Deutschland

Sachverständigenrat: Lauterbach behindert geplante Evaluierung der Corona-Maßnahmen

Bis zum Sommer soll ein Sachverständigenrat evaluieren, welche Kosten und welchen Nutzen die Corona-Politik der Bundesregierung und der Länder hatten. Doch "Die Welt" berichtet, dass ausgerechnet Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach interveniert.
Sachverständigenrat: Lauterbach behindert geplante Evaluierung der Corona-MaßnahmenQuelle: www.globallookpress.com © Axel Heimken/dpa

Seit mehr als zwei Jahren sind die Kosten und der Nutzen der Corona-Politik von Bund und Ländern zentrale Streitpunkte in Deutschland. Bereits im März 2021 wies der Bundestag das damals noch von Jens Spahn (CDU) geführte Bundesministerium für Gesundheit an, einen Sachverständigenrat einzusetzen, um die Zweckmäßigkeit aller Corona-Maßnahmen zu evaluieren. Der Auftrag der Gruppe war auch im Infektionsschutzgesetz klar beschrieben, die die Maßnahmen neuerdings bis zum 30. Juni 2022 bewerten sollte.

Am vergangenen Freitag traf sich wiederum dieser Expertenrat. Die genauen Gesprächsinhalte blieben bisher vertraulich. Doch laut einem Schreiben, das der Tageszeitung Die Welt vorliegt, erklärte während der Sitzung der Ratsvorsitzende Stefan Huster, der Verfassungsrechtler an der Ruhr-Universität Bochum ist, seinen Kollegen, der Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) habe ihm mitgeteilt, dass es für die Maßnahmenevaluation "eine Verlängerung oder sogar eine neue Ausschreibung geben werde". Zunächst müsse das bestehende Team also nicht mehr bis Ende Juni eine Maßnahmenevaluation vornehmen und vorlegen.

Dabei war die ursprünglich Deadline (31. Dezember 2021) schon einmal um ein halbes Jahr verschoben worden. Doch nun soll die Gesamtheit der Maßnahmen der letzten zwei Jahre womöglich gar nicht mehr bewertet werden. Auf eine diesbezügliche Anfrage der Welt teilte ein Sprecher von Minister Lauterbach mit, dass man zu den Details der vertraulichen Gespräche keine Auskunft gebe. Es sei jedoch "sachlich falsch", dass die Evaluierung nun doch nicht bis zum Sommer 2022 fertig werden solle: Allerdings würden einige Mitglieder des Gremiums "die Datengrundlage für noch nicht ausreichend halten, um die Wirkung der Corona-Maßnahmen zu bewerten und damit auch diesen Teil des Berichts abzuschließen". Der Umgang mit diesem Problem werde derzeit mit dem Deutschen Bundestag abgestimmt. Am gesetzlich vereinbarten Veröffentlichungstermin Ende September wolle man jedoch festhalten, so der Sprecher. Dies widerspricht allerdings der Darstellung Husters als Vorsitzender des Gremiums.

Scharfe Kritik an Lauterbachs neuestem Alleingang wurde seitens der Opposition laut. So sagte der gesundheitspolitische Sprecher der Unionsfraktion Tino Sorge:

"Falls ausgerechnet der Gesundheitsminister die Evaluation der Corona-Maßnahmen ausbremst, wäre das ein neuer Tiefpunkt."

Für eine Änderung des Arbeitsauftrags dieses Gremiums gebe es keine stichhaltigen Gründe.

Aber nicht nur in der Opposition, sondern auch in der "Ampel"-Koalition wird Lauterbachs Vorgehen kritisiert. So erklärte FDP-Vize Wolfgang Kubicki, es sei "intellektuell nicht mehr nachvollziehbar, dass Minister Lauterbach ständig vor einem gefährlichen Herbst warnt, dabei aber Erkenntnisse über die Wirkungsweise der von ihm favorisierten Maßnahmen, die erhebliche Grundrechtseinschränkungen mit sich brachten, offensiv zu verhindern trachtet". Er wies zudem darauf hin, dass es für eine Änderung des Auftrags des Expertenrats einer parlamentarischen Mehrheit bedürfe.

Ein Mitglied des Expertengremiums, welches nicht namentlich genannt werden möchte, sagte laut Welt, er sei von den Vorkommnissen am Freitag "entsetzt":

"Es zeugt von einer großen Respektlosigkeit, uns nach vielen Stunden Arbeit nun den Auftrag zur Evaluierung der Corona-Maßnahmen entziehen zu wollen."

Bereits im März plädierte der Charité-Virologe Christian Drosten in einer internen Online-Konferenz dafür, die Gesamtheit der Maßnahmen nicht einzeln zu evaluieren. Die Welt berichtet, er habe in seinem Vortrag erklärt, dass es zu wenig Daten gebe und daher sei es zu früh für eine solche Analyse – sonst könne man "in Teufels Küche" kommen.

Angesichts der aktuellen Situation wandten sich einige Mitglieder des Evaluationsgremiums mit der Bitte um Vermittlung an das Gesundheitsministerium. Ein Vermittlungsgespräch des Rats mit dem Bundesminister Lauterbach und der Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) führte zu keinem Ergebnis. Ein Sprecher des Bundesministeriums erklärte Anfang April jedoch, das Gremium wolle und solle die Maßnahmen wie geplant evaluieren, es gebe "einen klaren Auftrag des Gesetzgebers".

Zwar intervenierte Lauterbach nun erneut die Evaluierung der Corona-Maßnahmen durch den Expertenrat. Die Welt weiß jedoch zu berichten, der Rat wolle auf jeden Fall bis zum 30. Juni 2022 einen Bericht vorlegen – unabhängig von weiteren Interventionsversuchen des Gesundheitsministers.

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