Gesellschaft

"In Deutschland gibt es ein eigenartiges Phänomen": Shir Hever über Israelkritik und Antideutsche

Gegen Israelkritiker wird in Deutschland oftmals der pauschale Vorwurf des Antisemitismus erhoben. Besonders sogenannte "Antideutsche" gehen aggressiv gegen Israelkritiker vor - wie der israelische Ökonom Shir Hever aus eigener Erfahrung zu berichten weiß.
"In Deutschland gibt es ein eigenartiges Phänomen": Shir Hever über Israelkritik und AntideutscheQuelle: www.globallookpress.com

Der Ökonom Shir Hever ist jüdischen Glaubens und israelischer Staatsbürger. Seine Promotion erlangte er an der Freien Universität in Berlin über die "Privatisierung der israelischen Sicherheit". Als Journalist und Wirtschaftsforscher arbeitet Hever für „The Real News Network“. Mit ihm sprach Karin Leukefeld (KL) am Rande der Veranstaltung "Israels rechte Freunde in Europa und den USA", die am 4. Februar in Bonn stattfand.

KL: Die Veranstaltung mit Ihnen heute Abend in Bonn ist aufgrund auswärtiger Interventionen zwei Mal abgesagt und verlegt worden. Erleben Sie solchen Druck auch andernorts?

Shir Hever (SH): Ich habe schon in anderen Städten erlebt, dass Veranstaltungen mit mir abgesagt wurden. Aber nicht häufig. Für jede Veranstaltung, die abgesagt wird, gibt es mindestens 20 Veranstaltungen, die problemlos und mit vielen Zuhörern stattfinden. Besonders im letzten Jahr aber hat sich die Zahl der gekündigten Veranstaltung ziemlich erhöht. Nicht nur für mich, sondern für viele andere Aktivisten und Aktivistinnen, die für die Rechte der Palästinenser eintreten. Und das ist ganz eindeutig auf die Bemühungen des israelischen Ministeriums für Sicherheitsangelegenheiten zurückzuführen.

Es gab sogar von dem Fernsehsender Al Jazeera in Katar eine Dokumentation, in der gezeigt wurde, mit welchen Methoden dieses Ministerium versucht, Veranstaltungen über Palästina zu blockieren, die Aktivisten und Aktivistinnen zu beschimpfen und dergleichen. Nachdem diese Dokumentation veröffentlicht worden war, hat der Minister für Sicherheitsangelegenheiten sich bei Al Jazeera bedankt und gesagt: "Vielen Dank, dass Sie zeigen, was ich mache." Das ist kein Geheimnis.

KL: War das die Dokumentation, in der gezeigt wurde, wie in Großbritannien versucht wurde, auf die Labour Partei Einfluss zu nehmen?

SH: Diese Dokumentation über Großbritannien heißt "The Lobby". Die andere Dokumentation, auf die ich mich eben bezogen habe, wurde in den USA gedreht und heißt "The Lobby US". Man kann sich diese Dokumentationen Online im Internet ansehen. Allerdings hat Israel enormen Druck auf Al Jazeera ausgeübt, so dass der Sender die Dokumentation "The Lobby US" zensiert hat. Das können wir in gewisser Weise also auch als eine "gekündigte" Veranstaltung bezeichnen. Aber der Vorgang wurde bekannt und man kann heute "The Lobby" online auf der Webseite von Al Jazeera sehen. Die von Al Jazeera zensierte Fassung "The Lobby US" kann man ebenfalls, und zwar auf der Webseite von Electronic Intifada sehen.

KL: Es gibt also nicht nur in Deutschland Versuche, Veranstaltungen mit Ihnen oder allgemein israel-kritische Veranstaltungen zu diffamieren, zu verhindern?

SH: Nein, das gibt es nicht nur in Deutschland. Obwohl es in Deutschland ein ganz spezifisches, ganz eigenartiges Phänomen gibt, das es in anderen Ländern nicht gibt. In allen Ländern ist aber klar, dass die meisten Gruppen, die für die israelische Politik eintreten, extrem rechte Gruppen sind. Das ist auch das Thema meines heutigen Vortrages.

KL: Die Äußerungen gegen Ihre Veranstaltung heute Abend in Bonn, die über Twitter, Facebook usw. verbreitet wurden, richteten sich aber weniger gegen das Thema Ihres Vortrages als vielmehr gegen die Gruppen, die diese Veranstaltung unterstützen. Es ging gegen die BDS-Gruppe Bonn, die eine Kampagne "Boykott, Desinvestition, Sanktionen" unterstützt, es ging auch um die "Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost", deren Vorstand Sie angehören.

SH: Es geht nur gegen die Gruppen. Das Thema hat sehr viel mit anderen Ländern zu tun. Ich habe den Eindruck, dass die deutschen pro-israelischen Gruppen sehr wenig Ahnung haben, was in anderen Ländern passiert. Es gibt zum Beispiel nur in Deutschland eine linke pro-israelische Gruppe, auch "Antideutsche" genannt. Es ist selten, aber wenn ich die Gelegenheit habe, mit solchen Menschen zu sprechen, reagieren sie sehr überrascht, wenn ich ihnen sage, dass sie sehr nationalistisch sind.

Sie sagen: "Wieso, wir sind Linke und gegen Nationalismus." Aber sie sind mit keiner linken Gruppe in einem anderen Land solidarisch. Selbst in Israel nicht, weil sie diese Idee vertreten, dass man in Deutschland gegen die Palästinenser auftreten muss. Sie fordern, dass man in Deutschland bedingungslos für Israel sein muss, als Teil der deutschen Identität. In anderen Ländern ist das anders. In keinem anderen Land der Welt gibt es eine Gruppe, die sich selber als links bezeichnet und so pro Israel und gegen die Palästinenser ist.

KL: Gegen Palästinenser oder gegen Muslime?

SH: Wenn wir über die „Antideutschen“ sprechen, sind sie mehr gegen die Palästinenser als gegen die Muslime. Manchmal engagieren sich diese Gruppen ja auch in der Flüchtlingshilfe, tun was für Flüchtlinge aus Syrien zum Beispiel. Wenn sie aber hören, dass diese syrischen Flüchtlinge Palästinenser sind, dann hört die Hilfe auf. Es geht nicht nur um die Feindseligkeit gegenüber dem Islam, es geht um Hass auf die Palästinenser. Denn die israelische Regierung, die israelischen Botschaften bezeichnen alle Palästinenser als „Terroristen“. Und was die israelische Regierung sagt, ist für diese Gruppen scheinbar so unantastbar wie das 'Heilige Wort', wie die Bibel.

KL: Ihnen ist sicherlich Henryk M. Broder bekannt, ein bekannter Publizist mit einer sehr ausgeprägten pro-israelischen Position. Er hat einmal die "Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost" als eine "Bande von Antisemiten" diffamiert.

SH: Bei pro-israelischen Juden in Deutschland, zu denen auch Broder gehört, überrascht mich, dass sie ihr Ansehen und ihren Einfluss nutzen, um denjenigen zu schaden, die sich für Palästina einsetzen, anstatt Juden in Deutschland zu schützen. Alle richtigen Antisemiten können problemlos gegen Juden vorgehen, so lange sie mit der israelischen Regierung gut befreundet sind. Genau das ist das Thema der heutigen Veranstaltung. Es geht um die Regierungen in Polen und Ungarn beispielsweise, die antisemitische Gesetze erlassen. Menschen wie Broder interessiert das gar nicht, weil er vielleicht glaubt, dass es in Deutschland keinen Antisemitismus gibt. Das heißt es doch, wenn er den Vorwurf von Antisemitismus auf Personen überträgt, die der Politik Netanjahus kritisch gegenüber stehen.

Man muss verstehen, dass in der israelischen Politik und auch in jüdischen Kreisen außerhalb Israels, wie in den USA oder Kanada, über so ein Verhalten sehr intensiv diskutiert wird. Es gibt beispielsweise eine neue Kongressabgeordnete, Alexandria Ocasio-Cortez, die öffentlich BDS unterstützt. Und als mit AIPAC eine Israel-Lobby-Gruppe sie als Antisemitin bezeichnete, sagte die andere Israel-Lobby-Gruppe J-Street, wir lehnen BDS ab, aber sie ist keine Antisemitin und die BDS-Bewegung ist nicht antisemitisch. Es ist wichtig, darüber zu sprechen, weil die Leute von J-Street eine Zunahme von Antisemitismus in den USA befürchten.

Donald Trump interessiert sich dafür nicht, und das Massaker in der Synagoge in Pittsburg (28.10.2018) war ganz klar ein Angriff von extrem rechten Gruppen. Der Mann, der für das Massaker verantwortlich ist, beruft sich auf die gleiche Politik, die die israelische Regierung und die amerikanische Regierung gegen Flüchtlinge, gegen Muslime, gegen Araber, gegen Palästinenser durchsetzen. Das interessiert Broder gar nicht. Er nutzt den Vorwurf des Antisemitismus als Waffe.

KL: Sie sind israelischer Staatsbürger, aber Sie leben in Deutschland. Trifft Sie dieser Vorwurf, Sie seien antisemitisch? Ist das nicht verletzend?

SH: Weil ich in Israel aufgewachsen bin, ist ... (das Wissen über) Antisemitismus ein grundlegender Teil meiner kulturellen Erziehung. Oft wird über diese absurden Antisemitismus-Vorwürfe in der israelischen Kultur gelacht, man nimmt es mit Humor. Vielleicht tut es mir deshalb nicht so weh wie vielleicht deutschen Juden, die hier aufgewachsen sind und so einen Vorwurf nicht witzig finden. Das kann ich verstehen. Natürlich ist es für meine verstorbenen Großeltern väterlicherseits verletzend, die aus Polen stammen und den Krieg damals nur überlebten, weil sie fliehen konnten.

Und was mich sehr verletzt, ist, wenn die Deutsch–Israelische Gesellschaft heute beispielsweise sagt, dass palästinensische Flüchtlinge nur ein politisches Druckmittel gegen Israel seien. Das ist eine direkte Beleidigung meiner Großeltern, denn genau das hat 1939 die polnische Regierung gesagt. Die polnische Regierung sagte damals über Juden, die aus Polen fliehen mussten, sie seien keine Flüchtlinge, sondern nur ein "politisches Druckmittel" gegen Polen. Das ist eine Art von Dehumanisierung, von Herabwürdigung von Flüchtlingen. Und so etwas macht heute die Deutsch-Israelische Gesellschaft. Sie reflektiert gar nicht, welche politische Wortwahl sie übernimmt.

KL: In Deutschland wird ja immer mehr die Kritik an israelischer Politik gleichgesetzt mit Antisemitismus. Es gibt eine Landtags-Entscheidung hier in Nordrhein-Westfalen, die besagt, dass BDS-Gruppen keine öffentlichen Räume zur Verfügung gestellt bekommen sollen, weil ihre Kritik an Israel antisemitisch sei. Kritik an Israel wird zunehmend mit Antisemitismus gleichgesetzt. Was denken Sie über diese Gleichsetzung von Kritik an der israelischen Politik mit dem Antisemitismus?

SH: Bis 2012 gab es eine Webseite im israelischen Außenministerium, auf der stand: Wir kämpfen gegen Antisemitismus, aber Kritik am Staat Israel ist erlaubt und auch der Aufruf zu einem Boykott ist nicht immer antisemitisch. Im Januar 2012 hat das israelische Außenministerium diese Webseite gelöscht, nachdem es in Jerusalem einen großen Kongress gegen Antisemitismus gegeben hatte. Netanjahu, der Ehrengast und Hauptredner auf dem Kongress war, sagte damals, jeder, der die BDS-Kampagne unterstützt, sei ein Antisemit.

Diese Aussage traf damals Tausende von jüdischen BDS-Unterstützern und Organisationen, die natürlich nicht antisemitisch waren und spielte den rechtsextremen Gruppen in der Welt und auch in Deutschland in die Hände. Diejenigen, die in Deutschland sagen, jede Kritik an Israel sei antisemitisch, sagen Vergleichbares nicht über andere Minderheiten in Deutschland. Beispielsweise Menschen aus der Türkei, die die Politik von Erdogan kritisieren, werden nicht als islamophob bezeichnet. Ihnen werden keine Räume gekündigt. Man nimmt die Aussage von Netanjahu, jede Kritik an der Politik Israels sei antisemitisch, als Vorwand, damit in Deutschland solche Juden bleiben können, wenn sie zionistische Politik unterstützen.

Die Tradition nicht-zionistischer Politik unter Juden, oder auch anti-zionistische Positionen unter Juden, werden delegitimiert. Vielleicht will man sie auch loswerden. Juden mit anderen Meinungen sind deswegen in Deutschland nicht willkommen. Wenn ich beispielsweise so eine Entscheidung höre, wie sie der Landtag von Nordrhein-Westfalen getroffen hat, erinnert mich das an eine Aussage von Adolf Eichmann. Bei seinem Prozess in Jerusalem sagte er: "Aber ich war selber Zionist. Ich wollte den Juden helfen, nach Palästina zu gehen." Das bedeutet, Juden dürfen vielleicht leben, aber nicht hier. Wenn man verschiedene Meinungen nicht erlaubt, hat man vor Juden als Menschen keinen Respekt.

KL: Seit wann leben Sie in Deutschland?

SH: Seit acht Jahren.

KL: Sie haben in Berlin studiert und promoviert.

SH: Ja, obwohl ich nie in Berlin gelebt habe. Ich habe in Göttingen gelebt und jetzt lebe ich in Heidelberg.

KL: Und wo fühlen Sie sich zu Hause? Fahren Sie noch nach Israel?

SH: Ich fühle mich in Heidelberg zu Hause, dort habe ich viele Freunde. Manchmal besuche ich Jerusalem, meine Geburtsstadt, wo ich auch aufgewachsen bin. Fünf Jahre habe ich auch in Tel Aviv gelebt und ein Jahr in Sderot, neben Gaza. Wenn ich nach Israel fahre, macht es mich traurig. Nicht wegen der Politik, die verfolge ich von hier aus auch. Sondern weil ich meine Freunde nicht mehr finde. Meine Freunde aus der Studienzeit in Tel Aviv oder aus der Zeit meiner politischen Aktivitäten in Jerusalem sind nicht mehr da. Sie sind jetzt in Berlin oder in New York oder in Los Angeles oder in Paris. Gut ausgebildete junge Leute, vor allem Linke, verlassen Israel in großer Zahl.

KL: Eine Fluchtbewegung?

SH: Ja, sie fliehen vor einer extrem rechten und populistischen Politik in Israel, die ihr Feindbild bei den Linken sieht. Wenn man heute in Israel als 'links' bezeichnet wird, dann ist das eine Beschimpfung. Die israelische Regierung versucht, die Meinungsfreiheit zu behindern. Das ist sogar schlimmer dort als in Deutschland. Auch dort werden Räume gekündigt, und was hier in Deutschland passiert, ist nichts im Vergleich zu dem, was in Israel passiert. Menschen werden verhaftet, von der Geheimpolizei befragt.

Aber trotz der Gefahren gibt es in Israel noch immer Menschen, die öffentlich für BDS eintreten, das ist sehr mutig. Und es ist interessant, dass Gilad Erdan, der Minister für Öffentliche Sicherheit und Strategische Angelegenheiten, den ich schon erwähnte, 20 Prozent seines Budgets dafür verwendet, in Israel Werbung gegen BDS zu verbreiten, auf Hebräisch natürlich. Sie gehen davon aus, dass sehr viele Israelis BDS unterstützen, aber nicht darüber reden. Die Regierung will sie davon abbringen. Ich finde es nicht überraschend, dass so viele Israelis BDS unterstützen. Diese Kampagne bedeutet Hoffnung auf eine politische Lösung mit den Palästinensern ohne Gewalt.

KL: Die BDS-Kampagne wird also von Netanjahu und der aktuellen Regierung als Gefahr für die eigene Position angesehen?

SH: Ja. Sie sagen ganz offen, dass die BDS-Kampagne eine existenzielle Gefahr für den Staat Israel sei. Aber das stimmt nicht. BDS ist eine existenzielle Gefahr für die rechtspopulistische Regierung in Israel. Eine Gefahr für die Besatzung, für die Apartheid und für die koloniale Politik dieser israelischen Regierung.

KL: Werden Sie bedroht, wenn Sie nach Israel fahren?

SH: Bisher hatte ich kein Problem. Fast jede Freundin, jeder Freund in Israel wurde von der Geheimpolizei befragt, aber ich nicht. (Lacht) Jetzt bin ich also verdächtig für meine Freunde. Sie können sich fragen, warum sich die Geheimpolizei nicht für mich interessiert. Ich meine das als Scherz!

KL: Heute Abend sprechen Sie über die Beziehungen zwischen der israelischen Regierung und extrem rechten und populistischen Gruppen. Bitte skizzieren Sie kurz, worum es geht.

SH: Ich werde viele Beispiele solcher Kooperationen vorstellen. Und ich stelle zwei Fragen: Welches Interesse hat die israelische Regierung, Verbindungen mit solchen extrem rechten und populistischen Parteien aufzunehmen? In der Vergangenheit haben sich israelische Regierungen geweigert, solche Kontakte zu haben, die Entwicklung ist also neu. Und die andere Frage ist: Wie profitieren diese extrem rechten und populistischen Parteien von der Verbindung mit der israelischen Regierung? Wenn man das Interesse der beiden Seiten versteht, kann man auch besser verstehen, warum das einen solchen Einfluss auf unser Leben in Deutschland nimmt.

KL: Können sie zu beiden Fragen kurz in einem Satz antworten?

SH: Für die israelische Regierung ist die Erklärung einfach. Netanjahu hat große Angst vor der BDS-Kampagne, er sieht, dass BDS die Politik Israels in der Welt isolieren kann. Nun kann er sagen: Wir haben neue Freunde. Wir haben Orbán in Ungarn, Bolsonaro in Brasilien, Trump in den USA. Das reicht, um zu vergessen, dass linke, demokratische, liberale Parteien mit uns nichts mehr zu tun haben wollen. Das ist auch seine Wahlstrategie. Am 9. April gibt es ja nationale Wahlen in Israel.

Für die andere Seite ist es so, dass viele dieser extrem rechten Gruppen richtig rassistisch und antisemitisch sind. Sie sagen, Europa gehört nur den Christen. Diese Gruppen werden dafür zwar kritisiert, aber sie sagen, wie kann man uns als antisemitisch kritisieren, wenn wir doch den Staat Israel unterstützen. Wenn sie ein gutes Foto mit Netanjahu haben, ist das ihr Beweis. Sie wollen sich auch politisch an Israel orientieren. Was Israel gegen die Palästinenser macht, wollen sie gegen Flüchtlinge in Europa, in Brasilien, in den USA machen. Die Beziehung zu Israel legitimiert ihre eigene Politik.

KL: Vielleicht könnten Sie noch einen Satz zu den bevorstehenden Wahlen in Israel sagen? Der ehemalige Oberkommandierende der Israelischen Streitkräfte, Benny Gantz, kandidiert auch und hat eine extreme Wahlkampagne gestartet. Darin brüstet er sich mit den Angriffen auf Gaza. Hat er gegen Netanjahu eine reale Chance?

SH: Das thematisiere ich auch in meinem letzten Buch (The Privatization of Israeli Security, Pluto Press, 2018), und es lässt sich wirklich schwer in einem Satz beantworten. Aber was ich sagen kann, ist, dass es in Israel einen Kampf zwischen den populistischen extremen Rechten und der Sicherheitselite, also den Generälen gibt. Die Generäle fühlen sich bedroht, sie verlieren ihren Einfluss auf die Öffentlichkeit. Sie wollen eine "vernünftige Besatzung", und die populistische Rechte will Prestige und Stolz. Auch wenn es sie in anderen Bereichen das Ansehen kostet.

Benny Gantz versucht, die Macht wieder zurück in die Hände der alten Sicherheitselite zu bringen. In die Hände der Generäle, die seit Jahrzehnten an der Spitze der israelischen Politik standen. Vielleicht hat er eine Chance, in dieser Wahl zu siegen. Sollte das Korruptionsverfahren gegen Netanjahu vor der Wahl eröffnet werden, so hat Benny Gantz vielleicht eine kleine Chance, Ministerpräsident zu werden. Aber selbst wenn er Ministerpräsident werden sollte, hat er nicht die Macht. Die Macht gehört heute der populistischen extremen Rechten. Dafür steht nicht nur Netanjahu, sondern auch Miri Regev, die Kulturministerin, Gilad Erdan, der Minister für Öffentliche Sicherheit und Strategische Angelegenheiten. Sie sind sehr gefährliche extreme Populisten. Aber ehrlich gesagt sind die Generäle gefährlicher. Sie sagen vielleicht nicht viel, aber sie schießen viel.

KL: Vielen Dank für das Gespräch. 

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