Neue E-Akte: Patientendaten mit Gendatenbanken verknüpft – App erinnert automatisch an Impftermine
Seit Januar 2021 gibt es für gesetzlich Krankenversicherte in Deutschland die Möglichkeit, in die Anlegung einer elektronischen Patientenakte einzuwilligen. Aber von den 74 Millionen gesetzlich Versicherten hatten bisher nur rund 600.000 Menschen, also weniger als ein Prozent, der digitalen Patienten-Datensammlung, kurz ePA zugestimmt. Das soll sich im kommenden Jahr ändern.
In der ePA sollen alle Diagnosen, Befunde und Untersuchungsergebnisse eines jeden Patienten in einem digitalen Ordner gesammelt und gespeichert werden. Auf die Gesundheitsdatensammlung würden dann zukünftig alle Mediziner, Physiotherapeuten und Pflegekräfte per Smartphone oder Computer Zugriff haben. Die Krankengeschichte jedes Versicherten soll damit "lückenlos dokumentiert" werden, so der Plan des Gesundheitsministers Karl Lauterbach. Darüber berichtete Epoch Times am Sonntag.
Die Pläne dazu wollte Lauterbach auf der Kabinettsklausur auf Schloss Meseberg am vergangenen Wochenende vorstellen. Vorab kündigte er am Freitag in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS) an, dass noch im Jahr 2024 jeder gesetzlich Versicherte eine elektronische Patientenakte erhalte:
"Ende kommenden Jahres wird die elektronische Patientenakte für alle verbindlich", so Lauterbach gegenüber der FAS.
Dem Minister zufolge, erweise man damit vor allem dem Patienten einen Dienst, denn "mit der elektronischen Patientenakte wird er endlich Herr seiner Daten." Die Akte würde auch der Behandlung zugutekommen, zitierte die FAS den SPD-Politiker. Aus seiner aktuellen Praxis als Mediziner berichtete Lauterbach: "Ich werde oft von Patienten nach einer zweiten Meinung gefragt". Häufig stelle er aber fest: "In der Papierakte fehlen wichtige Befunde".
Zudem müsse er als Minister dafür sorgen, dass unser Gesundheitssystem endlich im 21. Jahrhundert ankomme. Deshalb würde er das jetzt pragmatisch angehen: "Jeder, der nicht ausdrücklich widerspricht, ist automatisch dabei", erläuterte Lauterbach seinen Opt-out-Ansatz. Der Zugang zur Patientenakte müsse für Ärzte, Krankenhäuser und Apotheker einfach und unbürokratisch sein. Jeder Versicherte könne sich nach Wunsch auf seinem Smartphone eine entsprechende App einrichten, wo er dann auch Einsicht in seine Akte bekäme.
Ob es nicht ein Datenschutzproblem beinhalte, wenn auch die Forschung Zugang zu den Daten der ePAs bekäme, wollte die FAS wissen. Die Auswertung geschähe nur in pseudonymisierter Form, versicherte Lauterbach. Die Daten, die bisher getrennt in Krankenhäuser-Akten, bei Krankenkassen und Genomdatenbanken über die Patienten gesammelt werden, könnten in den individuellen digitalen Patientenakten endlich miteinander verknüpft werden. Lauterbach offenbarte auch, dass ihm die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands am Herzen liege:
Ohne die Möglichkeit, diese Daten zu Forschungszwecken zusammenzubringen, würde Deutschland gegenüber anderen Ländern zurückfallen, argumentierte der Minister zur Notwendigkeit der Gesundheitsdatensammlungen. Patienten würden einen fehlenden Zugang zu ihren Daten "nicht länger akzeptieren". Als Patient könne man bei der ePA zudem auch verfügen, dass Ärzte nur Daten in die Akte einschreiben, aber nicht einsehen können, was dort schon alles an Gesundheitsdaten gesammelt wurde.
Ein weiterer Vorteil wäre, so Lauterbach, dass dem Patienten die Eigeninitiative genommen würde. "Das deutsche Gesundheitssystem verlangt ungewöhnlich viel Eigeninitiative", habe der Minister festgestellt. Mit dem neuen System würden die Versicherten automatisch an ihre Impftermine und Vorsorge-Untersuchungen erinnert.
Es würde auch eine neue moderne Art der Arzt-Patienten-Kommunikation eingeführt werden: Mit der Einrichtung eines "Medical Messengers" würden Arzt und Patient zukünftig digital über die Gesundheitsprobleme kommunizieren. Darüber hinaus würde auch das elektronische Rezept verpflichtend werden. Die "rosa Zettel" würden abgeschafft. Lauterbach dazu:
"Sondern der Patient muss dann nur seine elektronische Patientenakte, seine E-Rezept-App oder seine Gesundheitskarte vorzeigen, und der Apotheker sieht sofort das elektronische Rezept."
Mit einer breiten Bewegung gegen die Datensammlungen rechne der Gesundheitsminister nicht. Die Anwendungen dienten schließlich der medizinischen Versorgung der Bevölkerung. Und ein großer Teil der Bevölkerung sei der Digitalisierung gegenüber positiv eingestellt, erklärte Lauterbach.
Dagegen sehen Ärzte- und Datenschutzverbände die Einführung der ePA zum Teil äußerst kritisch. So berichtete das Fachportal Datensicherheit.de bereits im November 2022 über die Gefahr der Aushebelung der ärztlichen Schweigepflicht. Laut des ärztlichen Berufsverbands "Freie Ärzteschaft e. V." sei durch den "EPA-Paradigmenwechsel" die ärztliche Schweigepflicht bedroht. Es sei zudem ein völliger Paradigmenwechsel in Bezug auf die zentrale Speicherung und Nutzung der sensiblen Krankheitsdaten nahezu der gesamten Bevölkerung beschlossen worden, erklärte der Verein in einer Stellungnahme.
Das Bundesgesundheitsministerium habe der gematik GmbH den Auftrag erteilt, ein neues Konzept zur ePA zu entwickeln, welches im scharfen Kontrast zur bisherigen Planung stehe. "War bisher geplant, die patientengeführte ePA auf freiwilliger Basis für die Bürger bereitzustellen, soll nun die Freiwilligkeit abgeschafft werden zugunsten einer völlig automatisierten Speicherung aller Arztbriefe." Automatisch sollen die Patientendaten allen möglichen Medizinbereichsteilnehmern und auch einem Forschungsdatenzentrum zugänglich sein.
„Man soll sich nur noch durch eine dezidierte Ablehnung davor schützen können“, hieß es in der Kritik des Datenschutzportals.
Das Deutsche Ärzteblatt schrieb im September 2022 über die juristische Fragwürdigkeit der digitalen Patientenakte. Demnach halte der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, Ulrich Kelber (SPD), die geplante Umsetzung der elektronischen Patientenakte (ePA) in Teilen für europarechtswidrig. Gemeinsam mit Datenschützerkollegen habe er sich warnend an die Öffentlichkeit gewandt. Mit der Einführung der ePA drohe die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) gegen die europäische Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) zu verstoßen.
Umstritten ist neben dem Datenschutz auch die Datensicherheit der ePA. Diesbezüglich berichtete das Handelsblatt Anfang Februar von einem Cyberangriff auf die Gesundheitsdaten beim E-Patientenakten-Anbieter Bitmarck. Abgeflossen seien dabei "lediglich" Unternehmensdaten. Doch wie sicher sind Gesundheitsdaten in solchen Akten, fragte sich der Autor des Handelsblatt-Beitrags.
Die mit der digitalen Akte beauftragte gematik GmbH sieht darin jedenfalls nur Vorteile für Patienten, Apotheken, Ärzte und Krankenhäuser und bewirbt die ePA auf ihrer Webseite mit dem Slogan "Teilen, was für Ihre Gesundheit wichtig ist."
Wie aus dem letzten veröffentlichten Cooperate Governance Bericht 2021 hervorgeht, sind in dem umfangreichen Beirat der gematik GmbH neben Vertretern unterschiedlicher Medizinverbände auch "Vertreter der Wissenschaft" und "Vertreter der für die Wahrnehmung der Interessen der Industrie maßgeblichen Bundesverbände aus dem Bereich der Informationstechnologie im Gesundheitswesen" beteiligt. Aus Größe und Zusammensetzung des gematik-Beirats lässt auf das breite Interesse und auf die vielen Verwertungsmöglichkeiten der Gesundheitsdatensammlungen für die IT-Branche und die Gesundheitsindustrie schließen.
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