georgescu und Simion sind keine völligen Gleichgesinnten. Simion läuft nicht Gefahr, mit dem Georgescu anhaftenden Etikett eines "prorussischen" Politikers belegt zu werden. Er leistet sich recht ausfallende Äußerungen gegenüber Moskau und behauptet, dass Russland "die größte Bedrohung für Rumänien, Polen und die baltischen Staaten" darstelle.

Simion tritt zudem für eine Rückkehr "rumänischer" Territorien ein, die einst der UdSSR gehörten, darunter für einen Anschluss Moldawiens an Rumänien. Allerdings hat er das Kiewer Regime und ukrainische Flüchtlinge nicht gern und baute daher seine Kampagne unter anderem um das Versprechen auf, finanzielle Leistungen für ukrainische Flüchtlinge zu kürzen. Ebenso negativ ist er gegenüber dem Brüsseler Regime eingestellt.

Zusätzlich verfügt George Simion über Möglichkeiten, seine negative Einstellung in reale politische Maßnahmen zu verwandeln. Es stimmt zwar, dass der rumänische Präsident nominell nicht regiert, allerdings leitet er den nationalen Sicherheitsrat. Und in dieser Position hat er die Möglichkeit, jede Entscheidung mit einem Veto zu belegen und die Sicherheitspolitik stark zu beeinflussen.

Daher haben westliche Medien jeden Grund, sich um einen Triumph von Simion in der zweiten Wahlrunde Sorgen zu machen. Die britische Zeitung The Guardian klagt:

"Ein Sieg der Ultrarechten könnte dazu führen, dass Rumänien, das an die Ukraine grenzt, von seinem prowestlichen Kurs abweicht und zu einer weiteren zerstörerischen Kraft innerhalb des Blocks und der transatlantischen Verteidigungsallianz wird."

Doch zum größten Problem wird Simions Sieg für die Europäische Union. Nicht nur deshalb, weil der Versuch, die erste Wahlrunde aufzuheben, nicht die gewünschten Ergebnisse brachte, sondern auch wegen der Art und Weise, wie die zweite Wahlrunde durchgeführt wird. Wie die Führerin der französischen Ultrarechten, Marine Le Pen, sagte, ist Rumänien zur EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen wie ein Bumerang zurückgekehrt.

Tatsächlich besteht das Problem für die EU nicht nur und nicht so sehr darin, dass ein nichtsystemischer Kandidat in der ersten Wahlrunde den ersten Platz belegte. In Frankreich und den Niederlanden lernte man, dieses Problem mithilfe eines politischen Tricks zu lösen. Gewinnt etwa die niederländische Freiheitspartei die Parlamentswahlen, bilden die hinter ihr liegenden Parteien eine Koalition und bringen die "Radikalen" um ihr Mandat zur Regierungsbildung. Erfolgen die Wahlen – ob Parlaments- oder Präsidentschaftswahlen wie in Frankreich – in zwei Runden, so vereinigen sich in der zweiten Runde alle gegen den nichtsystemischen Kandidaten und lassen ihn nicht an die Macht.

Für ein solches Schema ist es nötig, dass der gegen den "Radikalen" kandidierende Politiker ein Zentrist ist und alle systemischen und systemnahen Stimmen um sich vereinigen kann. Elena Lasconi, die 2024 mit Georgescu in die zweite Runde kam, war keine solche Politikerin. Sie galt als eine Ultraliberale, für die die Belange der EU über Rumäniens Interessen standen.

Zwischenzeitlich ist Lasconi nicht in die zweite Runde gekommen, weil sie nur noch sieben Prozent der Stimmen erhielt. Anscheinend rechnete die Regierung damit, dass der Kandidat der regierenden Koalition, Crin Antonescu, die zweite Runde erreicht. Als Zentrist und Atlantiker hatte er alle Chancen, die Wählerschaft um sich zu scharen und einen Sieg Simions zu verhindern. Dies wäre auch durch die Einschaltung administrativer Ressourcen möglich, denn die Regierungskoalition kontrolliert heute 75 Prozent aller rumänischen Bürgermeister. Antonescu ist zwar als Regierungsvertreter mit dem Versuch, die Wahlen von 2024 zu stehlen, verbunden, allerdings halten bei weitem nicht alle Rumänen diesen Versuch für falsch.

Doch der Plan der rumänischen Regierung ging nicht auf, für die Wählerschaft erwiesen sich die Autoritäten als zu toxisch. Den zweiten Platz belegte somit der Bürgermeister von Bukarest, Nicușor Dan, der Antonescu buchstäblich mit einem halben Prozentpunkt Vorsprung überholte.

Sicherlich ist Dan weniger abstoßend als Lasconi. Nominell ist er ein zentristischer unabhängiger Kandidat, der durch Korruptionsbekämpfung punktete und der im Übrigen einen Anschluss Moldawiens ablehnt. Doch gleichzeitig erscheint er nicht wie ein eindeutiger Favorit der zweiten Runde, der Stimmen gewinnen kann. Zu widersprüchlich ist seine Person, und zu groß ist die Stimmendifferenz. Im Jahr 2024 gewann Călin Georgescu in der ersten Runde mit 23 Prozent der Stimmen und überholte damit Elena Lasconi um knapp vier Prozent. Jetzt beträgt der Abstand von Simion zu Dan ganze 20 Prozent. Ein rumänisches Nachrichtenportal schreibt dazu:

"Noch nie in der Geschichte der rumänischen Demokratie wurde ein Kandidat, der die erste Runde mit einem Vorsprung von 1,9 Millionen Stimmen gewonnen hat – wie George Simion vor Nicușor Dan –, in der Stichwahl gestürzt."

Der Großteil der Wähler des drittstärksten Kandidaten, Victor Ponta, der 13 Prozent beziehungsweise 1,2 Millionen Stimmen erhielt, werde für George Simion stimmen, mahnt die Publikation weiter.

Somit beginnt das Schema, "den eigenen Kandidaten in die zweite Runde zu bringen und alle systemischen Stimmen um ihn zu scharen", zu bröckeln, und zwar nicht nur in Rumänien.

So erhielt bei den Lokalwahlen in Großbritannien am 1. Mai die Partei "Reform UK" von Nigel Farage den ersten Platz und gewann 677 Sitze. Den zweiten Platz belegten die Liberaldemokraten mit 370 Sitzen. Die größten Systemparteien, die Konservativen und die regierende Labour-Partei, erhielten jeweils 317 und 98 Sitze.

Bisher weiß Europa nicht, was damit zu tun ist. Die Einschaltung administrativer Ressourcen, oder, um Italiens Vize-Premier Matteo Salvini zu zitieren, "schmutzige Tricks", funktioniert nicht mehr. Eine Konsolidierung der Stimmen um den "richtigen" Kandidaten in der zweiten Runde funktioniert nicht aufgrund der Abwesenheit des besagten Kandidaten. Somit muss sich Brüssel entweder damit abfinden, dass die Zeit der europäischen Liberalen zu Ende geht, oder versuchen, durch härtere, diktatorische Maßnahmen an der Macht zu bleiben. Dies wiederum wird die eigentliche Existenz der EU infrage stellen.

Übersetzt aus dem Russischen. Zuerst erschienen bei der Zeitung Wsgljad am 5. Mai 2025.

Geworg Mirsajan ist außerordentlicher Professor an der Finanzuniversität der Regierung der Russischen Föderation, Politikwissenschaftler und eine Persönlichkeit des öffentlichen Lebens. Geboren wurde er 1984 in Taschkent. Er erwarb seinen Abschluss an der Staatlichen Universität des Kubangebiets und promovierte in Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt USA. Er war von 2005 bis 2016 Forscher am Institut für die Vereinigten Staaten und Kanada an der Russischen Akademie der Wissenschaften.

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