"Kindesentziehung": Ukrainische Flüchtlingsmütter bitten um Hilfe (Teil 2)
Von Maria Müller
Im ersten Teil der Artikelserie berichteten ukrainische Flüchtlingsmütter darüber, wie ihnen deutsche Jugendämter ihre Kinder wegnehmen. Das Vorgehen der Behörden, mancher Gerichte und beteiligter Ärzte, Psychologen oder Psychiater ist unflexibel und autoritär. Die Frauen werden von den Entscheidungen, die sie von ihren Kindern trennen, hinterrücks überrascht. Aufgrund der Sprachbarrieren und ihrer geringen finanziellen Mitteln ist der Zugang zu Rechtsanwälten überwiegend versperrt.
Die Maßnahmen zielen immer wieder darauf ab, ihnen das Sorgerecht für ihre Kinder teilweise oder ganz zu entziehen. Ukrainische Flüchtlingskinder verschwinden plötzlich in Waisenhäusern, Kinderheimen oder Kliniken und finden sich anschließend bei deutschen Pflegefamilien wieder, zu denen die leiblichen Eltern keinen Zugang haben. Der Kontakt ist fast vollständig verboten. Man muss nicht Psychologie studiert haben, um zu wissen, dass Trennungen und ein Leben ohne die eigenen familiären Bezugspersonen über Wochen und Monate hinweg bei Kleinkindern zu schweren seelischen Schäden führen, die sie lebenslang beeinträchtigen.
Die internationalen und bundesdeutschen Gesetzesnormen
Die offizielle Gesetzgebung in Sachen Flüchtlingskindern spricht eine ganz andere Sprache. Die UN-Kinderrechtskonvention (Art. 3, Abs.1), besagt: "Das Wohl des Kindes ist ein Gesichtspunkt, der vorrangig zu berücksichtigen ist …"
In der Bundesrepublik ist 2015 das Gesetz zur Verbesserung der Unterbringung, Versorgung und Betreuung ausländischer Kinder und Jugendlicher in Kraft getreten. Es sollte "die Situation, das psychische und das körperliche Wohlbefinden des Kindes verbessern" …
Die in dieser Serie wiedergegebenen Berichte sind eine Aufforderung an uns alle, einem Phänomen auf den Grund zu gehen, das womöglich die Menschenrechte von Flüchtlingsfamilien schwer missachtet.
Berichte im Detail: zwei betroffene ukrainische Mütter erzählen ihre Erfahrungen in Deutschland
Das ukrainische Portal Strana News hat Berichte von ukrainischen Flüchtlingsmüttern in der Originalsprache veröffentlicht. Man kann sie per online-Übersetzung in allen Sprachen lesen.
Bericht von Jelena Kowalewa
"Ich bin mit meinem jüngsten Sohn Richard (vier Jahre alt) nach Deutschland gekommen. Der Älteste, Alexander (16 Jahre), ist in der Ukraine geblieben, er wollte nicht weg, aber nach ein paar Monaten habe ich ihn überredet zu kommen. Nach meiner Ankunft im März letzten Jahres haben mich ukrainische Freiwillige empfohlen. Eine Familie war bereit, ukrainische Flüchtlinge aufzunehmen. Außer uns lebten dort zwölf Personen, darunter zwei Kinder. Es war wie ein kleines Familieninternat. Wir lebten dort 51 Tage. Dann wurde uns angeboten, in ein Flüchtlingslager zu ziehen: Wir wurden akzeptiert, alles wurde ohne Probleme erledigt, aber ein paar Tage später kamen Vertreter des Jugendamtes und sagten, dass sich die Familie, bei der wir vorher gewohnt hatten, über mich beschwert haben. Wir hatten keine Konflikte. Sie schrieben eine Erklärung, dass ich mich angeblich nicht um mein Kind kümmere, es zu wenig ernähre, ich reagiere zu emotional auf alltägliche Schwierigkeiten. Und sie sagten mir, dass ich aufgrund dieser Denunziation vorübergehend von dem Kind getrennt werde, bis alle Umstände geklärt sind. Das Kind wurde direkt aus dem Sandkasten geholt, wo es gespielt hat."
"Um mir mein Kind wegzunehmen, hat es gereicht, dass einige Leute ohne jede Beweise eine Beschwerde gegen mich geschrieben haben, dass ich eine schlechte Mutter sei." Kowalewa weiter:
"Zuerst wurde mein Sohn in ein Waisenhaus gebracht, zehn Tage später kam er zu einer unbekannten Familie. Die erste Gerichtsverhandlung fand zwei Wochen danach statt. Dort sagten sie mir, dass ich meinen Sohn einmal alle acht Monate sehen könne". (!)
"Die zweite Anhörung fand vier Monate später statt, und mir wurde gesagt, dass meine elterlichen Rechte vorübergehend ausgesetzt würden. Danach brach ich in Tränen aus – und das Gericht urteilte, ich müsse mich einer psychiatrischen Untersuchung unterziehen und meine Erziehungsfähigkeit beweisen, sonst würde man mir das Kind nicht zurückgegeben."
Kowalewa schaltete einen Anwalt ein, der ihr riet, Dokumente in der Ukraine zu sammeln. Ihre Unterlagen waren alle positiv, und der Anwalt bestätigte, dass sie weder in einem psychiatrischen Register geführt noch strafrechtlich auffällig war. Doch später stellte sich heraus, dass diese anwaltliche Feststellung dem Gericht nicht ausreichte.
Die Mutter erklärt: "In den letzten sieben Monaten habe ich meinen Sohn nur dreimal gesehen." (Das dritte Mal brach sie ein Verbot. Anm.)
Nun besteht auch für den ältesten Sohn, den 16-jährigen Alexander, die Gefahr, von der Mutter getrennt zu werden. Vor ungefähr einem Monat ging sie mit ihm zu einem Treffen mit dem jüngsten Kind Richard. Doch man erlaubte nur Alexander den Kontakt. Der Mutter sei er nicht erlaubt. Sie stürmte dennoch in Richards Zimmer, um ihn zu umarmen. Das Jugendamt rief die Polizei und behauptete, Kowalewa habe den Beamten dabei leichte Körperverletzungen zugefügt. Ein Strafverfahren wurde gegen sie eröffnet, auf dessen Grundlage auch der älteste Sohn von ihr getrennt werden könnte.
Bericht von Jelena Daschko aus Sewerodonezk
Daschko kam im Oktober 2022 mit ihrer neunjährigen Tochter nach Deutschland. Sie lebte mehrere Monate in einem Flüchtlingslager, wo sie bemerkte, dass ihre Tochter einschlief und sich manchmal große Sorgen machte. Die Frau beschloss, sich an den örtlichen Psychologen zu wenden, der sich im Flüchtlingslager aufhielt.
"Der Psychologe hat meine Tochter gebeten, ein paar Tage in seiner Klinik zu bleiben, und sie werden sie im Auge behalten. Es war nicht weit von unserem Wohnort entfernt, also habe ich zugestimmt. Ein paar Tage später hat mir der Psychologe gesagt, dass es mit meiner Tochter immer schlimmer wird, sie schreit ständig und versucht wegzulaufen, also müsse sie in der Klinik bleiben. Nach diesen Worten rief der Arzt die Jugendbetreuer an, die sagten, dass sie ab jetzt meine elterlichen Rechte teilweise einschränkten. Meine Tochter war zehn Tage lang bei den Psychologen. Dann gab es eine Anhörung vor einem Gericht, das mir meine elterlichen Rechte teilweise entzog. Mir wurde gesagt, dass ich jetzt nicht entscheiden kann, wo meine Tochter sein wird.
Zwei Wochen nachdem sie sie weggebracht hatten, sah ich meine Tochter zum ersten Mal. Sie war in einem schrecklichen Zustand, ganz zerkratzt, blaue Flecken im Gesicht, sie sprach praktisch nicht. Sie sagte mir, dass sie die ganze Zeit allein war, niemand mit ihr gesprochen hat, und wenn doch, dann auf Deutsch, was sie nicht versteht. Auf meine Frage, wo das Mädchen den Bluterguss erlitten hat, sagten die Ärzte, sie habe sich selbst geschlagen."
In der Klinik des Psychologen habe man Daschko gesagt, dass sie kein Besuchsrecht mehr für ihre Tochter habe, da ihr ein Vormund zugeteilt wurde. Wenn sie in der Klinik auftauche, würde ein Strafverfahren gegen sie eröffnet. Man habe ihr diesen Beschluss schriftlich ausgehändigt.
Die Ukrainerin wandte sich an das Konsulat und bat um Hilfe, um die aktuelle Situation überhaupt zu verstehen. Das Konsulat konnte ihr nicht helfen, da sie sich auf dem Territorium eines anderen Landes befinde und gezwungen sei, dessen Gesetze zu befolgen.
"Heute weiß ich nicht, wo meine Tochter ist, das sagt man mir in der Klinik nicht. (!!) Im Konsulat haben sie mir gesagt, wenn die Ärzte meine Tochter mitnehmen, dann ist das sehr nötig, sie wissen angeblich, was sie tun. Jetzt geben sie meiner Tochter ein paar Psychopharmaka, aber welche weiß ich nicht. Wie lange die Behandlung dauert, sagen sie mir auch nicht. Mehr als drei Monate lang sah ich meine Tochter nur viermal.
Das Konsulat ist machtlos. Allein in Deutschland gibt es mehr als 100 Fälle, in denen Kinder von Flüchtlingen weggenommen wurden. Wir kommen bereits in Gemeinschaften zusammen, helfen einander finanziell und rechtlich. Im Moment ist mir nur ein Fall bekannt, in dem ein Kind aus der Ukraine an seine Familie zurückgegeben wurde. Wir wollen alle zurück in die Ukraine, aber wir können das nicht tun, solange unsere Kinder hier sind", erzählte Daschko.
Weitere Fragen zum Verbleib ukrainischer Flüchtlingskinder in Deutschland
Nach dem Lesen dieser Zeugnisse stellen sich weitere Fragen. Zum einen, ob es Lobbyorganisationen gibt, die für die Belegung von Kliniken, Waisenhäusern und Kinderheimen bei den zuständigen Behörden werben. Ob ein finanzieller Hintergrund dafür nicht ausgeschlossen werden kann – falls die Institutionen staatliche Finanzierungen erhalten, ähnlich den Krankenhäusern.
In einer Studie des Soziologen Wolfgang Hammer (Familienrecht in Deutschland) wird erwähnt, dass es durchaus gängige Praxis von Behörden und Gerichten in Deutschland sei, Kinder von ihren Eltern bzw. ihren Müttern zu trennen. Auch gebe es Lobbyorganisationen im Umfeld der Familiengerichte. "Außerdem haben sich Subsysteme bei Gericht gebildet. Dort entscheidet nicht das Gesetz, sondern die Auswahl von Richtern, Gutachtern und Beiständen über das weitere Leben der Kinder." Er spricht auch von "tendenziösen Gutachten".
All das ist also nicht neu in der Bundesrepublik. Solche Hinweise deuten zumindest Hintergründe an, die in die Erforschung des Verbleibs ukrainischer Flüchtlingskinder in Deutschland einbezogen werden müssen.
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