Deutschland

Disput zu Offenem Brief: Schwarzer für Lösung der "Kompromisse" – Hofreiter als "Vorzeigekrieger"

28 Intellektuelle und Künstler haben sich in einem Offenen Brief an Kanzler Scholz gegen weitere Waffenlieferungen an die Ukraine ausgesprochen. Der grüne Panzer-Befürworter Anton Hofreiter diskutierte darüber mit Brief-Initiatorin Alice Schwarzer. Annalena Baerbock sprach derweil von der "bewussten" Ermordung von Kindern durch Russland.
Disput zu Offenem Brief: Schwarzer für Lösung der "Kompromisse" – Hofreiter als "Vorzeigekrieger"Quelle: www.globallookpress.com © Chris Emil Janssen via www.imago

Am 27. April veröffentlichten 28 deutsche Intellektuelle und Künstler ihren offener Brief an Bundeskanzler Olaf Scholz. In diesem begrüßen sie dessen bisheriges Agieren im Ukraine-Konflikt, warnen jedoch vor weiteren Lieferungen von schweren Waffen an die Ukraine und äußern ihre unbedingte Sorge vor einem Dritten Weltkrieg. Laut einer aktuellen Umfrage bestätigen zwei Drittel der Deutschen ihre Angst vor einem Dritten Weltkrieg.

Die Springer-Zeitung Bild ließ nun aufgrund der emotional geführten gesellschaftlichen Reaktionen auf den offenen Brief die Initiatorin Alice Schwarzer und einen vehementen Kritiker, den Grünen-Abgeordneten Anton Hofreiter, über die aktuellen Ereignisse diskutieren. Der Bild-Redakteur bezeichnet Hofreiter zu Beginn des Gesprächs als "eine der wichtigsten Stimmen in den vergangenen Tagen, die Scholz in der Koalition zu den Panzerlieferungen getrieben hat". Das Gespräch erhielt den Titel: "Bringen Panzer Frieden?"

Von Beginn des Gespräches an agierte Hofreiter sehr erregt und unterbrach die Emma-Herausgeberin bei annähernd jedem Versuch einer Antwort oder eines Statements. Für Hofreiter stellt der Brief "die typische paternalistische deutsche Arroganz" dar, "die wir seit Jahrzehnten und ganz traditionell den Länder und Menschen gegenüber bringen, die zwischen Deutschland und Russland liegen", so die erste Einschätzung des Grünen-Politikers. Des Weiteren behauptete er in dem Gespräch, chronologisch betrachtet habe Russland 2008 Georgien "überfallen" und "2014 das erste Mal die Ukraine". Am 24. Februar sei dann der erneute "Überfall" gestartet worden. In der Zwischenzeit seien "14.000 Menschen in den Kämpfen gestorben". Hofreiter nannte diese Zahl ohne weitere Details oder Erläuterungen.

Schwarzer plädierte mehrfach im Gespräch für eine Lösung der "Kompromisse", mit denen beiden Seiten "leben könnten". Hofreiter unterstellte der bekannten Feministin, dass "ihr anscheinend nicht bewusst" sei, dass die Ukraine "die ganze Zeit mit Russland verhandelt und nach allem, was ich weiß, sehr weitreichende Kompromisse angeboten hat", bloß Wladimir Putin, also die russische Seite, "keinen einzigen Kompromiss" akzeptiert habe. Hofreiter fuhr dann wörtlich fort:

"Er wird nichts anderes verlangt als die vollständige Kapitulation und Zerstörung der Ukraine, er verlangt die Deukrainisierung der Ukraine, die Zerstörung der Kultur, der Sprache der Ukraine und die Selbstaufgabe des Staates."

Schwarzer betonte wiederum, man solle in der aktuellen Diskussion die zurückliegenden "Bemühungen" von Altkanzlerin Angela Merkel oder dem engen Vertrauten Helmut Kohls, Horst Teltschik, nicht vergessen, deren vorrangiges Ziel es immer gewesen wäre, den Frieden in Europa zu gewährleisten. Teltschik war im Bundeskanzleramt tätig und von 1999 bis 2008 Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz. Zu den aktuellen Ereignissen äußerte sich Teltschik in den vergangenen Tagen laut BR24 dahingehend:

"Man kann schon sagen: Die Verantwortung liegt auch zu einem guten Teil bei der NATO, bei den Amerikanern, bei den Europäern, dass sie die Instrumente, die sie ja mitgeschaffen haben, nicht genutzt haben."

Hofreiter widersprach Schwarzers Standpunkt und entgegnete:

"Wer hatte denn Frieden? In den Regionen hatten die Leute keinen Frieden."

Hofreiter wiederholte seine Argumentation, dass zwischen "2014 und 2022 14.000 unschuldige Menschen" in der Region zu Tode gekommen seien, daher könne man nicht von "diplomatischem Erfolg" sprechen, der zu Frieden "in dieser Zeit" geführt habe. Auch hier unterließ es Hofreiter, genauer auf die zurückliegende komplexe Situation im Krisengebiet Donbass und darauf einzugehen, warum seit 2014 die von ihm genannten "14.000" Menschen in den Kämpfen" zu Tode gekommen waren. Hofreiter erweiterte die Kritik an "Putins Politik" mit der Behauptung, dieser habe zudem versucht, "Menschen" in "Berlin-Tiergarten und London ermorden [zu] lassen". Die Pläne des russischen Präsidenten lauten nach Einschätzung des Grünen-Politikers "wieder ein Russisches Reich" errichten zu wollen. Hofreiter wörtlich:

"Putin hat uns immer angelogen über taktische Fragen."

Am 21. April schrieb Hofreiter auf seinem Facebook-Account:

"Putin lügt jeden Tag. Aber mit seinem Vorgehen hat er uns die Wahrheit aufgezeigt: Er will das russische Reich wieder errichten. Damit ist die Republik Moldau gefährdet, damit ist das Baltikum gefährdet. Um es noch einmal zu betonen: Wenn es der Ukraine nicht gelingt, Putin zu stoppen, droht ein Flächenbrand und am Ende sogar der Dritte Weltkrieg. Das müssen wir unter allen Umständen verhindern."

Laut Hofreiter gibt es "völkerrechtlich keinen Unterschied zwischen leichten und schweren Waffen". Für ihn ist es ...

"... langsam an der Zeit, dass wir unsere Überheblichkeit, unsere Arroganz ablegen und den Menschen die direkt betroffen sind zu glauben. Für mich gehört es zu linker Politik ganz selbstverständlich dazu, dass man mal den Betroffenen zuhört. Dass man den Opfern zuhört."

Der Bild-Redakteur weist dann Schwarzer auf den Twitter-Beitrag des Social-Media-Teams des Bundeskanzlers zu dem offenen Brief hin:

Schwarzer zeigte sich kurz irritiert, um im Anschluss Hofreiter direkt zu fragen, wie sein "Ziel" aktuell aussehe. Hofreiter antwortete:

"Das Ziel ist ein sehr einfaches und gleichzeitig sehr kompliziertes. Putin deutlich zu machen, dass, wenn er so weitermacht, er keinen Erfolg hat, um diplomatische Lösungen wieder zu ermöglichen."

Hofreiter behauptet dann an Schwarzer gerichtet wörtlich, sie müsse sich bei ihrer Argumentation Folgendes überlegen: "Wir haben 4.000 angezeigte Vergewaltigungen bereits." Damit übernimmt der Grünen-Politiker eine bewusst emotionale Argumentation, die auch seine Parteikollegin, Außenministerin Annalena Baerbock, am gestrigen Sonntag vor einem Millionenpublikum der ARD unkommentiert durch die anwesenden Gäste und Moderatorin Anne Will nutzte. Zudem ergänzt um die Unterstellung "bewusster" Ermordung von Kindern durch russische Soldaten:

"Kalt lässt mich in diesen Tagen nichts, aber am meisten lässt mich nicht kalt, wenn ich jeden Tag hören muss, (…) dass Frauen vergewaltigt werden, nachdem russische Soldaten ihre Orte eingenommen haben, dass Kinder bewusst erschossen werden, weil sie im Zweifel das Kind einer Bürgermeisterin sind, …"

Hofreiter fragte Schwarzer polemisch und provokativ, was die eigentliche Absicht ihrer Argumentationen sei. Hofreiter wörtlich:

"Ihr Vorschlag ist, wir liefern jetzt nichts mehr an die Ukraine, die Ukraine wird erobert, dann werden noch mehr Frauen vergewaltigt, noch mehr Zivilisten werden ermordet, noch mehr Leute landen im Gefängnis."

Schwarzer erwiderte Hofreiter, dass es nicht sein könnte, dass er sich permanent "als Stellvertreter aller Opfer" geriere. Sie wies dann Hofreiter erneut darauf hin, dass ihrer Meinung nach sehr wohl aktuell verhandelt wird, aber "in Wahrheit verhandelt wird zwischen Russland und Amerika". Hofreiter erwiderte daraufhin empört:

"Jetzt sind wir aber schon tief in den Verschwörungstheorien bereits drin, nämlich es wird verhandelt zwischen einer ukrainischen Delegation und einer russischen Delegation. Was sie jetzt von sich geben, ist eins zu eins russische Propaganda, dass in Wirklichkeit nicht die Ukraine mit Russland verhandelt, sondern dass die USA mit Russland verhandeln."

Schwarzer sei daher "zutiefst der russischen Propaganda auf den Leim gegangen". Hofreiters Rolle und sein aggressives Auftreten wird mittlerweile auch in den sozialen Medien wahrgenommen und diskutiert:

Schwarzer attackierte Hofreiter vehement, nachdem dieser erneut das Ansinnen des offenen Briefes hinterfragt hatte:

"Sie akzeptieren keine Realitäten, Sie sind ein Ideologe, und das können wir uns jetzt nicht mehr erlauben, diese Sprüche."

Dreimal wurden von der Bild-Redaktion während des Disputs zwischen Hofreiter und Schwarzer Sequenzen der Ereignisse von Butscha eingeblendet. Hofreiter erklärte zum Ende des Gesprächs hin, dass es ihm darum gehe, die Ukrainer auszustatten "mit den Waffen, die sie benötigen, um sich zu verteidigen, dass Russland zu Kompromissen bereit ist". Es stellt für Hofreiter "reine Propaganda" dar, dass Russlands Außenminister Sergei Lawrow behaupte, dass "die Ukraine vorhat, Russland zu überfallen". Lawrow wisse "ganz genau, was er erzählen muss, um hier den Druck zu maximieren".

Hofreiter unterstellte Putin fortlaufend, dass dieser nicht bereit sei, mit der Ukraine zu verhandeln. Zum finalen Ende des Gesprächs wertete Hofreiter den offenen Brief der 28 Erstunterzeichnenden erneut als einen Beleg dafür, dass "wir viel zu wenig mit den Menschen in Mittel- und Osteuropa sprechen und dass wir viel zu wenig auf die Stimmer der direkt Betroffenen und direkten Opfer hören". Dies bediene daher eindeutig das Vorurteil: "Wir sind die klassischen arroganten Deutschen, die die Länder zwischen Deutschland und Russland und deren Interessen einfach vergessen".

Schwarzer wies zum Ende des Gesprächs darauf hin, dass sie neben dem offenen Brief eine Petition ins Leben gerufen hatte, über die die Menschen in Deutschland das Ansinnen des Briefinhalts unterstützen könnten. Nach wenigen Tagen verliehen bereits mehr als 150.000 Unterzeichner ihre Sorge vor einem Dritten Weltkrieg Ausdruck. Bei 200.000 Unterschriften wird diese Petition zu einer der meist gezeichneten Petitionen auf der Seite Change.org!

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Am 24. Februar kündigte der russische Präsident Wladimir Putin an, gemeinsam mit den Streitkräften der Donbass-Republiken eine militärische Spezialoperation in der Ukraine zu starten, um die dortige Bevölkerung zu schützen. Die Ziele seien, die Ukraine zu entmilitarisieren und zu entnazifizieren. Die Ukraine spricht von einem Angriffskrieg. Noch am selben Tag rief der ukrainische Präsident Wladimir Selenskij im ganzen Land den Kriegszustand aus.
Der Westen verurteilte den Angriff, reagierte mit neuen Waffenlieferungen, versprach Hilfe beim Wiederaufbau und verhängte Sanktionen gegen Russland.
Auf beiden Seiten des Konfliktes sind zahlreiche Soldaten und Zivilisten getötet worden. Moskau und Kiew haben sich gegenseitig verschiedener Kriegsverbrechen beschuldigt. Tausende Ukrainer sind mittlerweile aus ihrer Heimat geflohen.