Deutschland

Kündigungsgrund: "Journalistische Scheinobjektivität, mit beiden Seiten zu sprechen"

Der investigative Journalist Patrik Baab hatte im Donbass recherchiert. Dafür wurde ihm danach von der Universität Kiel sein Lehrauftrag gekündigt. In einem Interview gibt Baab nun Einblick sowohl in die Erlebnisse während seiner Recherche im Donbass als auch in seine Ansichten über den Zustand des deutschen Journalismus.
Kündigungsgrund: "Journalistische Scheinobjektivität, mit beiden Seiten zu sprechen"Quelle: www.globallookpress.com © via www.imago-images.de

In einem ausführlichen, sehr informativen Interview beantwortete der Journalist Patrik Baab die Fragen von Milena Preradovic. 

Patrik Baab hatte im Rahmen einer Recherchereise den Donbass besucht. Daraufhin entzog ihm die Universität Kiel seinen Lehrauftrag – unter dem Vorwurf der angeblichen "journalistischen Scheinobjektivität", die darin bestand, "mit beiden Seiten zu sprechen". Die Kündigung erlangte zwar vor Gericht keinen Bestand, sagt aber viel über den aktuellen Zustand Deutschlands und seiner Medienlandschaft aus.

Die Hochschule hatte Baab noch während seines Aufenthalts im Donbass gekündigt. Anlass für diese Kündigung war ein diffamierender Bericht von Lars Wienand auf der Seite des Online-Mediums t-online, der namentlich auflistete, welche deutschen Staatsbürger sich im zeitlichen Umfeld der Referenden im Donbass aufhielten. Lars Wienand reiht sich mit seiner Denunziation ein in die Reihe jener Journalisten, die bereit sind, jeden aufklärerischen Anspruch von Journalisten zugunsten einer Überwachungsfunktion von Bürgern aufzugeben. 

Die Kieler Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft, an der Baab lehrte, reagierte innerhalb von Minuten (sic!) auf den Beitrag von Wienand: 

"Wir haben vor wenigen Minuten durch den Artikel 'Scheinreferendum, hurra' von Lars Wienand (t-online.de) erfahren, dass der freie Journalist Patrik Baab, der bereits mehrfach als Lehrbeauftragter für unsere Hochschule gearbeitet hat, als 'Wahlbeobachter' in der Ostukraine aufgetreten ist. Wir haben Herrn Baab, der sich aktuell in Donezk aufhält, sofort angerufen.
Hr. Baab hat uns mitgeteilt, dass er privat, ohne jeden staatlichen Auftrag irgendeiner Seite, in die russisch besetzten Gebiete gereist sei. Er wolle und müsse als Journalist mit beiden Seiten sprechen und neutral beobachten."

Trotz des Hinweises, dass Baab nicht als Wahlbeobachter tätig war und nicht im Auftrag handelte, kündigte die Hochschule ihm wegen seines Rechercheaufenthalts. Die Begründung liest sich wie ein Offenbarungseid. Die Hochschule schreibt unbeeindruckt von Baabs persönlicher Stellungnahme: 

"Wir haben Herrn Baab gegenüber unsere Fassungslosigkeit über dieses Verhalten geäußert. Wir haben ihm unseren Standpunkt verdeutlicht, dass schon seine reine Anwesenheit bei dieser Aktion, ob er wolle oder nicht, zwangsläufig zur Legitimation der in unseren Augen völkerrechtswidrigen und inhumanen Scheinreferenden, die Teil einer imperialistischen Politik und eines verbrecherischen Krieges sind, beiträgt. (...)
Wir distanzieren uns als Hochschule ausdrücklich von einem solchen Verhalten. Die journalistische Scheinobjektivität trägt hier u. E. zur Legitimation von Mord, Folter, Verstößen gegen die Humanität und das Völkerrecht bei. 
Wir haben Herrn Baab mitgeteilt, dass es mit den Grundprinzipien unserer Hochschule nicht vereinbar ist, ihn weiter als Lehrbeauftragten an unserer Hochschule einzusetzen."

Baab berichtet in dem Interview von seiner Reise in den Donbass und deren Folgen für ihn persönlich. Er berichtet auch davon, warum das Unabhängigkeits-Referendum seiner Meinung nach den Mehrheitswillen der Menschen widerspiegele, auch wenn es nicht den internationalen Standards freier und fairer Wahlen entsprach, und was – nicht nur angesichts seiner Erlebnisse – vom aktuellen deutschen Journalismus zu halten sei. 

Darüber hinaus widmen sich Preradovic und Baab in diesem Interview noch dem Phänomen, wie man in Deutschland auf die Idee kommen kann, Sachverhalte besser beurteilen zu wollen als jemand, der vor Ort recherchiert hat, und sich auf der Grundlage einseitiger Sichtweisen aus der Ferne zu derartigen Belehrungen und Diffamierungen aufzuschwingen, wie das unter anderem auf Basis der Denunziation durch Lars Wienand geschah.

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