SPD-Fraktion im Positionspapier für mehr Diplomatie – Melnyk gibt Geschichtsunterricht
Die SPD im Bundestag setzt auf diplomatische Initiativen, um zu einem Friedensschluss zwischen Russland und der Ukraine zu kommen. Kriege werden "in der Regel" nicht auf dem Schlachtfeld beendet, heißt es in einem Entwurf für ein Positionspapier der größten Regierungsfraktion, das auf der an diesem Donnerstag beginnenden Jahresauftakt-Klausur beschlossen werden soll. Auch wenn es "aus nachvollziehbaren Gründen keinerlei Vertrauen" zur gegenwärtigen russischen Führung gäbe, "müssen diplomatische Gespräche möglich bleiben", heißt es darin weiter. Deswegen seien auch die Telefonate von Kanzler Olaf Scholz mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin richtig und notwendig.
Das Papier mit dem Titel "Sozialdemokratische internationale Politik in der Zeitenwende" lag der Deutschen Presse-Agentur vor, auch andere Medien berichteten darüber. In dem neunseitigen Entwurf wird darauf verwiesen, dass in "kleinen Teilbereichen" Verhandlungserfolge mit Russland erzielt werden konnten, zum Beispiel beim Gefangenenaustausch oder beim Getreideexport über das Schwarze Meer. Es gelte, auf diesen Ansätzen aufzubauen, etwa im Bereich der Rüstungskontrolle.
Wo immer es möglich sei, sollten diplomatische Initiativen ergriffen werden, heißt es in dem Papier in der Fassung von Mittwochabend (18 Uhr). Man müsse "weiterhin jeden Versuch unternehmen, Russland zum Rückzug zu bewegen" und eine ehrliche Bereitschaft zu einem "gerechten Friedensschluss" einfordern. Erwähnt wird in diesem Zusammenhang nur Russland, nicht die Ukraine.
Während die russische Führung wiederholt ihre Bereitschaft zu Verhandlungen mit Kiew betont hat, lehnt die ukrainische Seite jedes Gespräch vor dem "vollständigen Rückzug Russlands auf die Grenzen von 1991" ausdrücklich ab und steht diplomatischen Initiativen skeptisch gegenüber. Sie fordert damit einen Rückzug Russlands nicht nur aus den abtrünnigen Volksrepubliken im Donbass, deren Unabhängigkeit Russland nach sieben Jahren fruchtloser Versuche, die Ukraine zur Erfüllung der Minsker Vereinbarungen zu bewegen, im Februar 2022 anerkannt hat, sondern auch von der 2014 in die Russische Föderation aufgenommenen, mehrheitlich durch Russen bewohnten Schwarzmeer-Halbinsel Krim.
Von den westlichen Verbündeten fordert die Ukraine eindringlich die Lieferung von Waffen neuer Qualität. Dabei richtet sich der Fokus derzeit auf Kampfpanzer westlicher Bauart wie den deutschen Leopard 2. Auf diese Debatte geht das Papier der SPD-Bundestagsfraktion jedoch nicht ein. Es wird darauf verwiesen, dass Deutschland der Ukraine bereits im großen Umfang Ausrüstung und Waffen geliefert habe.
Langfristig können sich die Autoren des Papiers bei einer Kehrtwende Russlands im Krieg auch wieder vertrauensbildende Maßnahmen mit dem Land vorstellen. Zuvor müsse es aber "zu einer fundamentalen Abkehr vom verbrecherischen Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine und der dahinterstehenden expansionistischen Ideologie" kommen, heißt es in dem Entwurf. Auf die expansionistische Ideologie von EU und NATO, die alle Spannungen seit 2013 überhaupt erst erzeugt hat, geht das Papier nicht ein.
Im Wahlprogramm der SPD von 2021 steht noch der Satz: "Frieden in Europa kann es nicht gegen, sondern nur mit Russland geben." Nun will die Partei ihre Haltung neu definieren. Beim Parteitag Ende 2023 soll ein neues außen- und sicherheitspolitisches Konzept beschlossen werden, für das die Kommission "Internationale Politik" derzeit Vorschläge erarbeitet. Ende des Monats sollen sie vorliegen.
SPD-Chef Lars Klingbeil hatte im Oktober mehrere Fehleinschätzungen seiner Partei in der Russland-Politik der letzten Jahrzehnte eingestanden. In einer Grundsatzrede sprach er sich für ein grundsätzliches Umdenken aus.
Aus Kiew kam am Mittwochabend bereits eine erste Reaktion. Der ukrainische Vizeaußenminister und frühere Botschafter der Ukraine in Berlin Andrei Melnyk widersprach der Einschätzung, dass Kriege in der Regel nicht auf dem Schlachtfeld entschieden würden. Er twitterte:
"Kriege werden fast immer auf dem Schlachtfeld entschieden. Deutschland sollte das besser wissen."
(rt/dpa)
Falsch @spdbt, Kriege werden fast immer auf dem Schlachtfeld entschieden. Deutschland sollte das besser wissen. Guten Abend noch aus Kyjiw https://t.co/dZnB5H1UvSpic.twitter.com/PMzTy7zCrT
— Andrij Melnyk (@MelnykAndrij) January 11, 2023
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Am 24. Februar kündigte der russische Präsident Wladimir Putin an, gemeinsam mit den Streitkräften der Donbass-Republiken eine militärische Spezialoperation in der Ukraine zu starten, um die dortige Bevölkerung zu schützen. Die Ziele seien, die Ukraine zu entmilitarisieren und zu entnazifizieren. Die Ukraine spricht von einem Angriffskrieg. Noch am selben Tag rief der ukrainische Präsident Wladimir Selenskij im ganzen Land den Kriegszustand aus.
Der Westen verurteilte den Angriff, reagierte mit neuen Waffenlieferungen, versprach Hilfe beim Wiederaufbau und verhängte Sanktionen gegen Russland.
Auf beiden Seiten des Konfliktes sind zahlreiche Soldaten und Zivilisten getötet worden. Moskau und Kiew haben sich gegenseitig verschiedener Kriegsverbrechen beschuldigt. Tausende Ukrainer sind mittlerweile aus ihrer Heimat geflohen.