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Olaf Scholz im Wirecard-Ausschuss: "BaFin war für hochkriminelle Tätigkeiten nicht ausgestattet"

In der 43. Sitzung vernahm der 3. Wirecard-Untersuchungsausschuss Finanzminister Olaf Scholz. Als Dienstherr der BaFin musste der Kanzlerkandidat der SPD erklären, warum er bei der Wirecard-Pleite nicht eingriff. Es handelt sich um einen Schaden von 20 Milliarden Euro.
Olaf Scholz im Wirecard-Ausschuss: "BaFin war für hochkriminelle Tätigkeiten nicht ausgestattet"Quelle: www.globallookpress.com © Christian Marquardt/Keystone Press Agency

Der Untersuchungsausschuss verhört seit etwa einem halben Jahr mehr als 300 Stunden lang Zeugen, um aufzudecken, ob der Betrugsskandal auf politischer Ebene hätte verhindert werden können. Die festgestellten Versäumnisse laufen an einer zentralen Stelle zusammen: Das ist die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) – und damit stellt sich auch die Frage der politischen Verantwortung von Olaf Scholz.

Die BaFin wollte Wirecard vor vermeintlichen Attacken von Leerverkäufern schützen, verbot Spekulationen auf fallende Kurse – und sendete damit das Signal an den Markt, bei Wirecard sei alles in Ordnung.

Einen Tag nachdem Staatssekretär Jörg Kukies die Frage auf eine nicht erfolgte Kontrolle der Münchner Firma Wirecard der örtlichen Staatsanwaltschaft in die Schuhe schob, versucht nun Finanzminister Olaf Scholz (SPD), den Vorwurf der Untätigkeit abzubürsten und sagte:

"Ich sehe mich nicht als verantwortlich für den Wirecard-Skandal, nur weil ich Dienstherr der BaFin bin. Viele der illegalen Aktivitäten sind ja schon vor meinem Amtsantritt 2018 passiert. Außerdem hat die BaFin ihre legalen Möglichkeiten ausgeschöpft."

Die Behörde sei nicht für einen Fall dieser kriminellen Tragweite ausgestattet. Für Scholz sei es ein "absurdes Märchen", dass die BaFin oder das Finanzministerium Wirecard geschützt haben soll.

Scholz lenkte den Verdacht auf die Wirtschaftsprüfer von EY. Scholz sagte:

"In der Firma Wirecard gab es deutliche Anzeichen für hochkriminelle Aktivitäten. EY hätte als eine der größten Buchprüferfirmen der Welt über eine Dekade verpasst, Unregelmäßigkeiten in der Buchführung bei Wirecard aufzudecken."     

Wie auch schon sein Staatssekretär erwähnte, habe es für Scholz praktisch keine belastbaren Belege für die vermutete Verschwörung von Leerverkäufern gegen Wirecard gegeben. 

Einen kleinen Skandal am Rande gab es um den Kanzlerkandidaten dennoch: Auf die Frage von Matthias Hauer (CDU), ob er von seinem privaten Account drei E-Mails in Sachen Wirecard an Kanzleramtsminister Helge Braun im Kanzleramt weitergeleitet habe, antwortete er mit: "Ja." 

Wirecard mit Sitz in München war ein Finanz-Start-up, das innerhalb kürzester Zeit zum internationalen Börsenliebling wuchs – dabei aber verschwieg, dass wohl ein erheblicher Teil der Bilanzsumme frei erfunden war. Als die Scharade platzt, löst sich ein Börsenwert von mehr als 20 Milliarden Euro in Luft auf. Tausende Kleinanleger verloren Geld.

Namhafte Lobbyisten unterstützten Wirecard vor der Pleite: Ex-Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg setzte sich bei Kanzlerin Angela Merkel für Wirecard ein, ein früherer Geheimdienstkoordinator im Kanzleramt, ein Ex-Polizeipräsident in Bayern.

Am Freitag soll Merkel Auskunft geben, ob sie selbst oder lediglich ihre Beamten halfen, Wirecard den Weg in der Volksrepublik zu ebnen und warum das Kanzleramt Warnungen vor üblen Tricksereien bei Wirecard ignorierte.

Ex-Wirecard-Chef Markus Braun sitzt in Untersuchungshaft und schweigt. Sein Vertreter, Jan Marsalek, 40, ist seit dem 19. Juni 2020 verschwunden wie auch rund 1,9 Milliarden Euro. Dabei liest sich dessen Flucht in den teils geschwärzten Polizeiprotokollen wie eine Räuberpistole. Nach Informationen der Generalbundesanwaltschaft habe er acht österreichische Pässe, einen des Inselstaates Grenada und einen usbekischen. Ein Fluchthelfer sei ein mittlerweile festgenommener österreichischer Geheimdienstler, der Marsalek offenbar einen Privatjet von Österreich in die Ukraine organisiert haben soll. 

Der frühere Berliner Justizsenator Wolfgang Wieland forschte vier Monate. Er sieht auch die Sicherheitsbehörden und die Justiz beteiligt und sagt: 

"Vieles musste erst angefordert werden und wurde dann nur zum Teil geliefert. Und kam es, wurde jede Menge geschwärzt."

Kay Gottschalk (AfD), der Vorsitzende des Ausschusses, sagte: 

"Ich habe manches Mal in den Sitzungen gedacht: Das kann alles nicht wahr sein. Es ist ein Armutszeugnis für Ermittlungs- und Aufsichtsbehörden, aber auch private Wirtschaftsprüfer, Analysten und Aktienhändler. Man muss leider von Staatsversagen sprechen. Ich hatte oft das Gefühl: So muss es in einer Bananenrepublik zugehen." 

Der Finanzpolitiker der Grünen, Danyal Bayaz, meint:

"Der Minister tut bis zum heutigen Tag so, als sei der Skandal auf eine Verkettung unglücklicher Zufälle zurückzuführen."

Der FDP-Abgeordnete Florian Toncar konstatiert:

"Hier geht es um kollektive Verantwortungslosigkeit. Ich will von Scholz wissen, welche Entscheidungen er als Finanzminister im Zusammenhang mit Wirecard traf und wo er sich warum nicht einmischte. Erst dann kann man seine Rolle politisch bewerten."

Fabio De Masi von der Linken sagt:

"Das ist kollektives Organversagen. Staatliche Institutionen haben sich nicht gewehrt, dieser kriminellen Bande auf den Leim zu gehen."

Auch Wirtschaftsprüfer von EY setzten jahrelang ihren Stempel unter Abschlüsse des Konzerns, obwohl sie keine Bankbelege für angebliche Milliardensummen auf Treuhandkonten hatten. 

Für die Wirtschaftsprüferaufsicht hatte das Folgen: Ihr Chef wurde entlassen, nachdem er im Untersuchungsausschuss zugab, privat mit Aktien des Skandalunternehmens gehandelt zu haben, während die Aufsicht die Wirecard-Prüfer unter die Lupe nahm.

Auch ein Mitarbeiter der BaFin, der noch mit Wirecard-Aktien gehandelt haben sollte, wurde entlassen. 

Experten raten Geschädigten, sich nicht ans Finanzministerium, sondern direkt an EY zu wenden. 

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