"Schlicht nicht sparfähig" – Großteil der Deutschen kann kaum noch Geld zurücklegen
"Viele Bankkunden können aufatmen" hieß es am Donnerstag bei der Deutschen Presse-Agentur: "Vier Wochen nach der ersten Zinserhöhung im Euroraum seit Jahren haben die allermeisten Kreditinstitute Negativzinsen auf dem Tagesgeld- oder Girokonto abgeschafft."
Doch während die Negativzinsen für Privatkunden nunmehr durch die Zinswende der Europäischen Zentralbank (EZB) von den meisten Banken abgeschafft wurden, können sich immer weniger Bürger die ehemalige Tugend des Sparens leisten. Obwohl auch seitens der Politik gleichzeitig dazu aufgerufen wird, dass die Bürger Geld zurücklegen müssten, um Energie-Rechnungen zu zahlen, ganz zu schweigen von Vorsorge-Polstern für Alter oder Krankheit, lässt die Teuerungsrate dies kaum noch zu.
Laut Peter Schneider, Präsident des Sparkassenverbands Baden-Württemberg, können in dem vergleichsweise reichen Bundesland rund 40 Prozent der Privatkunden kein Geld zur Seite legen. Dabei kämen die steigenden Energiepreise ja erst noch auf sie zu, wie er am Donnerstag erklärte.
"Wir rechnen damit, dass wegen der deutlichen Preissteigerung perspektivisch bis zu 60 Prozent der deutschen Haushalte ihre gesamten verfügbaren Einkünfte - oder mehr - monatlich für die reine Lebenshaltung werden einsetzen müssen", sagte der Präsident des Deutschen Sparkassen- und Giroverbands (DSGV), Helmut Schleweis, der Welt am Sonntag. Noch vor einem Jahr waren laut Sparkassen-Vermögensbarometer nur 15 Prozent nicht in der Lage, Geld zurückzulegen – bald wird es statt eines Bruchteils der Großteil der Bundesbürger sein.
Auch der Vorstand des Bundesverbands der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR), Andreas Martin, sagte der Zeitung:
"Die hohe Inflation entzieht den Verbrauchern Kaufkraft, dadurch sinkt die Sparfähigkeit."
Demnach werde teils noch von den Pölsterchen, die sich während der Corona-Zeit wegen fehlender Konsummöglichkeiten angesammelt hätten, gezehrt. "Der Spitzenwert der Sparquote lag bei rund 16 Prozent im Jahr 2020, für 2022 erwarten wir eine Rückkehr auf das Vorkrisenniveau von elf Prozent." Jene, die es können, versuchen sich angesichts der zunehmenden Unsicherheit auch durch die Ukraine-Krise mit mehr Erspartem abzusichern.
Bis Ende Juni verzeichneten die Genossenschaftsbanken eine Steigerung der Kundeneinlagen um 3,3 Prozent auf 838 Milliarden Euro gegenüber Juni 2021. Doch: "Selbst die zinsstärksten Angebote gleichen die Inflation bei Weitem nicht aus", zitierte die dpa Oliver Maier, Geschäftsführer der Verivox Finanzvergleich GmbH.
Und bei der Inflation ist keine anhaltende Entspannung in Sicht – im Gegenteil: Vieles dürfte demnächst noch teurer werden. Nach Einschätzung von Bundesbankpräsident Joachim Nagel könnte die Teuerung in den Herbstmonaten zweistellig werden. "Der Tankrabatt und das Neun-Euro-Ticket laufen aus, das dürfte die Inflationsrate um gut einen Prozentpunkt erhöhen", sagte Nagel der Rheinischen Post. Hinzu komme die Gasumlage, auch wenn es über die geplante Mehrwertsteuersenkung auf Gas Entlastung gibt. In Summe sei eine Inflationsrate von zehn Prozent möglich.
Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, befürchtet eine Abwärtsspirale: "Eine hohe Inflation drückt die Kauflaune der Kunden, das sorgt für weniger Geld bei den Unternehmen, um zu investieren. Das könnte eine Abwärtsspirale mit einer für ein oder zwei Jahre anhaltenden schwachen Wirtschaftsleistung in Gang setzen", sagte Fratzscher dem Spiegel. Der "Preisschock" sorge für einen permanenten Wohlstandsverlust in großen Teilen der Bevölkerung.
Bundesbankpräsident Nagel macht die historische Dimension deutlich: "Zweistellige Inflationsraten wurden in Deutschland das letzte Mal vor über siebzig Jahren gemessen." Im vierten Quartal 1951 habe die Inflationsrate nach den damaligen Berechnungen bei elf Prozent gelegen. Auch für das kommende Jahr gebe es keine Entwarnung. "Das Thema Inflation wird 2023 nicht verschwinden." Nachdem im Gesamtjahr 2022 die Inflationsrate nach europäischer Berechnung bei acht Prozent liegen dürfte, erwartet Nagel für das kommende Jahr eine Rate von sechs Prozent. Haupttreiber bleiben die Energiekosten.
Dass es für viele Privatkunden bereits jetzt – schon vor dem wohl ab Oktober kommenden weiteren Kostenanstieg – knapp wird, zeige sich laut dem Deutschen Sparkassen- und Giroverband (DSGV) auch daran, dass jene, die den Dispositionskredit nutzen, um schon bestehende Engpässe zu überbrücken, den Rahmen im Durchschnitt inzwischen "deutlich weiter ausschöpften".
Den relativ gleichbleibenden Anteil der Dispo-Nutzer, der weiter wie bisher bei 15 Prozent liege, führen die Sparkassen darauf zurück, dass Menschen vorsichtiger geworden sind und ihr Geld mit Blick auf die kommenden Monate zusammenhalten.
Weil die Aufnahme von Krediten durch die Dispozinsen in eine Schuldenspirale führen kann, fordern einige Politiker eine Kappung der erlaubten Dispozinsen, die bereits bei rund zehn Prozent liegen. Manche Geldhäuser verlangen auch Zinsen von zwölf Prozent und mehr.
"Grundsätzlich halten wir Grüne es für notwendig, Dispozinsen gesetzlich zu deckeln", zitiert die Welt am Sonntag den Grünen-Finanzpolitiker Stefan Schmidt. Das Bundesfinanzministerium könnte eine Zinshöhe ermitteln, die über einem Referenzzinssatz liegt, erläutert Schmidt:
"Ich kann mir vorstellen, dass ein Zinssatz von sechs bis sieben Prozent über dem Referenzzinssatz diese Kriterien erfüllt und sachgerecht wäre." Auch auf EU-Ebene gibt es Bestrebungen, die Dispo-Falle auf dem Weg einzugrenzen. Derweil sind wegen der Negativzinsen auf Privatguthaben sechs Klagen des Verbraucherzentrale Bundesverbandes (vzbv) gegen verschiedene Kreditinstitute anhängig. Erste Urteile gibt es, sie sind aber noch nicht rechtskräftig. Der Verband hält die erhobenen Negativzinsen für nicht zulässig und die dafür angegebenen Gründe der Geldhäuser für teils vorgeschoben.
Vor dem Hintergrund der geplanten Entlastung durch eine Mehrwertsteuersenkung auf Gas sagte die Präsidentin des Sozialverbands VdK, Verena Bentele, Finanzminister Christian Lindner (FDP) müsse endlich ernsthaft über eine Übergewinnsteuer und eine Vermögensabgabe nachdenken, um Geld für die Entlastung der Schwächsten zu haben. "Außerdem muss sichergestellt sein, dass dieses Mal die Steuersenkung bei den Menschen wirklich ankommt. Es darf nicht wieder so laufen wie beim Tankrabatt." Lindner lehnt eine Übergewinnsteuer krisenbedingt hoher Gewinne von Unternehmen ab.
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