Michael Ballweg und der Rechtsstaat: Im Gefängnis ohne Anklage
Eine Analyse von Tom J. Wellbrock
"Irgendwas bleibt ja immer hängen." Nach diesem Prinzip arbeiten deutsche Mainstreammedien schon seit einer gefühlten Ewigkeit. Man beachte nur die unzähligen Behauptungen, Russland habe dies, Putin jenes zu verantworten. Selbst wenn bis zum heutigen Tag keine Beweise für die diversen Vorwürfe geliefert werden konnten, stimmt es schon: Irgendwas hängen bleibt ja immer. Erst recht, wenn die Behauptungen und Lügen so lange wiederholt und als Beweise klassifiziert werden, dass sie zum allgemeinen Konsens erhoben werden. Man sehe und höre sich nur Markus Lanz an, der – davon ist auszugehen – fest daran glaubt, dass für die Taten von Butscha Russland bzw. Putin verantwortlich sei. Im Übrigen ein Paradebeispiel dafür, was es anrichten kann, sich einseitig zu informieren und die daraus gewonnenen Erkenntnisse munter weiterzutragen.
Der Fall von Michael Ballweg ist ähnlich gelagert. Er sitzt seit Juni 2022 in Untersuchungshaft. Der Vorwurf lautet unter anderem Betrug und Geldwäsche. Schon als Ballweg verhaftet wurde, raunte es in Teilen der Republik, und auch vermeintlich linke oder progressive Kräfte hielten ihr Verständnis für Ballweg im engen Rahmen. Der Tenor: "Da wird schon was dran sein." Also gewissermaßen die Vorstufe von "Irgendwas bleibt ja immer hängen."
Reizfigur ohne Reiz
Zur Reizfigur wurde Ballweg vermutlich im Wesentlichen durch die Berichterstattung über ihn. Zu den Hochzeiten des Corona-Protestes wurden die Medien nicht müde, über ihm Schmutzkübel auszuschütten. Kein Wunder, stand er doch an der Spitze der Bewegung, die gemeinhin als "COVIDioten", "Impfgegner" oder "Corona-Leugner" verunglimpft wurde. Klar, dass jemand, der all das mitinitiiert hat, eine große Angriffsfläche bietet.
Fakt ist aber auch, dass Ballweg nicht sonderlich auffällig war. Trotz aller Medienpräsenz kommunizierte er eher zurückhaltend und war nicht unbedingt für besonders radikale oder aggressive Auftritte bekannt. Damit verbunden war vielleicht eine gewisse Naivität, als er sich mit Reichsbürgern traf. Wobei über seine Beweggründe an dieser Stelle aufgrund zu weniger Hintergrundinformationen keine Einschätzung abgegeben werden soll.
Wie auch immer: Ballweg schien sich selbst zu überfordern, auch wenn er sich auf Einladungen von Medienformaten einließ, von denen er hätte wissen können, dass sie für ihn nicht gut enden würden. Naivität? Selbstüberschätzung? Schwer zu sagen. Aber all das sind Details, die für die Bewertung seiner Haft keine Rolle spielen dürfen.
Wo Recht zu Unrecht wird
Es war der Vorwurf des gewerbsmäßigen Betrugs, der Michael Ballweg am 22. Juni 2022 ins Gefängnis brachte. Laut "Querdenken – 711 Stuttgart" kam es aber bis zum heutigen Tag zu keiner Anklage. Das ist Unrecht, und nach Artikel 5 der Europäischen Menschenrechtskonvention hat Ballweg ein Recht auf Haftprüfung. Im Zuge dieser Prüfung muss das Gericht prüfen und entscheiden, ob der Haftbefehl ausgesetzt oder aufgehoben werden soll.
Diese Haftprüfung dauerte laut Angaben der Verteidigung Ballwegs gerade einmal 11 Minuten. Danach brach der Haftrichter sie ab, ohne dass Ballweg sich vollständig äußern konnte. Für die Anwälte liegt hier ein Verstoß gegen das rechtliche Gehör vor. Die Forderung nach einer Haftprüfung wurde somit zum wiederholten Male ignoriert und das Verteidigerteam wird deswegen Haftbeschwerde beim Landgericht einlegen. Zudem wird der Fall dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt, um im nächsten Schritt den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anrufen zu können.
So viel zum Stand der Dinge.
Die Öffentlichkeit hat die Pflicht, das Recht zu verteidigen
Der Reflex liegt nahe: Ist Ballweg schuldig oder unschuldig? Diese Fragestellung ist nachvollziehbar im Sinne menschlichen Fühlens und Denkens. Sie ist jedoch nicht nur fehl am Platz, sondern zielt völlig am eigentlichen Problem vorbei.
Abgesehen davon, dass natürlich auch für Michael Ballweg die Unschuldsvermutung gilt, ist das für die Öffentlichkeit interessante Detail ein anderes: Warum wurde noch immer keine Anklage erhoben? Die Antwort könnte diese Definition einer Anklageerhebung liefern:
"Eine Anklage wird erhoben, wenn ein Staatsanwalt nach dem Abschluss eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens zu der Einschätzung gelangt, dass die Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung höher ist als die Wahrscheinlichkeit eines Freispruchs (sog. hinreichender Tatverdacht)."
Nun ist es reine Spekulation, davon auszugehen, dass die Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung zu hoch für eine Verurteilung ist, ebenso wie die umgekehrte Annahme spekulativ wäre. Fakt ist, dass die Staatsanwaltschaft seit einem halben Jahr keine Anklage erhoben hat. Fakt ist darüber hinaus, dass die Haftprüfung der Überprüfung der Inhaftierung dienen sollte.
Durch den vorzeitigen Abbruch der Haftprüfung konnte nicht ermittelt werden, ob die Inhaftierung weiterhin gerechtfertigt ist. Diese Entscheidung traf das Amtsgericht.
Es geht bei diesem Verfahren und seiner Beurteilung durch die Öffentlichkeit nicht darum, was Ballweg vorgeworfen wird. Da es die Aufgabe von Gerichten ist, durch faire Verfahren zu einem Urteil zu gelangen, ist das vermeintliche Vergehen also unerheblich. Was jedoch jeden etwas angeht, ist die Frage, ob überhaupt ein faires Verfahren vorliegt. Und das scheint hier nicht der Fall zu sein.
Wohin führt der Weg?
Die grundlegende und gesellschaftliche Frage lautet also: Ist das Rechtssystem noch in Ordnung, funktioniert es noch? Mit Blick auf die Corona-Episode muss man das ohnehin anzweifeln. Und wenn der oberste Richter des Bundesverfassungsgerichts schon ganz offen mit der politischen Spitze im Land diniert und darüber hinaus Entscheidungen trifft, die ganz im Sinne der politisch Verantwortlichen sind. Dann kann man nicht mehr von einem "Geschmäckle" sprechen, sondern muss hörbar die Stimme erheben.
Michael Ballweg in Schutz zu nehmen, hat dabei nichts mit Parteilichkeit zu tun, wenn eklatant ist, dass das gesamte Verfahren inklusive der Inhaftierung nicht geltendem Recht entspricht. Man muss davon ausgehen, dass Ballwegs größtes Problem die Sache ist, für die er sich eingesetzt hat. Denn die Verzögerung, ja, sogar Verweigerung einer Haftprüfung und die Unterstellung, es bestehe Fluchtgefahr, weshalb die Haft nicht aufgehoben werden kann, sind konstruiert und dienen scheinbar nur der Einschüchterung.
Die Tatsache, dass Ballweg schon vor seiner Haft erheblichem Druck ausgesetzt war, in der Öffentlichkeit diffamierend dargestellt und medial vorverurteilt wurde, müsste die Öffentlichkeit aufhorchen lassen. Und zwar unabhängig von der Frage, wie man persönlich zu ihm, seinen Aktivitäten oder den ihm zur Last gelegten Vergehen steht. Dass das nicht passiert, dürfte einkalkuliert sein, denn wer öffentlich in ein schlechtes, kriminelles Licht gerückt wird, kann kaum Solidarität erwarten.
Abgesehen davon, dass damit indirekt das Prinzip der Unschuldsvermutung unterlaufen und der Ruf eines Menschen beschädigt wird, muss man die Frage stellen, wie all das weitergehen wird. Bereits jetzt scheint ein Punkt überschritten zu sein, von dem es nur schwerlich eine Umkehrmöglichkeit gibt. Wenn sich Willkür, Absprachen in Hinterzimmern und juristische Praxis entgegen geltenden Gesetzen erst einmal in die Gesellschaft "eingeschlichen" haben, ist ein Prozess in Gang gebracht, der meist nur in eine Richtung deutet: weiter und mehr davon.
Ob Michael Ballweg schuldig im Sinne der (nicht erfolgten) Anklage ist, kann hier nicht beurteilt werden. Dass aber Staatsanwaltschaft und Amtsgericht schuldig im Sinne eines unfairen Verfahrens sind, das kann unter den gegebenen Umständen als gesichert betrachtet werden.
Tom J. Wellbrock ist Journalist, Sprecher, Texter, Moderator und Mitherausgeber des Blogs "neulandrebellen".
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