Deutschland

Der Kanzler als Handelsreisender – Deutschlands einsame Außenpolitik im Namen der Energie

Die deutsche Außenpolitik ist derzeit vor allem emsige Außenhandelspolitik. Es geht um den Einkauf von Erdgas und Erdöl. Die Dramatik dessen ist dabei selbst erzeugt – durch die eigene Versorgungssicherheit in Frage stellende Sanktionen gegen Russland.
Der Kanzler als Handelsreisender – Deutschlands einsame Außenpolitik im Namen der EnergieQuelle: www.globallookpress.com © CHROMORANGE

Eine Analyse von Dr. Karin Kneissl

Außenpolitik ist die Umsetzung nationaler Interessen. Diese kreisen in Deutschland nunmehr um die Energieversorgungssicherheit der Bevölkerung und der Industrie. Nach Jahrzehnten der Klimaschutz-Außenpolitik, die sich oft in Großkonferenzen erschöpfte, wird nun wieder so etwas wie Energiepolitik betrieben. Infolge der gemeinsamen EU-Sanktionen und der klaren politischen Entscheidung der deutschen Bundesregierung, für immer auf russische Energie Importe verzichten zu wollen, müssen neue Lieferanten für Erdöl, Erdgas aber auch Kohle und wichtige Metalle gesucht werden.

Erdgas ist nicht irgendein Rohstoff

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck reiste in dieser Mission bereits nach Katar, Norwegen und in die Vereinigten Arabischen Emirate. Viele EU-Staaten stiegen infolge entsprechender Brüsseler Direktiven in den letzten 20 Jahren zunehmend aus langfristigen Lieferverträgen aus und kauften kurzfristig am Spot-Markt ihr Erdgas ein. Doch dieser für Deutschland so entscheidende Energieträger ist nicht in den Mengen am Weltmarkt verfügbar, die erforderlich sind, um die bisherigen Liefermengen aus Russland zu ersetzen.

Im Gegensatz zu seinen europäischen Partnern ist Deutschland im Jahre 2011 im Zuge der einseitig verkündeten Energiewende aus sehr vielen Energieträgern, von der Atomkraft bis zu wichtigen fossilen Kraftwerken, ausgestiegen. Warnungen, dass dies für die deutsche Industrie, die zuverlässige und auch leistbare Energie benötigt, um gegenüber der Konkurrenz zu bestehen, wurden im wörtlichen Sinne in den Wind geschlagen.

Die Energiekrise begann für viele europäische Kunden bereits im April 2021, als infolge einer grundsätzlichen Verknappung von Erdöl und Erdgas die Preise stiegen. Dies wiederum war auf fehlende Investitionen in den fossilen Sektor zurückzuführen. Die gesamte Industrie war mit einem ständigen Bashing im Namen des Klimaschutzes konfrontiert.

Nun findet ein regelrechter Erdöl- und Erdgasrausch wieder statt, Kohletransporte haben Vorrang auf dem deutschen Schienennetz und Berlin versucht Verträge zu ergattern, wo es nur geht. Die hochkarätige dreitätige Besuchsdiplomatie von Kanzler Olaf Scholz und Habeck sowie einer Wirtschaftsdelegation soll unter anderem die Lieferung von verflüssigtem Erdgas (LNG) sicherstellen. Kanada verfügt derzeit über keine LNG-Terminals für den Export und der Bau neuer Anlagen würde Jahre dauern. Die deutschen Kunden wollen aber bereits in den nächsten Monaten LNG beziehen.

Nun ist es kein Geheimnis, dass auf EU-Ebene der Ausstieg aus fossilen Brennstoffen bis 2035 geplant ist. Wer wird sich auf die erforderlichen Investitionen in der Infrastruktur einlassen, wenn diese nur für einige Jahre eingesetzt werden darf.

Auch die Erneuerbaren benötigen Rohstoffe

Alle Formen der erneuerbaren Energie benötigen Rohstoffe, übrigens viel Erdöl für die Kunststoffproduktion, für die Photovoltaik- und die Batterie-Erzeugung müssen Metalle importiert werden, die auch in Russland abgebaut werden. Deutschland will die in Kanada verfügbaren Mineralien, wie  Nickel, Kobalt, Lithium und Graphit, beziehen, die für die Elektromobilität wichtig sind.

Vom Perpetuum mobile, also der völlig autonomen Energieerzeugung, wird seit Jahrhunderten geträumt. Doch jede Form der Energieerzeugung ist letztlich Umwandlung von Energie. Diese ist bei der Wasserstoff-Erzeugung nun forschungsmäßig teils im Umbruch, denn bislang waren die Kosten zu hoch.

Es wird erwartet, dass ein längerfristiges Abkommen zwischen Deutschland und Kanada über eine engere Zusammenarbeit bei erneuerbaren Energien wie grünem Wasserstoff unterzeichnet wird. So plant Kanada den Bau einer Wasserstoffanlage in Neufundland, die Windenergie zur Herstellung des Kraftstoffs nutzen soll. Dazu gab es in den letzten 20 Jahren auch an der deutschen Nordseeküste immer wieder Projekte.

Welche Rolle spielen die Firmen?

Grundsätzlich wissen Firmen genau, was sie wollen und wenden sich an die Politik, um entweder der Unterzeichnungszeremonie mehr Glanz zu geben oder um das eine oder andere Problem auf politischer Ebene lösen zu lassen. Es sind daher die Wirtschaftsvertreter im Zusammenspiel mit den Handelsdelegierten, welche die Verträge zwecks Einkaufs von Rohstoffen oder der Kooperation bei großen Investitionsprojekten ausarbeiten.

Gerade in der so zersplitterten Energiewirtschaft wie jener des föderal organisierten Deutschlands sind es die Energieversorger, die das Sagen haben. Deutschland verfügt nicht über (teil)staatliche Energiekonzerne vom Schlage einer französischen EDF oder Totalenergie oder einer italienischen ENI, um nur einige zu nennen. Auch BP steht jeder britischen Regierung sehr nahe, wenngleich der Firmenname schon lange "Beyond Petroleum" und nicht mehr "Britisch Petroleum" ist. Die Politik dirigiert das Energiegeschäft sehr viel stärker, als dies in Deutschland der Fall ist.

Es gibt einen trefflichen Spruch aus der US-Ölindustrie des frühen 20. Jahrhunderts, der da lautet: "The oil business is too important to leave it to the oil people" (Das Ölgeschäft ist zu wichtig, um es nur den Geschäftsleuten zu überlassen). Der Anspruch der Politik auf Einmischung ist damit gut illustriert. Wenn also ein italienischer Regierungschef oder ein französischer Präsident in den Diensten der Energieversorgung reist, so kann er auch um einiges mehr bewirken, als dies einem deutschen Politiker möglich ist. Zweifellos ist jeder Pipelinebau stets auch geopolitisch mitbestimmt, aber in Deutschland fällt das jeweilige Konsortium mehr ins Gewicht.

Die Türkei und Indien als aktuelle Champions des Energie-Außenhandels

Während also die EU aus Sanktionsgründen auf russische Energieträger verzichtet, übernehmen unter anderem die Türkei und Indien die frei gewordenen Volumina. Die Türkei profitierte bereits 2014 vom Projekt South Stream, das zu TurkStream wurde. Die EU stieg aus, die Türkei stieg ein, die EU kauft heute über die Türkei das russische Erdgas. Pipelines und Airlines drehen auf Ost und nicht West – das ist eine Tatsache seit bald 20 Jahren.

In der europäischen Diplomatie hat man sich für die fundamentalen Veränderungen nur selten interessiert, denn alles wurde nur mehr im Namen einer fossilfeindlichen Klimapolitik unternommen. Außenpolitik und Außenhandel sind trotz aller europäischen Integration gerade in diesen beiden Bereichen immer noch die "domaine reservé", also die Kompetenz des Souveräns. Diese Tatsache zeigt sich in der brisanten Energiekrise, die sich seit Jahren infolge fehlender Investitionen und verabsäumter Infrastrukturplanung zuspitzt.

Politiker als Handelsreisende sind wie gesagt nichts Neues, aber sie kommen zum glänzenden Finale. Einen deutschen Bundeskanzler nun als Einkäufer nach Kanada zu schicken, birgt in sich das Risiko, dass auch er scheitert, wie bereits zuvor der Wirtschafts- alias Energieminister.

Auf EU-Ebene wird es nicht zum gemeinsamen Einkauf von Erdgas kommen, es wird jeder für sich an seinen bilateralen Versorgungsverträgen arbeiten und außenpolitisch wird man sich maximal in Kosmetik üben, um diese Probleme mit viel gutem Willen zu übertünchen.

Wie immer diese schwere Krise ausgeht, die für die europäischen Bürger eben erst mit dem Verfall ihrer Kaufkraft beginnt, aber in Deindustrialisierung und Verarmung enden kann, es wird ein Danach geben. Dann sollte man sich auch wieder Gedanken machen, was Außenpolitik und Außenhandel bedeuten und wie diese klug zu praktizieren sind. Dafür bedarf es keiner "Klima-Diplomatie" oder "feministischen Außenpolitik". Es wird dann nur um das Handwerk der Diplomatie gehen: also Interessen definieren, Gesprächskanäle immer offenhalten und das Gegenüber respektieren. Es ist sehr viel schief gegangen in der Diplomatie und der deutschen Außenpolitik.

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