Nach Wahlerfolg der Freien Wähler in Bayern: ZDF tritt nach – und verfehlt
"Wer uns als rechts betitelt, kennt uns nicht", heißt es im Vorschaubild der ZDFheute-Ausgabe "Der Aufstieg der Freien Wähler". Das Zitat aus dem Vorschaubild stammt von einem bayerischen Landwirt und Stadtrat der Freien Wähler.
Damit ist das inhaltliche Spannungsfeld der Sendung abgesteckt: Eine Redaktion des öffentlich-rechtlichen Rundfunks (ÖRR) begibt sich auf die Suche nach Rechten – sehr originell – und findet sie in diesem Fall in den Freien Wählern.
Das geschieht natürlich unter dem Deckmäntelchen des Journalismus. So heißt es bezeichnend im Beschreibungstext zur Sendung, die ZDF-Reporter wollten die Freien Wähler "kennenlernen" und "verstehen". Im ÖRR-Jargon heißt das freilich nichts anderes, als dass hier nach Schmutz gegraben wird. Dafür suchte man zehn Tage vor der Landtagswahl Rottenburg an der Laaber, den Heimatort Hubert Aiwangers, auf, fragt bei "politischen Beobachtern" (Plural) nach und holt sich Rat bei Die Wissenschaft™ ein.
Gefunden hat man offenbar nicht allzu viel. Weder erfährt man viel über die Freien Wähler noch wie rechts sie nun eigentlich sind. Oder hatte man diesen ZDF-Beitrag vielleicht anders geplant? Immerhin beteiligten sich auch die ÖRR-Medien wenige Wochen vor der Landtagswahl in Bayern an der medialen Hetzjagd gegen das Phantom des Flugblatt-Autors, hinter dem die Münchner Süddeutsche Zeitung (SZ) den Chef der Freien Wähler und Spitzenkandidaten in Bayern, Hubert Aiwanger, vermutete.
Reichlich übertriebene Dramaturgie
Nicht nur in München, die einzigen Wahlkreise, in denen die Grünen bei der Landtagswahl die Mehrheit erhielten, wollte man den Wechsel zu Schwarz-Grün, sondern mit Sicherheit auch in den Redaktionsstuben des ZDF. Der Plan der SZ, Aiwanger und seine Partei wenige Wochen vor der Wahl zu diskreditieren, hätte auch aufgehen können. Doch hatte man die Rechnung ohne das Bayerlein gemacht, das sich von der BRD-Presse nicht täuschen ließ. Auf die Antisemitismus-Vorwürfe reagierte Aiwanger souverän, nun darf er weiterregieren. Zupass kam ihm natürlich Söders Opportunismus, der rechtzeitig verstand, dass München nicht Bayern ist.
Beim ZDF versteht man das natürlich bis heute nicht und greift dafür gleich zu Beginn des Beitrags über die Freien Wähler zu reichlich übertriebener Dramaturgie. Zu den Bildern feiernder Anhänger der Freien Wähler wird das berühmte Stück "Lux Aeterna" aus dem Film "Requiem for a Dream" gespielt. Was an den Freien Wählern nun so schlimm ist, erfährt man nicht. Insgesamt bleibt der Eindruck, als habe man nach der missglückten Medienkampagne gegen Aiwanger einfach nachtreten wollen. Getroffen hat man allerdings nicht, und falls doch, dann höchstens sich selbst.
Denn wie unbedarft muss man sein, wenn man die Antworten, die der Landwirt in Rottenburg an der Laaber auf seinem Acker dem ZDF-Team gibt, für erklärungsbedürftig hält, obwohl sie so selbstverständlich sind: Die Politik der Altparteien ist abgehoben, es gibt eine Schere zwischen Stadt und Land, "und darum die Freien Wähler". Punkt. Doch kein Sachverhalt kann zu banal und zu offen auf der Hand liegen, als dass ÖRR-Journalisten nicht Die Wissenschaft™ befragen würden.
Eine Professorin der Universität der Bundeswehr München darf daher bestätigen: Ja, es gibt eine Konfliktlinie Zentrum – Peripherie, und die Freien Wähler verorten sich politisch an der Peripherie, dem ländlichen Raum. Die erste große Überraschung: Eine Partei orientiert sich am Potenzial ihrer Wähler. Die Strategie der Freien Wähler bestehe nun darin, so die Professorin weiter, stark auf ihren Spitzenkandidaten, Hubert Aiwanger, zu setzen. Das fand die Professorin mithilfe eines Teams aus Informatikern und Politikwissenschaftlern heraus, das die Plattform X (vormals Twitter) "in Echtzeit" untersuchte. Die zweite große Überraschung: Eine Partei setzt im Wahlkampf auf ihren Spitzenkandidaten.
Wer sind die Freien Wähler?
Dann schlägt die Stunde der in der Mehrzahl angekündigten "politischen Beobachter", die sich jedoch als der ZDF-Kollege Alexander Poel herausstellen. Auf die Frage, ob Poel es für möglich gehalten habe, dass die CSU mit den Freien Wählern einmal koalieren würde, folgt die dritte große Überraschung: Die CSU und die Freien Wähler seien eigentlich Konkurrenten, so Poel. Die CSU habe den Slogan "Näher bei den Menschen" (sic!). Aiwanger habe immer näher an den Menschen sein wollen als die CSU.
Wann immer es irgendein Bürgerbegehren gab, sei Aiwanger hingefahren und habe sich mit diesem Bürgerbegehren solidarisiert, fährt Poel fort, und dem Ton nach scheint das nichts Gutes zu sein. Doch wer sind denn nun die Freien Wähler, fragen die ZDF-Reporter den Stammtisch der Partei in Rottenburg an der Laaber. "Da sitzen sie", lautet die Antwort mit Verweis auf die gemütliche Tischrunde, vor sich je ein Bier und im Gesicht ein unsicheres Lächeln.
Und wie sind die Freien Wähler? "So wie wir." Mehr erfährt man von ZDFheute nicht, obwohl man angeblich den ganzen Abend mit den Lokalpolitikern zu Tische saß. Politische Ziele? Fehlanzeige. Es geht zurück zur Professorin. Die behauptet, dass Aiwanger eine wichtige Rolle in der Partei spiele, das aber "wahrscheinlich" nicht allen in der Partei schmecke. Belege? Erneut Fehlanzeige. Die sogenannte Flugblatt-Affäre wird ausgepackt, die immer noch an Aiwanger "klebt". Der Vorwurf: "antisemitische Hetze". Die Erwähnung, dass das Flugblatt, wie schon lange bekannt ist, aus der Feder von Aiwangers Bruder stammte? Ein drittes Mal: Fehlanzeige.
Und dann sei da noch Erding gewesen, raunt es im Kommentar, als Tausende gegen das Heizungsgesetz der Ampel demonstrierten. Aiwanger sagte damals in seiner Rede, jetzt sei der Punkt erreicht, wo die schweigende große Mehrheit dieses Landes sich die Demokratie wieder zurückholen müsse. ZDF-Kollege Poel sei es damals kalt den Rücken runtergelaufen. Aiwanger spiele mit den Ängsten und der Verunsicherung der Menschen, so der politische Beobachter, so Poel. Das seien Dinge, die ihn "so ein bisschen an die Weimarer Zeit erinnern".
Freie Wähler sprechen aus, was Normalbürger denken
Zurück zum Stammtisch. Ist Aiwanger womöglich ein Populist? Die Freien Wähler finden, dass der Begriff zu Aiwanger nicht passe, es sei denn, man lege ihm Bürgernähe als Populismus aus. Und genau darum geht es: Wer dem Volk zu sehr aufs Maul schaut, ist der BRD-Presse verdächtig – und womöglich rechts? Auch diesem Vorwurf widersprechen die Freien Wähler in Rottenburg. Man sei nicht rechts, sondern spreche manche Dinge aus, die dem Normalbürger auf den Fingernägeln brennen. Wer die Freien Wähler als rechts betitele, der kenne sie nicht. Oder kennen sich die Freien Wähler womöglich selbst nicht?
Für die Experten liegt die Sache eindeutig. Die Freien Wähler haben sich völlig klar als Partei rechts der CSU etabliert, lautet das Urteil von Poel, neben der AfD. Für die Professorin seien die Freien Wähler wirtschaftspolitisch liberal, "also rechts der Mitte", und gesellschaftspolitisch seien sie "so ein bisschen traditioneller".
Dann ist in Bayern der Tag der Wahl. Die Freien Wähler in Rottenburg an der Laaber sind zufrieden mit der Hochrechnung am späten Abend. Sie konnten mehrere Prozentpunkte zulegen und sind nun zweitstärkste Kraft in Bayern. Die Dramaturgie von ZDFheute kehrt zu ihrem Anfang zurück: feiernde Anhänger der Freien Wähler, Aiwanger, Lux Aeterna. Der abschließende Kommentar ist unheilvoll: Aiwangers Ambitionen gehen "über die bayerischen Landesgrenzen hinaus". Beleg? Fehlanzeige.
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