Da er im Donbass recherchierte: Journalist verliert Lehrauftrag und verklagt Universität Kiel
Eine Analyse von Susan Bonath
Für ein geplantes Buch untersucht der renommierte Journalist Patrik Baab die Hintergründe des Krieges in der Ukraine. Da liegt es nahe, sich ein Bild von der Realität vor Ort zu machen. Ein Jahr nach seinem Besuch der Westukraine reiste er im September in den östlichen Donbass, den die Regierung des Landes seit 2014 beschießt und bombardiert. Doch Journalisten, die der westlichen Propaganda Paroli bieten, brauchen ein schnelles Pferd: Ein medialer Shitstorm, gespickt mit Halbwahrheiten und Verleumdungen, brach über Baab herein. Zwei Hochschulen verboten ihm die Lehre. Nun zieht er vors Gericht.
Recherche im Donbass
Patrik Baab ist ein erfahrener Investigativ-Journalist. Unter anderem für den NDR produzierte er zahlreiche Beiträge. Sein Wissen gab er an Studenten weiter. Nebenher schreibt er ein Buch über den Krieg in der Ukraine. Welche Vorgeschichte hatte dieser? Wer und was ließ wann die Lage eskalieren? Was berichten Betroffene vor Ort?
Seine Reise war lange geplant. Ein Jahr zuvor, so berichtet Baab, habe er in der Westukraine recherchiert. Dass er in den Semesterferien im vergangenen September direkt auf die Referenden zum Anschluss an die Russische Föderation stieß, "war reiner Zufall". Baab filmte in zerstörten Städten, sprach mit Anwohnern, machte sich ein Bild über die Wahlen – guter Journalismus, möchte man meinen.
Eine Reise in ein Kriegsgebiet ist gefährlich. Weil Baab nicht lebensmüde ist, hatte er Sergei Filbert an seiner Seite. Filbert betreibt den gut frequentierten Youtube-Kanal Druschba FM. Er spricht die Sprache und kennt das Land. Unter der Rubrik Grenzland veröffentlichte Baab auf seinem Kanal mehrere Videos von seiner Reise – diese Möglichkeit hatte er woanders nicht. Doch der Westen hat Filberts Heimat Russland zum Feind erklärt. Als angeblicher "Putin-Freund" steht Filbert seit Jahren am Pranger der deutschen Leitmedien. Das öffentlich-rechtliche ZDF bezeichnete ihn beispielsweise im November als einen von "Russlands deutschen Propaganda-Kriegern".
Shitstorm und Rauswurf
Der Shitstorm ließ nicht lange auf sich warten. Er holte Baab noch während seiner Reise ein, nahm vermutlich auf t-online seinen Anfang. Autor Lars Wienand behauptete mal eben wahrheitswidrig, Baab sei als "Wahlbeobachter" in die Ukraine gereist. Andere Medien übernahmen diese Darstellung offensichtlich ungeprüft.
Der t-online-Autor Wienand hatte die Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft (HMKW) in Berlin angefragt, an welcher Baab unter anderem lehrte. Auf diese Weise von seiner privaten Recherche-Reise in den Donbass. Noch vor dem Erscheinen seines Artikels erklärte die HMKW ihren Dozenten unter Verweis auf selbigen zum Geächteten. Ihr Rundum-Abschlag mit bekannten Propaganda-Begriffen mündete in dem Vorwurf "journalistischer Scheinobjektivität und der Ankündigung:
"Wir haben Herrn Baab mitgeteilt, dass es mit den Grundprinzipien unserer Hochschule nicht vereinbar ist, ihn weiter als Lehrbeauftragten an unserer Hochschule einzusetzen."
Das versetzte auch die Kieler Christian-Albrechts-Universität (CAU) in Alarmstimmung. Mit dieser hatte Baab bereits eine Lehrvereinbarung für das gegenwärtige Wintersemester abgeschlossen. In einem moralisierenden Dreizeiler verkündete sie, Baabs Lehrauftrag umgehend zu kündigen. Wenige Tage später teilte sie dies ihrem Dozenten schriftlich mit. Das dreiseitige Schreiben liegt der Autorin vor.
Zum Verständnis: Lehraufträge von staatlichen Universitäten sind öffentlich-rechtliche Verträge außerhalb des Arbeits- und Beamtenrechts. Dozenten werden damit zahlreiche Rechte fest Angestellter, wie Tarifgehalt, Zulagen, Urlaub, Lohnfortzahlung bei Krankheit und so weiter, verwehrt. Gewerkschaften kritisieren diese Praxis seit langem. Dennoch dürfen Universitäten einmal erteilte Lehraufträge nicht ohne wichtigen Grund, wie etwa fehlende Studenten oder Verstöße gegen die Lehrvereinbarung, vorzeitig beenden. Private moralische Haltungen und politische Anschauungen zu bestimmten Themen gehören nicht dazu. Denn die Freiheit von Forschung und Lehre, der Meinung und der Presse, ist ein demokratisches Grundrecht, geregelt im Artikel 5 des Grundgesetzes.
Uni mit "eindeutiger Haltung"
Die Kieler Uni ficht das Grundgesetz genauso wenig an wie die HMKW. In Sachen Ukraine-Krieg stellen die Bildungseinrichtungen das politisch erwünschte Freund-Feind-Schema zur Schau: Die NATO und die Ukraine seien gut, die Russen böse. Mit Bösen spricht man nicht, den Guten glaubt man alles – und wer es anders sieht, der fliegt, Journalismus hin oder her.
Mit anderen Worten: Die CAU verlangt von ihren Dozenten zum Ukraine-Krieg eine vorgegebene politische Haltung, beruflich wie privat. In ihrem Schreiben an Baab widerruft sie hoch emotionalisiert seinen Lehrauftrag. Statt fundierter Belege für ihre aneinander gereihten Vorwürfe trägt sie vor allem Wertungen, Beschuldigungen und persönliche Zuschreibungen darin vor, ersichtlich abgeschrieben bei t-online.
So habe Baab sich "während der Scheinreferenden" als "westlicher Wahlbeobachter" im Donbass aufgehalten und dort zu allem Übel an einer Pressekonferenz mit russischen Medien teilgenommen – ohne sich, wie vorgeschrieben, von den Vereinten Nationen (UN) für diese Aufgabe zertifizieren lassen. Obwohl Baab eindeutig zu verstehen gab, dass er im Donbass ausschließlich für sein Buch recherchiert habe und von Lobeshymnen auf die russische Regierung nichts zu hören oder lesen war, bestand die CAU auch in ihrer ablehnenden Widerspruchsbegründung auf ihrer Deutung. Weiter führte sie aus:
"Das vorstehende Verhalten ist geeignet, die eindeutige Haltung der Christian-Albrechts-Universität zum Krieg in der Ukraine in Frage zu stellen. Ihr Auftreten als "Beobachter" der Scheinreferenden verleiht der völkerrechtswidrigen Besetzung und Annexion ukrainischer Staatsgebiete durch Russland den Anschein von Legitimität."
Die Haltung der Universität beschreiben die Unterzeichner Christian Martin, Robert Seyfert und Dirk Nabers, allesamt Professoren aus den Bereichen Politik und Soziologie, wie folgt: Da die CAU sich dem Frieden verpflichtet fühle, stehe sie an der Seite der Ukraine und unterstütze "nachdrücklich das konsequente Vorgehen der Bundesregierung und die EU-Sanktionen gegen den Aggressor Russland". Sie habe deshalb bereits den Studentenaustausch und die Wissenschaftskooperation mit Russland eingestellt.
Gesinnungskontrolle statt Lehrfreiheit
Anders ausgedrückt: Weil die Kieler Uni für Frieden sei, hat sie sich auf die Seite einer Kriegspartei, nämlich der Ukraine, geschlagen und damit hinter die politischen Ansichten und Bestrebungen der Bundesregierung und der NATO gestellt. Kritik an der deutschen und der EU-Politik ist unerwünscht. Gleiches verlangt sie von ihren Dozenten. Die Uni ist ganz offensichtlich zu einem politischen Tendenzbetrieb mutiert, der die persönliche Gesinnung seiner Mitarbeiter und Dozenten allumfassend kontrolliert.
Durch Baabs Recherche-Reise befürchtet die Bildungseinrichtung nunmehr einen "Ansehensverlust". Es dürfe nicht der Eindruck entstehen, schrieb sie, dass ein Teil der Dozenten das Verhalten Russlands befürworten könnte. Kein Wort verlieren die Unterzeichner über die Aufgabe von Journalisten, sauber zu recherchieren. Auch zur Freiheit der Wissenschaft, Presse und Meinung schweigen sie. Offenbar sollen nun auch Journalismus-Studenten zu Propagandisten der Regierenden "erzogen" werden. Einen anderen Schluss lässt das Gebaren kaum zu.
Falsche Behauptungen
Nach erfolglosem Widerspruch klagt Patrik Baab nun vor dem Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgericht gegen seinen Rauswurf. Das ist zuständig, weil Probleme mit Lehraufträgen nicht unter das Arbeitsrecht fallen. Rechtsanwalt Marius Potthoff, Urlaubsvertreter von Baabs Anwalt Volker Arndt, wirft der CAU in der vorläufigen Klage-Begründung mehrere Falschbehauptungen vor. Sein Mandant sei weder als Wahlbeobachter in die Ukraine gereist, noch habe er sich vom russischen Regime vereinnahmen lassen oder den Krieg relativiert. Er schreibt darin zum Beispiel:
"Der Kläger hat als Journalist, der sich der Berichterstattung vor Ort – und nicht wie andere Medienbeobachter aus der Ferne – verpflichtet fühlt, in hohem Maße risikoreiche Recherchen angestellt, um die Situation vor Ort tatsächlich mit seiner journalistischen Erfahrung wahrzunehmen und darüber zu berichten."
Der Anwalt betont: In der schwierigen und gefährlichen Kriegssituation habe Baab gegenüber allen Seiten stets kritische Distanz gewahrt. Er habe beobachtet, gefilmt und mit Menschen gesprochen – und dies in einer grund- und menschenrechtlich legitimierten Art und Weise. Seine Anwesenheit in der Ost-Ukraine habe auch nicht, wie vorgeworfen, zu einem Vorteil der russischen Regierung beigetragen. Baab habe vielmehr seine journalistische Sorgfaltspflicht erfüllt. Der Widerruf seines Lehrauftrags sei daher rechtswidrig.
Baab und sein Anwalt kritisieren noch mehr am Vorgehen der Kieler Universität. Diese habe ihm keinerlei rechtliches Gehör gewährt. "Man hat nicht mit mir geredet, sondern mich einfach vor vollendete Tatsachen gestellt", erklärt er im Gespräch mit der Autorin.
NDR begleicht "alte Rechnungen"
Doch damit nicht genug. Auch Baabs ehemaliger Arbeitgeber, der NDR, stieg in die Kampagne ein. Dabei sparte der öffentlich-rechtliche Sender nicht mit persönlichen Angriffen gegen Baab und nutzte die Gelegenheit ganz offensichtlich, um alte Rechnungen zu begleichen.
Denn Baab war kein bequemer Mitläufer. Bereits 2019 hatten er und weitere Kollegen schwerwiegende Missstände im öffentlich-rechtlichen Rundfunk angemahnt. Im Raum stand unter anderem der Verdacht auf politische Einflussnahme. Offenbar wollte der Sender die Vorwürfe gegen ihn relativieren, indem er den Überbringer als "Persona non grata" diskreditiert, die gemeinsame Sache mit "Verschwörungserzählern" mache. Die üblichen Kontaktschuld-Vorwürfe also.
Politischer Zensoren-Klüngel
Baabs Einschätzung nach spielt seine Kritik am NDR eine große Rolle für die Reaktion der Universitäten. Er sprach von einem "offensichtlichen Racheakt". In den Führungsetagen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks treibe ein "politischer Medienklüngel" unter dem Deckmantel "Investigativ-Recherche" sein Unwesen. Dieser nutze wirtschaftlich abhängige freie Journalisten dazu, erwünschte Botschaften zu propagieren. Dieser Klüngel, glaubt Baab, reiche bis in die Universität hinein.
So müssen dann auch renommierte Journalisten wie Patrik Baab fürchten, wegen unliebsamer Berichterstattung auf dem sinnbildlichen, öffentlichen Scheiterhaufen zu landen. Dies würde die nicht nur gefühlte weitgehende Gleichschaltung der deutschen Leitmedien nicht nur in Sachen Russland und Ukraine-Krieg, sondern auch zur Causa Corona zumindest teilweise erklären.
Wer so agiert, produziert natürlich vorauseilenden Gehorsam durch Angst vor Rauswurf, Arbeitslosigkeit und maximalem Reputationsverlust. Vor allem produziert er Propaganda, die dem Verständnis von freiem Journalismus widerspricht. Und wenn die Universitäten entsprechend "ausgebildeten" Nachwuchs in die Medienwelt entlassen, ist das aktuelle Resultat kaum verwunderlich. Die Anfänge dieser Entwicklung sind vermutlich längst schon überschritten.
Realitätsprobe verboten
Recherche vor Ort, so erklärt Baab, "ist nicht nur Teil des journalistischen Auftrags, sondern für die Beschaffung von Informationen zwingend erforderlich". "Das ist eine Realitätsprobe", sagt er. Nur so könne man etwa regierungsamtliche Verlautbarungen auf ihren Wahrheitsgehalt prüfen. Dies sei offenbar verboten.
Selbstverständlich müsse man als Journalist mit beiden Seiten reden, meint er. Nur könne man verhindern, von einer Seite "vor den Karren gespannt" zu werden. Entsprechende Vorwürfe der Uni gegen Baab müssten sich vielmehr an Journalisten richten, die ungeprüft die Propaganda der ukrainischen Regierung und der NATO übernehmen und wiedergeben – sich also vor deren Karren spannen lassen.
Die CAU selbst will sich zu ihrer Ausdrucksweise nicht äußern. Auf Nachfrage der Autorin berief sie sich auf das laufende Verfahren, das Patrik Baab in Gang setzte und schweigt. Somit bleibt es vorerst ihr Geheimnis, auf welcher gesetzlichen Grundlage sie von ihren Mitarbeitern und Dozenten fordert, bestimmte politische Haltungen beruflich wie privat nach außen zu tragen – zulasten der Objektivität.
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