Große Beteiligung an Rentenprotesten gegen französische Regierung – Marine Le Pen im Aufwind
Fünf Wochen nach Beginn der Dauerstreiks sind in ganz Frankreich wieder Hunderttausende gegen die geplante Rentenreform von Präsident Emmanuel Macron auf die Straße gegangen. Zehntausende zogen am Donnerstag durch die Hauptstadt Paris – auch in anderen Städten wie Nantes, Marseille und Bordeaux gab es Demonstrationen. Das Innenministerium berichtete am Abend von 452.000 Menschen, davon 56.000 in der Hauptstadt. Die Gewerkschaft CGT sprach ihrerseits von 1,7 Millionen Demonstranten im ganzen Land.
Es war der vierte Massenprotest seit Beginn der Ausstände Anfang Dezember. Zugführer, Anwältinnen, Lehrer oder Postmitarbeiterinnen legten erneut ihre Arbeit nieder. Eine Woche vor Weihnachten waren laut Ministerium noch 615.000 Menschen auf die Straße gegangen. Der Rekordstreik bei der französischen Staatsbahn beschäftigt das Land nun bereits seit 36 Tagen. Die Gewerkschaft CGT und andere Gewerkschaften hatten zu dem neuerlichen Massenprotest aufgerufen. Sie lehnen die Reformpläne der Regierung gänzlich ab.
Demonstranten und Polizei geraten aneinander
Premierminister Édouard Philippe lud für Freitag zu neuen Gesprächen mit den Sozialpartnern ein. Dabei soll ein Vorschlag gemäßigter Gewerkschaftsverbände diskutiert werden, die sich offen für Verhandlungen zeigen. Währenddessen kam es in Paris am frühen Abend zu Spannungen zwischen Polizei und einigen Demonstranten. Die Polizei warnte vor "gewalttätigen Gruppen", die sich in der Nähe der Kirche Saint-Augustin sammelten, dem Endpunkt der Demonstration, und nahm rund zwei Dutzend Menschen fest. Die Polizei hatte Berichten zufolge den Platz rund um die Kirche blockiert. Es gab allerdings auch umgekehrt erneute Vorwürfe im Hinblick auf Polizeigewalt.
Wer Polizeigewalt in Hongkong oder Istanbul anprangert, sollte das auch tun, wenn es in unseren Nachbarländern dazu kommt. Paris, heute. Kundgebung gegen die Rentenreform. Und: In Frankreich schon fast Standard. pic.twitter.com/xpwSRBzgdh
— Fabian Eberhard (@FabianEberhard) January 9, 2020
Frankreichs zivile Luftfahrtbehörde hatte für Donnerstag vor Störungen und Verspätungen im Luftverkehr gewarnt. Auch bei der Bahn und im französischen Nahverkehr gab es wieder massive Behinderungen. Gut zwei Drittel der Zugführer legten die Arbeit nieder – das ist ein deutlicher Anstieg im Vergleich zur Streikquote in den vergangenen Tagen, aber etwas weniger als am letzten großen Protesttag im Dezember. Die Pariser Metro fuhr erneut nur zu Stoßzeiten und auch dann in viel geringerer Taktung als normal. Für zahlreiche Pendler ist der Weg zur Arbeit am Morgen seit Wochen ein Nervenkrieg.
Der Generalsekretär des größten Gewerkschaftsbunds CFDT, Laurent Berger, erhöhte vor dem Treffen mit dem Premier am Freitag nochmals den Druck. "Jeder weiß, dass der Ball jetzt im Feld der Regierung liegt", sagte er. Diese müsse die geplante Regelung streichen, der zufolge die Franzosen erst mit 64 Jahren volle Rentenbezüge erhalten sollen. Nur dann sei die Gewerkschaft weiter gesprächsbereit. Premier Philippe hatte sich zuletzt bei diesem Thema offen gezeigt.
Marine Le Pen im Aufwind
Die Parteichefin von Rassemblement National (RN), ehemals Front National (FN), Marine Le Pen warf der Regierung erneut Manipulation vor. "Es ist eine Verhandlungstechnik (...), die darin besteht, etwas vorzuschlagen, das nicht akzeptabel ist, und es dann zurückzuziehen und alles andere, was ebenfalls nicht akzeptabel ist, durchzukriegen", sagte sie im französischen Fernsehen. Sie gilt als große Gewinnerin der Unruhen. Obwohl die Rente als sozialpolitisches Thema eher der linken Opposition um Jean-Luc Mélenchon und seiner Organisation La France Insoumise liegen sollte, profitiert eher Le Pen. Ihre Umfragewerte sind besser denn je.
In den jüngsten Umfragen liegt Le Pen gleichauf mit Präsident Emmanuel Macron. Beide würden bei einer Präsidentschaftswahl im ersten Wahlgang 29 Prozent der Stimmen erhalten. Noch interessanter ist aber eine aktuelle Prognose für eine denkbare Stichwahl: Dort würden 45 Prozent aller Wählerinnen und Wähler für Le Pen stimmen. Gewählt wird zwar erst im Frühjahr 2022, aber noch nie war Le Pen dem höchsten Amt der Republik in Umfragen so nahe.
Die Regierung hatte stets betont, dass das Rentensystem finanziell ausgeglichen sein müsse und die Franzosen daher etwas länger arbeiten müssten. Zwar soll das Renteneintrittsalter von 62 Jahren bestehen bleiben, so der Vorschlag. Allerdings müssten Arbeitnehmer, die mit 62 in Rente gehen, mit Abschlägen rechnen. Damit war für die eher gemäßigten Gewerkschaften "eine rote Linie" überschritten. Berger von der CFDT hatte zuletzt vorgeschlagen, mit einer Konferenz über die dauerhafte Finanzierung des Systems zu beraten. Premier Philippe nannte dies eine "gute Idee".
Der Streik hatte besonders rund um die Feiertage Pariser Hoteliers und Restaurantbetreiber in Bedrängnis gebracht. Ihnen zufolge blieben zahlreiche Touristen weg. Auch für die betroffenen Verkehrsunternehmen ist der Streik teuer: Fahrgästen im Großraum Paris soll ihre Dauerkarte für den Monat Dezember erstattet werden. Berichten zufolge haben die Streiks die Staatsbahn SNCF bereits rund 600 Millionen Euro gekostet. Éric Trappier, Chef des Flugzeugherstellers Dassault Aviation und Chef der Verbandes der französischen Luft- und Raumfahrtindustrie, betonte hingegen, die wirtschaftlichen Folgen des Streiks für die Branche seien bisher gering. "Die Leute kommen zur Arbeit", erklärte er.
Für Staatschef Macron ist das Rentenreform-Projekt enorm wichtig. Er hatte es im Wahlkampf versprochen. Deswegen drängt er jetzt auf mehr Tempo: Bereits am 24. Januar soll das Kabinett das Gesetzesvorhaben auf den Weg bringen. Die Reform hat zum Ziel, ein universelles Punktesystem ähnlich wie in Deutschland einzuführen. Die Zersplitterung in mehr als 40 Rentenkassen soll damit beendet werden. Viele Berufsgruppen fürchten jedoch vielmehr ein Ende von hart erkämpften Absicherungen. Auch lange Übergangsfristen, wie von der Regierung vorgeschlagen, konnten die Streikenden nicht beruhigen.
BlackRock mischt mit
Es gibt auch kritische Stimmen, die in der sogenannten Rentenreform Macrons nichts anderes sehen, als die Privatisierung des staatlichen Rentensystems. Marco Wenzel schreibt auf den NachDenkSeiten, dass es bei dem Vorhaben vor allem darum gehe, "den Rentenfonds die Ersparnisse der Beschäftigten zuzuschanzen", damit diese auf Aktienmärkten mit dem Kapital spekulieren könnten. Und Macron habe mit dem auch in Deutschland nicht unbekannten Finanzinvestor BlackRock auch schon den richtigen Partner dafür gefunden. Und weiter:
BlackRock ist zudem Großaktionär bei fast allen großen Konzernen weltweit. Auch in Frankreich ist die Firma von Larry Fink Großaktionär bei fast allen großen Gesellschaften, überall steckt, mit geliehenem Geld, Kapital von BlackRock drin, bei Airbus, Renault, L'Oréal, Total, Paribas, AXA usw. Aber das Geld der französischen Sparer liegt meist noch auf Sparbüchern und an dieses Geld will BlackRock ran.
Nicht nur gehe Fink im Élysée ein und aus, Macron habe 2017 mit Jean-Paul Delevoye zudem einen Freund des französischen BlackRock-Chefs Jean-François Cirelli zum Hochkommissar für die Rentenreform ernannt. Zwar ist Delevoye in der Zwischenzeit nach Vorwürfen von nicht angegebenen Nebenjobs wieder zurückgetreten, doch inmitten der Streiks gegen die Rentenreform wurde Cirelli vom "Ritter" zum "Offizier" der Ehrenlegion befördert. Schlechte Nachrichten für kommende Rentner in Frankreich.
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