Skripal-Affäre: Russische Botschaft zerpflückt Londons Darstellung
Pünktlich zum Jahrestag des Attentats auf Sergei und Julia Skripal im englischen Salisbury am 4. März 2018 lancierten britische Geheimdienste in den Medien die Behauptung, es habe in den Tagen vor und nach dem Attentat eine "ungewöhnliche und verstärkte Aktivität" an der Russischen Botschaft in London gegeben. Die beobachteten Aktivitäten seien "hektisch und beispiellos" gewesen.
Auch diese unbelegbare Behauptung wurde von der britischen Presse unkritisch aufgegriffen und breitgetreten, passte sie doch nur zu gut in die von London vorgegebene Erzählung, wonach Russland für das Attentat verantwortlich sei. Ignoriert wurde hingegen bis heute – was ebenso für die deutsche Medienlandschaft gilt – eine am selben Tag veröffentlichte ausführliche Erklärung der Russischen Botschaft in London, die auf die Unstimmigkeiten der Darstellung der britischen Regierung und der Behörden hinweist.
Abschnitt A des 52-seitigen Dokuments geht unter der Überschrift "Fakten" auf Hintergründe zur Familie Skripal und auf die ersten Reaktionen nach dem Vorfall am 4. März ein. Auch enthält er eine Zeitleiste weiterer in diesem Zusammenhang wichtiger Ereignisse sowie eine Zusammenfassung der Position der britischen Regierung und der Reaktionen ihrer Partner.
Abschnitt B enthält "Kommentare" zur Arbeit der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW), zur Medienberichterstattung, zur derzeitigen Situation der Skripals sowie zu juristischen und diplomatischen Aspekten. Außerdem enthält der Abschnitt einen Kommentar zu Unstimmigkeiten der britischen Darstellung.
RT Deutsch dokumentiert im Folgenden Auszüge aus diesem zweiten Abschnitt.
Hintergrund zum Verständnis: Am Nachmittag des 4. März 2018 wurden der ehemalige russischen Doppelagent Sergei Skripal und dessen in Russland lebende Tochter Julia bewusstlos auf einer Parkbank im englischen Salisbury angetroffen und anschließend in die Notaufnahme des örtlichen Krankenhauses gebracht.
Am 7. März teilte die Polizei der Öffentlichkeit mit, dass auf sie ein Anschlag mit einem Nervengift verübt wurde. Dabei soll es sich um das einst in der Sowjetunion entwickelte Nervengift Nowitschok handeln. Die britische Regierung und eine Mehrheit ihrer westlichen Partner machten schnell Moskau für die Tat verantwortlich. Eine beispiellose Welle der Ausweisung russischer Diplomaten aus fast allen NATO- und EU-Staaten war die Folge. Sowohl die USA als auch die Europäische Union verhängten Sanktionen im Zusammenhang mit dem Fall Skripal, was das ohnehin belastete Verhältnis zu Russland weiter verschlechterte.
"Unbeantwortete Fragen" - Erklärung der Russischen Botschaft in London
VI. Unstimmigkeiten im britischen Narrativ
1. Zu der Russland unterstellten Fähigkeit, seinem Motiv und seiner angeblichen Bilanz staatlicher Morde
a) Die britische Regierung behauptet, "Informationen zu haben, dass Russland innerhalb des letzten Jahrzehnts Möglichkeiten untersucht hat, wie Nervengifte, wahrscheinlich für Attentate, eingesetzt werden können, und im Rahmen dieses Programms kleine Mengen von Nowitschok produziert und gelagert hat".
Doch im Jahr 1992 wurde die gesamte Produktion von Chemiewaffen in Russland eingestellt. Die bestehenden Lagerbestände, die größten der Welt, wurden in den folgenden 25 Jahren unter strenger Kontrolle der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) zerstört, der auch das Vereinigte Königreich als ein wichtiges Mitglied angehört. Im September 2017 bescheinigte die OPCW die vollständige Zerstörung der russischen Chemiewaffen.
Es ist unklar, warum das Vereinigte Königreich dieses Thema nicht schon 2017 zur Sprache gebracht hat, wenn es Informationen darüber hatte, dass Russland unter Missachtung seiner internationalen Verpflichtungen für militärische Zwecke geeignete chemische Stoffe herstellt. Es ist auch nicht klar, über welche Art von Informationen Großbritannien verfügt und wie es zu dem Schluss hinsichtlich des Zweckes der angeblichen Produktion gekommen ist.
In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, dass der Chef [der britischen Chemie- und Biowaffenforschungseinrichtung] in Porton Down, Gary Aitkenhead, in Interviews nicht leugnete, dass "Nowitschok" in seiner Einrichtung hergestellt wird.
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b) Die britische Regierung hat auf ein "offensichtliches Motiv" Russlands für ein Attentat auf Sergei Skripal hingewiesen. Sie zitierte [den russischen Präsidenten Waldimir] Putin, der angeblich die "Drohung" ausgesprochen hat, dass "Verräter" in die "Tonne getreten" und "ersticken" würden.
Tatsächlich hat Präsident Putin (damals Premierminister) in dem zitierten TV-Interview von 2010 eine Politik der Ermordung von Verrätern zurückgewiesen. Betrachten Sie die Abschrift [des Interviews]:
Frage: Laut Aufzeichnungen unterzeichneten die Staatschefs verschiedener Länder Befehle zur Ermordung von Staatsfeinden im Ausland. Haben Sie als Staatsoberhaupt solche Entscheidungen getroffen?
Antwort: […] Russische Spezialeinheiten verwenden solche Methoden nicht. Was die Verräter betrifft, so werden sie sich selbst in die Tonne treten, das versichere ich Ihnen. Nehmen wir den jüngsten Fall von Verrat. […] Wie wird er damit leben? Wie wird er seinen Kindern in die Augen schauen? Was auch immer sie [die Verräter] an dreißig Silberstücken erhalten haben mögen, sie werden an ihnen ersticken, das versichere ich Ihnen. Sich für den Rest ihres Lebens zu verstecken, ihre Lieben nicht mehr sehen zu können – wissen Sie, wer sich für ein solches Schicksal entscheidet, wird es bereuen.
Darüber hinaus scheint Großbritannien zu implizieren, dass Herr Skripal eine solche Bedrohung für Russland darstellte, um als offensichtliches Ziel betrachtet zu werden. Das ist schwer zu vereinbaren mit der Tatsache, dass Herr Skripal, nachdem er einen Teil seiner Haftstrafe verbüßt hatte, begnadigt wurde und Russland in Richtung Großbritannien verlassen durfte, wo er seit acht Jahren in Frieden lebt.
c) Das Vereinigte Königreich verweist auf eine "Bilanz staatlicher Morde" und nennt insbesondere die Ermordung von Alexander Litwinenko in London im Jahr 2006. Dies belegt angeblich "die Bereitschaft des Kreml, jemanden in diesem Land zu töten".
In Wirklichkeit zeugt der Mord an Alexander Litwinenko von der Bereitschaft Londons, wichtige Informationen als geheim einzustufen und schwere Anschuldigungen zu erheben, die nicht durch Fakten gestützt werden. Nach dem gleichen Skript wird auch diesmal vorgegangen.
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d) Britische Beamte behaupten, dass die russische Duma ein Gesetz verabschiedet hat, das die Ermordung von "Extremisten" im Ausland erlaubt. Das ist eine glatte Lüge. In Russland gibt es kein solches Gesetz.
Was einem solchen Gesetz am nächsten käme, ist das im Jahr 2006 in Russland verabschiedete Anti-Terrorismus-Gesetz, das es dem Präsidenten erlaubt, mit Zustimmung der Obersten Kammer des Parlaments (in einem öffentlich zu fassenden Beschluss) "Verbände von Streitkräften" zur Bekämpfung von Terroristen und ihren Stützpunkten im Ausland einzusetzen.
Dies ist im Wesentlichen das gleiche Verfahren, wie es die Verfassung für den Einsatz von Truppen außerhalb des russischen Staatsgebiets vorschreibt. Wie man deutlich sehen kann, hat das nichts mit gezielten Tötungen zu tun. Die Berufung auf dieses Gesetz als "Bestätigung" der russischen Politik [der Ermordung von Verrätern] offenbart einen völligen Mangel an Fachwissen, wirft aber auch die Frage auf, ob Herr Skripal an Aktivitäten beteiligt war, die Russland nach Ansicht des Vereinigten Königreichs möglicherweise als terroristisch oder extremistisch betrachten könnte.
2. Der Ursprung des Nervengiftes und seine Eigenschaften
- Während sowjetische Wissenschaftler an neuen Arten von chemischen Giften arbeiteten, wurde Mitte der 1990er Jahre im Westen das Wort "Nowitschok" aus der Taufe gehoben, um eine Reihe neuer chemischer Substanzen zu bezeichnen, die dort auf der Grundlage von Informationen russischer Forscher im Exil entwickelt wurden. Die britische Beharrlichkeit, das russische Wort "Nowitschok" zu verwenden, ist ein Versuch, die Substanz künstlich mit Russland in Verbindung zu bringen.
In einem 2007 in den USA veröffentlichten Handbuch und einem 2008 erschienenen Buch, verfasst von dem russischen Chemiker und Überläufer Wil Mirsajanow, wurden detaillierte Informationen über mehrere Dutzend "Nowitschok"-Stoffe veröffentlicht. Danach wurde diese Art von Wirkstoffen in zahlreichen Publikationen von US-amerikanischen, tschechischen, italienischen, iranischen und indischen Forschern beschrieben, denen es ihrer Arbeit nach zu urteilen auch gelungen war, diese zu synthetisieren. Angesichts der breiten wissenschaftlichen Literatur kann man mit Sicherheit sagen, dass jedes moderne Chemielabor in der Lage ist, "Nowitschok" zu synthetisieren.
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- Entgegen offizieller Aussagen behauptet Mark Urban in seinem Buch "The Skripal Files: The Life and Near Death of a Russian Spy" ("Die Akte Skripal: Das Leben und der Beinah-Tod eines russischen Spions"), dass das Vereinigte Königreich in den 1990er Jahren Proben bestimmter Arten chemischer Substanzen erhielt, die angeblich in der Sowjetunion entwickelt wurden, einschließlich derjenigen, die mit dem Vorfall in Salisbury in Verbindung stehen, und dass das Geheimlabor von Porton Down die Möglichkeit erhielt, diese zu untersuchen. Das würde bedeuten, dass britische Chemiewaffenexperten den Stoff problemlos in nahezu beliebigen Mengen synthetisieren konnten.
- In einem früheren Interview mit der Deutschen Welle vom 20. März 2018 behauptete Außenminister Boris Johnson, Porton Down habe ihm die russische Herkunft des Nervengiftes bestätigt. Aber am 3. April erklärte der Chef des Labors, Gary Aitkenhead, dass seine Einrichtung die Substanz als "militärisches Nervengas identifiziert hat, aber nicht in der Lage war, seine Herkunft zu bestimmen". Am 4. April 2018 löschte das britische Außenministerium einen Tweet vom 22. März 2018 über "die russische Herkunft" dieser Substanz.
- Laut Wil Mirsajanow und Wladimir Uglew [die in der Sowjetunion an der Produktion von "Nowitschok" beteiligt waren], ist das in Salisbury verwendete Nervengift äußerst instabil und baut sich bei Kontakt mit Wasser schnell ab.
Seine Wirksamkeit wird drastisch reduziert, wenn es schnell genug abgespült wird. Dies steht im Einklang mit der Empfehlung des britischen Gesundheitsministeriums an die Einwohner von Salisbury, ihre Kleidung in einer Waschmaschine mit einem normalen Waschmittel zu waschen und persönliche Gegenstände mit Reinigungs- oder Babywischtüchern abzuwischen und die Tücher in einem normalen Hausmüllbehälter zu entsorgen, um eine Kontamination zu vermeiden. Andere britische Beamte (Scotland Yard, Umweltministerium, lokale Behörden) haben jedoch behauptet, dass das Mittel für eine sehr lange Zeit stabil und wirksam bleiben könne und daher aggressive, ätzende Chemikalien zur Dekontamination verwendet werden sollen.
- Der widersprüchliche Ansatz bei der Dekontamination wird dadurch verdeutlicht, dass keine bekannt gewordenen Anstrengungen unternommen wurden, das Krankenhaus von Salisbury zu dekontaminieren, verglichen mit der vollständigen Abriegelung einer Reihe öffentlicher Orten, die von den Skripals besucht wurden (Sergei Skripals Haus, das Restaurant "Zizzi", "The Bishop's Mill Pub", das Einkaufszentrum "The Maltings"), und der gründlichen Reinigung ihrer persönlichen Gegenstände, einschließlich des Autos von Sergei Skripal.
- Es wurde nie erklärt, wie es möglich war, dass die Skripals mehrere Stunden nach dem Kontakt mit dem Nervengift gleichzeitig das Bewusstsein verloren haben, obwohl sie Personen unterschiedlichen Alters, Geschlechts und unterschiedlicher körperlicher Verfassung sind.
- Es wurde nie erklärt, warum nicht eine einzige Person, die den Skripals Erste Hilfe und weitere medizinische Hilfe leistete, jemals Anzeichen oder Symptome einer Nervengifterkrankung entwickelt hat, obwohl die Art der Vergiftung [der Skripals] mindestens zwei Tage lang nicht bekannt war und daher keine besonderen Vorsichtsmaßnahmen getroffen werden konnten.
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3. Der Tag des Vorfalls
Die Glaubwürdigkeit der britischen Darstellung wird durch die zahlreichen Unstimmigkeiten in den offiziellen Mitteilungen darüber, wie sich die Ereignisse vom 4. März entwickelten, in Zweifel gezogen. Laut der Polizei ergibt sich folgendes Bild:
09:15 Uhr - Das Auto von Sergei Skripal wird im Bereich der London Road, Churchill Way North und Wilton Road gesehen.
13:30 Uhr - Sergeis Auto wird gesichtet, wie es in der Devizes Road in Richtung Stadtzentrum fährt.
13:40 Uhr - Sergei und Julia kommen am oberen Parkdeck des [Kaufhauses] Sainsburys am Maltings-Einkaufszentrum an. Irgendwann danach gehen sie zum Bishop's Mill Pub.
14:20 Uhr - Sie speisen im Restaurant Zizzi.
15:35 Uhr - Sie verlassen das Zizzi.
16:15 Uhr - Rettungsdienste treffen ein und finden Sergei und Julia schwer erkrankt auf einer Parkbank.
Wie sich sofort erkennen lässt, sind die Bewegungen der Skripals nur begrenzt bekannt. Es ist schwer zu erklären, dass die Polizei zögert, ein klareres Bild zu vermitteln, das dazu beitragen würde, die zahlreichen Zweifel auszuräumen. Unter den vielen ausgelassenen Informationen, die der Untersuchung eindeutig zur Verfügung stehen, lassen sich folgende erwähnen:
- Einige Bewegungsabläufe werden mit äußerster Genauigkeit angeführt ("angekommen in Sainsbury's oberem Parkhaus"), andere hingegen nicht. Insbesondere werden die Bewegungen des Autos von Herrn Skripal am Morgen lediglich beschrieben als "im Bereich der London Road, Churchill Way North und Wilton Road". Diese Beschreibung umfasst möglicherweise ein beträchtliches Gebiet, das sich über 4 Meilen vom Westen Salisburys bis zu seinen nordöstlichen Außenbezirken erstreckt, wobei die letzte Örtlichkeit 5 Meilen von Porton Down entfernt liegt. Außerdem ist unklar, in welche Richtung sich das Auto bewegt hat und wie lange diese Fahrt gedauert hat.
- Die obskure Natur des Morgenausflugs der Skripals wird durch die behauptete Tatsache verstärkt, dass ihre Mobiltelefone für vier Stunden ausgeschaltet waren. Weder von Seiten der Ermittler noch von Seiten der Skripals selbst wurde versucht, die ungewöhnliche Entscheidung zu erklären, die Telefone auszuschalten, die es unmöglich machte, ihre Reiseroute auf der Grundlage von GPS-Tracking oder anderen telefonbezogenen technischen Daten festzustellen. Es wurde auch kein Versuch unternommen, das Fehlen genauerer Daten aus Überwachungskameras auf dieser Reise zu erklären.
- Es ist daher nicht klar, wann die Skripals am Morgen ihr Zuhause verlassen haben, was sie danach getan haben, und wann beziehungsweise ob sie nach Hause zurückgekehrt sind, bevor sie nach 13 Uhr ins Stadtzentrum fuhren.
- Die Hauptverdächtigen Alexander Petrow und Ruslan Boschirow wurden von Videokameras um 11:58 Uhr erfasst, als sie sieben Gehminuten vom Haus von Herrn Skripal entfernt waren, und danach um 13:05 Uhr im Stadtzentrum, 25 Gehminuten vom Haus von Herrn Skripal entfernt. Es ist schwer zu erklären, warum keine weiteren Einzelheiten ihres Bewegungsablaufs veröffentlicht wurden.
- Es wurde nie bekannt gegeben, ob es eine Überwachungskamera am Haus von Herrn Skripal gibt. Angesichts seines Hintergrunds und seines Status' erscheint es kaum denkbar, dass es eine solche Kamera nicht gibt. Aufnahmen von dieser Kamera würden das überzeugendste Beweisstück darstellen. Warum veröffentlicht das Vereinigte Königreich diese nicht?
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- Ebenso gibt es keine Informationen (weder offiziell noch in den Medien) über Zeugen, die die Skripals oder die Hauptverdächtigen zu einem bestimmten Zeitpunkt gesehen haben, an dem die Vergiftung theoretisch hätte stattfinden können. Dies ist besonders bemerkenswert hinsichtlich der beiden Verdächtigen, da zwei Fremde in einer ruhigen Wohngegend sicherlich von den Einheimischen gesehen und wahrgenommen worden wären.
- Die Ermittler haben nie den Versuch unternommen, die Darstellung der Hauptverdächtigen über ihre Bewegungen in Salisbury zu bestätigen oder zu widerlegen. Insbesondere die Behauptung, dass sie während ihres 120-minütigen Aufenthalts im Park saßen, Kaffee in einem Café tranken und vor allem die Kathedrale besuchten. All dies hätte genau in dem Zeitraum stattgefunden, an dem sie nach Angaben der Polizei das Nervengift an der Tür von Herrn Skripal angebracht haben sollen. Es fällt schwer zu verstehen, warum die Überprüfung ihrer Behauptung und die entsprechende Informierung der Öffentlichkeit ein Problem darstellen sollte.
- Im Januar 2019 wurde enthüllt, dass die ersten Personen, die den Skripals halfen, nachdem sie das Bewusstsein verloren hatten, Oberst Alison McCourt, leitende Pflegeoffizierin der britischen Armee (Chief Nursing Office of the Army), und ihre Tochter Abigail waren. Es gab keinen Versuch zu erklären, warum dieser außergewöhnliche Zufall in den letzten zehn Monaten geheim gehalten wurde.
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- Ein weiterer Zufall, zu dem keine zufriedenstellende Erklärung abgegeben wurde, betrifft die Anwesenheit von Personal, das zum Zeitpunkt der Aufnahme der Skripals im Salisbury Krankenhaus im Umgang mit Nervengifterkrankungen ausgebildet wurde.
4. Andere unerklärliche Sachverhalte
- Das Vereinigte Königreich hat [Sergeis Nichte] Victoria Skripal wiederholt ein Einreisevisum verweigert. Die Gründe wurden nie überzeugend erklärt. Während Sergei und Julia bewusstlos waren, wurden von den britischen Behörden in ihrem Namen eine Reihe juristischer Entscheidungen getroffen, wobei sie die Tatsache völlig ignorierten, dass die Skripals Verwandte in Russland haben, die als nächste Angehörige hätten konsultiert werden sollen.
- Es gab widersprüchliche Berichte über das Schicksal von Sergei Skripals Haustieren. Es wurde nie eine zufriedenstellende Erklärung dafür gegeben, warum sie getötet wurden, angeblich in Porton Down, und warum sie nicht auf Spuren des Nervengiftes untersucht wurden.
- Die britischen Behörden haben nie mitgeteilt, wie die Hauptverdächtigen ihre Visa erhalten haben und welche Informationen über den Zweck ihres Besuchs auf ihren Visa-Antragsformularen angegeben wurden. Diese Informationen wären nützlich gewesen, um die Glaubwürdigkeit der Angaben der Polizei und der Hauptverdächtigen zu ihrer Reise zu überprüfen.
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VII. OPCW
Die britischen Behörden haben die Anforderungen des Paragraphen 2, Artikel IX des Chemiewaffenübereinkommens (CWÜ) ignoriert, in dem es heißt: "Die Vertragsstaaten sollten sich nach Möglichkeit zunächst bemühen, durch Informationsaustausch und Konsultationen untereinander alle Fragen zu klären und zu lösen, die Zweifel an der Einhaltung dieses Übereinkommens aufkommen lassen oder die Anlass zu Bedenken bezüglich damit zusammenhängender Angelegenheiten geben, die als unklar angesehen werden können."
Stattdessen forderte die britische Seite unter Bezugnahme auf Paragraph 38 e, Artikel VIII des Chemiewaffenübereinkommens, das Technische Sekretariat der OPCW dazu auf, ihre eigenen Schlussfolgerungen zu dem Vorfall in Salisbury "unabhängig zu überprüfen". Dieser Paragraph betrifft jedoch ausschließlich die Bereitstellung technischer Hilfe für die Vertragsstaaten bei der Erfüllung ihrer regulären Verpflichtungen aus dem Übereinkommen, vor allem im Hinblick auf die Meldung und Entsorgung chemischer Waffen und die Kontrolle über andere giftige Chemikalien.
Fälle früherer Anwendungen dieser Bestimmung bestätigen, dass unter "technischer Hilfe" die Unterstützung von Staaten verstanden wird, denen es an Fachpersonal, Ausrüstung oder Technologien zur Umsetzung der Ziele des CWÜ mangelt. Daher verleiht Paragraph 38 e, Artikel VIII nicht dem Technischen Sekretariat der OPCW das Mandat, unabhängige Untersuchungen abschließend durchzuführen, eigene Schlussfolgerungen zu formulieren oder die Ergebnisse einer von einem Staat abgeschlossenen Untersuchung "unabhängig zu überprüfen".
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Vom 19. bis 23. März arbeitete ein OPCW-Team in Salisbury. Es sammelte Blutproben von den Skripals und vom [ebenfalls erkrankten] Polizisten Nick Bailey sowie Umweltproben.
Am 12. April 2018 veröffentlichte die OPCW Schlussfolgerungen zu ihrer Untersuchung des Vorfalls in Salisbury. Obwohl die OPCW nicht die vollständige Version des Berichts veröffentlichte, behauptete das Vereinigte Königreich, dass die Organisation die Exposition der Skripals mit einem Wirkstoff aus der "Nowitschok"-Klasse bestätigt habe.
Russische Experten haben zahlreiche Ungereimtheiten im OPCW-Bericht festgestellt. Dazu zählen:
- Der Bericht enthält keine spezifischen Informationen über den Acetylcholinesterase-Gehalt im Blut der Opfer ab dem Zeitpunkt ihres Krankenhausaufenthaltes. Allein das macht es unmöglich, überzeugend festzustellen, dass sie am 4. März einem Nervengift ausgesetzt waren.
- Der Bericht enthält nur unzureichende Informationen über das Krankheitsbild oder die medizinische Behandlung, insbesondere in Bezug auf die vorgeschriebenen Dosen von Gegenmitteln, wie zum Beispiel Oximen.
- Der Bericht erklärt nicht den Übergang der Opfer von einem Zustand langer Bewusstlosigkeit zu einem aktiven Bewusstsein innerhalb kurzer Zeit, was nicht der üblichen Wirkung von chemischen Acetylcholinesterase-Hemmern entspricht.
- Eine der Schlussfolgerungen des Berichts lautete, dass die giftige Chemikalie in den entnommenen Proben "von hoher Reinheit" war. Das wäre nicht möglich, wenn die Proben tatsächlich erst zwei Wochen nach der Vergiftung genommen wurden.
Dieser kurze Überblick gibt einen ersten Eindruck der von den russischen Experten identifizierten Probleme. Ihre vollständigen Schlussfolgerungen können zum jetzigen Zeitpunkt nicht veröffentlicht werden, da der Bericht der OPCW selbst vertraulich ist.
IX. Die gegenwärtige Situation der Skripals
Das Vereinigte Königreich hat sich wiederholt geweigert, Informationen über den aktuellen Aufenthaltsort, den Status und den Gesundheitszustand von Sergei und Julia Skripal preiszugeben. Begründet wird das mit der Notwendigkeit, ihre Sicherheit zu gewährleisten.
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Das Vereinigte Königreich betont, dass die Skripals frei sind und dass sie insbesondere Bewegungsfreiheit und Kommunikationsfreiheit genießen. Dennoch gibt es keinen bekannten Beleg für Sergeis Interaktion mit der Außenwelt seit dem 4. März 2018. Beispiele für Julias Kontakte zur Außenwelt sind auf Folgende beschränkt:
- Der Anruf bei Viktoria Skripal am 5. April, der so klingt, als hätte Julia einen Moment genutzt, um kurz mit ihrer Cousine zu sprechen, als sie unbeobachtet war. In diesem Anruf sagte Julia, dass es ihr und ihrem Vater gut gehe und dass es keinen irreparablen Schaden für ihre Gesundheit gebe. Sie sagte zudem zu ihrer Cousine, dass "niemand dir ein Visum geben wird, das ist die Situation hier".
- Die am selben Tag im Namen von Julia herausgegebene Erklärung der Polizei, die damit bestätigen wollte, dass Julia eine Woche zuvor aufgewacht war.
- Die im Namen von Julia am 11. April herausgegebene Erklärung der Polizei, in der sie eigenartigerweise behauptet, dass "niemand für mich spricht" und sie Viktoria bittet, nicht zu kommen.
- Die Videobotschaft vom 23. Mai, abgelesen von einem vorbereiteten Text, der offenbar von einem englischen Muttersprachler auf Englisch verfasst und anschließend ins Russische übersetzt wurde.
Nicht nur Viktoria Skripal, sondern auch Elena Skripal, Sergeis 90-jährige Mutter, hat sich immer wieder über den fehlenden Kontakt zu Sergei oder Julia beschwert. Das hat Elena Skripal in der am 22. November ausgestrahlten BBC Panorama-Dokumentation besonders betont. Am 19. Februar 2019 berichteten russische Medien, dass Elena Skripal bei der Polizei beantragt habe, ihren Sohn offiziell als vermisst zu erklären.
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X. Konsularischer Zugang
Gemäß den Unterabsätzen a, b, c, Absatz 1, Artikel 36 des Wiener Übereinkommens über konsularische Beziehungen von 1963, "steht es den Konsularbeamten frei, mit Staatsangehörigen des Entsendestaates zu kommunizieren und Zugang zu ihnen zu erhalten".
Artikel 36 des Konsularabkommens zwischen der UdSSR und dem Vereinigten Königreich von 1965 besagt, dass "ein Konsularbeamter berechtigt ist, mit einem Angehörigen des Entsendestaates zu kommunizieren, ihn zu befragen und zu beraten und ihm jede Unterstützung zu gewähren, einschließlich, falls erforderlich, der Vermittlung von Hilfe und Beratung in rechtlichen Angelegenheiten".
Dennoch haben die Diplomaten der russischen Botschaft keinen konsularischen Zugang zu Sergei und Julia Skripal erhalten. Es ist wichtig zu beachten, dass gemäß Artikel 30 des Übereinkommens von 1965 "der Begriff 'national' jede Person bezeichnet, die vom Entsendestaat als sein Staatsangehöriger anerkannt wird". In diesem Zusammenhang kann die britische Staatsbürgerschaft von Sergei Skripal nicht als Grund für die Verweigerung des konsularischen Zugangs angeführt werden.
Der Verweis auf eine angebliche Weigerung der russischen Bürger, diplomatischen Schutz oder konsularische Unterstützung in Anspruch zu nehmen, ist nicht haltbar. Ein Kontakt zwischen einem Staatsangehörigen und einem Konsul ist nicht nur ein Recht des Staatsangehörigen, sondern auch ein Recht des Konsuls, also des Entsendestaates. Damit soll die Möglichkeit ausgeschlossen werden, dass ein Staat, der die Rechte eines Ausländers missachtet, sich einfach auf die mangelnde Bereitschaft dieses Ausländers berufen kann, einen Konsul aufzusuchen, um eine weitere Missachtung von Rechten ohne konsularische Kontrolle zu ermöglichen.
Darüber hinaus lassen die Umstände, unter denen Julia Skripal ihre Erklärung zur Ablehnung konsularischer Besuche abgegeben hat, Zweifel an ihrem freiwilligen Charakter aufkommen.
Wie die Russische Botschaft mehr als einmal erklärt hat, ist sie nicht bestrebt, den Skripals Hilfe und Unterstützung anzubieten, wenn sie diese nicht brauchen oder darum bitten. Doch unter allen Umständen ist es von großer Bedeutung, ihren Standpunkt zu diesem Thema von ihnen direkt und persönlich zu erfahren.
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