Gesellschaft

Energiepreise: Deutschland auf dem Weg zum Industriemuseum

Achtmal, neunmal so hohe Energiekosten wie in den USA – das ist ganz offensichtlich nicht gerade ein Wettbewerbsvorteil. Auch die deutsche Industrie meldet sich – wenn auch jetzt erst – lauter zu Wort, dafür aber mit Kassandrarufen. Die Kostensteigerungen sind nicht mehr zu kompensieren.
Energiepreise: Deutschland auf dem Weg zum IndustriemuseumQuelle: www.globallookpress.com © imago stock&people

Die Stimmen aus der Industrie, die vor den Konsequenzen der steigenden Energiepreise in Deutschland warnen, werden immer lauter. Dabei dürfte der Grund, warum die Reaktion erst mit so großer Verzögerung eintrifft, daran liegen, dass die meisten Unternehmen, wie die Verbraucher auch, langfristige Verträge haben, die jüngsten Erhöhungen also erst mit Verzögerung bei ihnen aufschlagen.

Schon Anfang des Monats hatte unter anderem der renommierte Trigema-Inhaber Wolfgang Grupp vor einer "großen Entlassungswelle" gewarnt. Und die bayerische Industrie- und Handelskammer (BIHK) erklärte, bei diesen Strompreisen wären allein in Bayern Tausende von Arbeitsplätzen in Gefahr; wenn das russische Gas ausfallen würde, könne die Zahl allein in Bayern auf bis zu eine Million steigen.

Nach einer Umfrage der BIHK fürchten zwei Drittel der Betriebe in Bayern den Verlust der Wettbewerbsfähigkeit, und ein Fünftel beabsichtigt eine Verlagerung ins Ausland oder hat diese bereits eingeleitet. Bekanntlich beheimaten Bayern und Baden-Württemberg Zentren der deutschen Industrie.

Aber auch die verbleibenden Industriebetriebe im Norden Deutschlands stehen vor großen Problemen. So muss zum Beispiel ein spezialisierter Metallbetrieb, eine Vakuumhärterei, die bisher jährlich Stromkosten von 168.000 Euro hatte, für dieselbe Energiemenge künftig mit Kosten von 1,7 bis 2 Millionen Euro rechnen. Weitere Energieeinsparungen sind aber bei einem solchen, aus gutem Grund jahrelang technologisch optimierten Prozess, bei dem Metallteile elektrisch erhitzt werden, um sie zu härten, technisch so gut wie unmöglich.

Die deutschen Energiepreise waren bereits vor der gegenwärtigen Krise die höchsten in Europa, wie zumindest Eingeweihte wissen – auch für die deutsche Industrie, obwohl deren Kosten immer weit unter denen für die individuellen Verbraucher lagen. "Die deutsche Industrie zahlt für Erdgas aktuell einen Marktpreis, der um den Faktor acht höher liegt als der Marktpreis in den USA", zitiert das Handelsblatt einen Energieexperten der TU Darmstadt. Bezöge man Steuern und Abgaben mit ein, liege er sogar beim Neunfachen. Der Vorstandsvorsitzende von LANXESS AG, der für Spezialchemie abgespaltenen Tochter der Bayer AG, erklärte, blieben die Energiepreise so hoch wie jetzt, "werden wir erleben, dass reihenweise Betriebe in deutschen Schlüsselindustrien schließen. Und was jetzt an wettbewerbsfähigere Regionen wie die USA verloren geht, wird nicht zurückkommen".

Auch der Gesamtverband der deutschen Textil- und Modeindustrie sieht seine ganze Branche in Gefahr. Geschäftsführer Uwe Mazura warnte jüngst, "wer jetzt noch davon redet, dass hohe Preise ein notwendiger Anreiz fürs Energiesparen sind, hat die ganze Dramatik noch nicht verstanden. Wenn die Hersteller ihre Energierechnungen gar nicht mehr bezahlen können, gehen die Lichter ganz aus und zwar flächendeckend".

Nach Angaben der Internationalen Energieagentur lagen die Strompreise für die Industrie schon 2020 – also noch vor der Erhöhungswelle – mit 15,22 Cent je Kilowattstunde bei über dem Doppelten dessen, was in den USA bezahlt werden muss, wo dieser Preis nur 6,66 Cent beträgt. Die zusätzlichen Abgaben, die erhoben werden, sind so hoch, dass selbst nach Vergünstigungen für die Industrie ein Preis übrig bleibt, der weit über dem Strompreis anderer Länder liegt. Unter diesen Bedingungen werden die USA plötzlich – schon allein dank ihrer niedrigeren Strom- wie Gaspreise – ein attraktives Ziel für die Abwanderung.

In der deutschen Aluminiumindustrie haben die Preissteigerungen bereits zu einem Produktionsrückgang von 23 Prozent im zweiten Quartal dieses Jahres geführt. Aluminium ist unter anderem für den Flugzeugbau, aber auch für die Automobilindustrie ein entscheidender Rohstoff. Und einer der größten auswärtigen Lieferanten für Aluminium – Russland – ist durch die Sanktionen obendrein ausgefallen. Hier klafft also bereits die nächste Lücke in der Lieferkette.

Die großen, international agierenden Chemieunternehmen, so sagt Wolfgang Große Entrup als Hauptgeschäftsführer des Verbandes der Chemischen Industrie, können mit der Belastung umgehen. Tatsächlich können sie ihre Produktion ohne größeren Aufwand umverteilen; für den deutschen Arbeitsmarkt entspricht das dennoch einer Verlagerung. Kleinere und mittlere Firmen, die nur in Deutschland produzieren, werden dagegen vermutlich eher ganz schließen müssen.

"Keine Idee der Welt schafft es noch, die aktuellen Wettbewerbsnachteile bei den Energiekosten zu kompensieren", sagte er. Der Schritt von einer "weltweit führenden Industrie- und Exportnation hin zum Industriemuseum ist kurz und muss unter allen Umständen vermieden werden".

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