Nachhaltigkeit und Artenschutz ade – Özdemirs Plan: Deutsche Landwirte sollen mehr Getreide anbauen
Landwirte in Deutschland können angesichts angespannter internationaler Agrarmärkte infolge des Ukraine-Kriegs mehr Flächen zum Getreideanbau nutzen. Dazu sollen die EU-Neuregelungen zur Flächenstilllegung und zum Fruchtwechsel im kommenden Jahr einmalig ausgesetzt werden. Ziel ist es, die Versorgung mit Lebensmitteln zu sichern.
Das sieht ein Kompromissvorschlag von Agrarminister Cem Özdemir (Grüne) vor. Der Minister will Bauern ermöglichen, Agrarflächen für den Anbau bestimmter Pflanzen zur Nahrungsmittelproduktion länger zu nutzen. So sollen die eigentlich geplanten zusätzlichen Artenschutzflächen erst 2024 eingeführt werden. Bauern könnten dann im kommenden Jahr auf diesen Flächen weiter Nahrungsmittel anbauen.
Hintergrund sind ab 2023 greifende EU-Vorgaben, wonach ein Teil der Landwirtschaftsflächen dem Artenschutz dienen soll. Zudem soll der Anbau derselben Ackerpflanze zwei Jahre in Folge auf derselben Fläche zum Bodenschutz grundsätzlich nicht mehr möglich sein. Brüssel gewährt aber Spielräume, die Umsetzung wiederum ist Sache der EU-Staaten. Özdemir hat nun einen Vorschlag unterbreitet, der ein Aussetzen von Fruchtwechsel und Flächenstilllegung vorsieht. Er braucht den Angaben zufolge nun die Zustimmung der Länder.
Die erstmalige verpflichtende Flächenstilllegung soll 2023 einmalig ausgesetzt werden. Stattdessen soll laut Ministerium ein landwirtschaftlicher Anbau weiter möglich sein, "allerdings im Sinne der Ziele des Kommissionsvorschlags eingeschränkt auf die Produktion von Nahrungsmitteln, daher auf die Kulturen Getreide (ohne Mais), Sonnenblumen und Hülsenfrüchte (ohne Soja)". Das gelte nur für die Flächen, die nicht bereits 2021 und 2022 als brachliegendes Ackerland ausgewiesen seien:
"Die bestehenden Artenvielfaltsflächen werden dadurch weiterhin geschützt und können ihre Leistung für Natur- und Artenschutz sowie eine nachhaltige Landwirtschaft erbringen."
Zudem ist die EU Özdemirs Vorschlag gefolgt und lässt eine Ausnahme beim Fruchtfolgenwechsel zu. Die entsprechende Regelung werde 2023 einmalig ausgesetzt. Damit könnten Landwirte in Deutschland auf etwa 380.000 Hektar ausnahmsweise Weizen infolge von Weizen anbauen. Nach wissenschaftlichen Berechnungen könnten damit bis zu 3,4 Millionen Tonnen Weizen angebaut werden. So gelinge es am besten, "die Getreideerträge in Deutschland stabil zu halten und damit zur Stabilität der Weltmärkte beizutragen", hieß es.
Özdemir betonte mit Blick auf den Artenschutz, für ihne gelte, "dass jede Maßnahme zur Lösung einer Krise darauf hin überprüft werden muss, dass sie eine andere nicht verschärft". Die Landwirtschaft habe ein Angebot gemacht, durch Beibehalten der Produktion die Getreidemärkte zu beruhigen.
Der Präsident des Bauernverbands, Joachim Rukwied, nannte die Entscheidung überfällig, die in letzter Minute komme. Die Bauern hätten bereits mit der Anbauplanung für das kommende Jahr begonnen. Eine Aussetzung für ein Jahr sei aber nicht ausreichend. Um weiter eine sichere Lebensmittelversorgung gewährleisten und in Krisenzeiten reagieren zu können, müssten alle Flächen genutzt werden können, auf denen es landwirtschaftlich sinnvoll sei.
Özdemir habe endlich eingelenkt, sagte Baden-Württembergs Minister für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz, Peter Hauk (CDU), der auch Sprecher der unionsgeführten Agrarressorts der Länder ist. Bayerns Agrarministerin Michaela Kaniber (CSU) nannte es "überfällig, jetzt die Spielräume, die die EU-Kommission eröffnet hat, zu nutzen und so Verantwortung für die Ernährungssicherung zu übernehmen". Die stellvertretende Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion, Carina Konrad, forderte, die Regelungen schnell und rechtssicher umzusetzen, da die Aussaat bevorstehe. Aus Sicht von Unions-Fraktionsvize Steffen Bilger (CDU) hat Özdemir mit seinem "parteitaktisch motivierten Zaudern" wertvolle Zeit vertan. Die Regeländerungen sehe er nur als ersten Schritt, sagte er.
Greenpeace-Experte Matthias Lambrecht kritisierte, die ohnehin viel zu geringen Flächen zum Schutz der Artenvielfalt würden so wirtschaftlichen Interessen geopfert:
"Dabei ist die Ernährungssicherung in Kriegszeiten nur ein Vorwand, um wertvolle Biotope unterzupflügen."
Dort angebauter Weizen würde erst im nächsten Jahr und in nicht ausreichender Menge zur Verfügung stehen, um der akuten globalen Hungerkrise wirkungsvoll zu begegnen. Mit einem Ausstieg aus dem Biosprit könnte umgehend ein Vielfaches der Getreidemenge bereitgestellt werden, sagte Lambrecht. Auch die Umwelthilfe fordert, die Förderung für Agrosprit sofort zu beenden und Flächen für die Lebensmittelproduktion umzuwidmen. Der Grünen-Politiker Jan-Niclas Gesenhues forderte im Redaktionsnetzwerk Deutschland eine Reduzierung von Getreide in der Futterversorgung und ein Ende des Biosprit-Einsatzes.
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(rt/dpa)
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