Deutschland

Razzia in "Reichsbürger-Szene" dürfte erst der Anfang gewesen sein

25 Männer und Frauen sind am Mittwoch festgenommen worden, weil sie nach Darstellung der Generalstaatsanwaltschaft einen "Umsturz des Staates" vorbereitet oder unterstützt haben sollen. Einen Tag später drohen die Behörden mit weiteren Razzien und Festnahmen.
Razzia in "Reichsbürger-Szene" dürfte erst der Anfang gewesen seinQuelle: www.globallookpress.com © Uli Deck / dpa

Die Großrazzia gegen eine angebliche "Terrorgruppierung" in der sogenannten "Reichsbürger-Szene" am Mittwoch dürfte nur die erste in einer ganzen Reihe geplanter Aktionen dieser Art gewesen sein. Die Sicherheitsbehörden kündigten am Donnerstag an, dass sie mit "weiteren Beschuldigten" und weiteren Durchsuchungen in den kommenden Tagen rechnen. Ziel der Ermittlungen sei unter anderem das Auffinden weiterer Waffen. Bislang konnten nur wenige, offensichtlich legale, Schusswaffen bei den Beschuldigten sichergestellt werden, was den erhobenen Vorwurf, die Gruppe habe den Bundestag "stürmen" wollen, ins Lächerliche zieht. Ziel der Behörden wird es daher in den kommenden Tagen sein, Waffenarsenale zu finden, um die eigene Erzählung plausibler erscheinen zu lassen. 

19 der 25 Festgenommenen sind seit Mittwoch in Untersuchungshaft, am Donnerstag gingen die Vorführungen bei den Ermittlungsrichtern am Bundesgerichtshof in Karlsruhe weiter.

Die Bundesanwaltschaft hatte am Mittwoch bei einem der größten Polizeieinsätze in der Geschichte der Bundesrepublik in elf Bundesländern sowie in Italien und Österreich 25 Menschen festnehmen lassen. 22 von ihnen wirft sie vor, Mitglied einer "terroristischen Vereinigung" zu sein, "die das politische System stürzen wollte". Bei den drei anderen geht es um Unterstützung. Bis auf eine Russin haben den Angaben zufolge alle die deutsche Staatsbürgerschaft. Die russische Staatsangehörige wird beschuldigt, einem anderen Verdächtigen Kontakt zu russischen Konsularmitarbeitern vermittelt zu haben. Die Bundesanwaltschaft sprach zudem von 27 weiteren Beschuldigten.

Der Präsident des Bundeskriminalamts (BKA), Holger Münch, nannte am Mittwochabend im ZDF heute journal die Zahl von mittlerweile 54 Beschuldigten und sprach von mehr als 150 Durchsuchungen. Er ging von weiteren Beschuldigten und Durchsuchungen in den nächsten Tagen aus. Bei rund 50 Objekten seien auch Waffen festgestellt worden.

BKA-Chef Münch fordert Überprüfung von Polizeibeamten

Den Obleuten des Innenausschusses des Bundestages war mitgeteilt worden, bei der Razzia seien zwei Langwaffen, eine Kurzwaffe sowie Schwerter und Armbrüste, Schreckschuss- und Signalschusswaffen gefunden worden. Diese seien nur teilweise bei mutmaßlichen Mitgliedern der Gruppe gefunden worden, die eine waffenrechtliche Erlaubnis haben. Dem Vernehmen nach waren darunter auch Dienstwaffen.

Im ARD-Morgenmagazin sprach sich BKA-Chef Münch für eine genauere Überprüfung von Sicherheitskräften aus: Man müsse sich darauf verlassen können, "dass alle uneingeschränkt hinter der freiheitlich demokratischen Grundordnung stehen". Ähnlich äußerte sich der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, in den ARD-Tagesthemen. Alle Personen, die in die Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern aufgenommen werden, sollten überprüft werden.

Im BKA gebe es derartige Sicherheitsüberprüfungen schon lange, sagte Münch. Er denkt, dass "dort, wo es noch nicht gemacht wird, wir das auch in absehbarer Zeit einführen werden". Die Arbeit lohne sich, da die Behörden so auch klarmachten, für welche Werte sie stünden.

Sicherheitsbehörden rechtfertigen Zeitpunkt des Zugriffs

Laut Haldenwang hatten die Sicherheitsbehörden die angebliche Gruppierung seit dem Frühjahr im Visier und einen recht klaren Überblick über deren Pläne. Diese seien dann immer konkreter geworden, und es seien Waffen beschafft worden, sagte er in einem ZDF-Spezial. BKA-Chef Münch sagte, man habe mit dem Zugriff nicht bis zum letzten Moment warten, sondern "genug Beweise" sammeln wollen, dass es sich um eine "terroristische Vereinigung" handele. Damit erhärtet sich der von RT-Autorin Dagmar Henn geäußerte Verdacht, dass die Behörden die Gruppe möglicherweise unter Einsatz von V-Leuten "geführt" haben. Es wird daher mit besonderer Vorsicht zu betrachten sein, wieviele der angeblichen Äußerungen auf die Beschuldigten selbst und wieviele auf Provokationen der behördlichen V-Leute zurückzuführen sind. 

Über den Zeitpunkt des angeblich geplanten Umsturzes haben die Ermittler keine Klarheit. Die Gruppe soll aber laut Narrativ der Ermittlungsbehörden einen militärischen Arm haben, der Waffen beschaffe. Münch spekulierte zu diesem Punkt bei seinen Auftritten:

"Da warten sie nicht bis zum letzten Augenblick. Wenn das klar sei, heiße es: Zuschlagen."

Generalbundesanwalt Peter Frank sagte in einem ARD-Brennpunkt:

"Wir gehen davon aus, dass die Personen in der Vereinigung fest entschlossen und auch sicher waren, etwas zu tun."

Was dieses "etwas" sei, konkretisierte er nicht. 

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) warnte davor, die Gruppierung zu unterschätzen. Was sie "so gefährlich" mache, sei, so die Ministerin in der ARD-Sendung Maischberger, "dass es einen militärischen Arm davon gab. Mit Menschen, die früher in der Bundeswehr waren, also auch mit Waffen umgehen können".

Gefahr durch "Reichsbürger" wird ernst genommen

An der Gefährlichkeit der Gruppierung hegt "Terrorismusexperte" Peter Neumann keine Zweifel. Von sogenannten Reichsbürgern gehe die größte Gefahr terroristischer Gewalt aus, sagte Neumann dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) am Dienstag. Neumann spekulierte: 

"Sie sind fähig und willig, schwere Terroranschläge gegen den Staat zu verüben."

"Reichsbürger" sind Menschen, die die Bundesrepublik nicht als legitim anerkennen. Der Verfassungsschutz rechnet der Szene rund 21 000 Anhänger zu.

Seit den angeblichen Plänen zur Entführung von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) im April stehe das Thema aber auch in der Politik weit oben auf der Agenda, sagte "Extremismusexperte" Blumenthaler der dpa. Nach seiner Meinung "lacht heute eigentlich keiner mehr" darüber.

Welche Rolle spielt die AfD?

Unter den Festgenommenen ist die Richterin und frühere AfD-Bundestagsabgeordnete Birgit Malsack-Winkemann. Gegen sie läuft inzwischen ein Disziplinarverfahren. Dieses habe das Landgericht Berlin eingeleitet, sagte Justizsenatorin Lena Kreck (Linke) am Donnerstag dem rbb24 Inforadio. Als ehemalige Abgeordnete hatte Malsack-Winkemann – wie alle ausgeschiedenen Parlamentarier, die dies wünschen – Zugang zu den Gebäuden des Bundestages. Dem Bundesschiedsgericht der AfD gehört sie als Beisitzerin an. Die Festnahme habe "keine automatische Auswirkung auf Parteiämter", sagte Parteivize Stephan Brandner.

Thüringens Innenminister Georg Maier (SPD) spekulierte im Deutschlandfunk, die AfD habe sich immer weiter radikalisiert, "verbreite Verschwörungsmythen und Umsturzfantasien". Er fuhr fort:

"Aber schlimmer noch ist: letztendlich fungiert sie wie eine Organisationszentrale, eine Schnittstelle für die Vernetzung von rechtsextremen Organisationen. Und das ist das, was diese Partei immer gefährlicher macht."

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rt de / dpa

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