Asylzahlen: Bundesamt für Migration schreibt Brandbrief an Chefin Faeser
"Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) scheint angesichts der steigenden Zugangszahlen an seine Belastungsgrenze gestoßen zu sein", so die als Mutmaßung formulierte Realität seitens der ARD-Tagesschau Anfang Oktober. Das BAMF gab in einer Mitteilung bekannt, dass die Zahlenwerte des Vorjahres bereits überschritten sind. Die Bild-Zeitung berichtete gut vier Wochen später über einen vorliegenden Brandbrief des BAMF-Leiters Hans-Eckhard Sommer. Der Inhalt gerät damit wenige Tage vor dem Treffen mit seiner Chefin, der Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD), an die Öffentlichkeit. In dem Brief ist zu lesen, dass "die Asyl-Lage noch viel schlimmer als angenommen" ist. Laut Bild habe Sommer festgestellt:
"Landes- und Bundesbehörden halten der Migrationswelle nicht mehr stand, schaffen die Registrierung nicht. Die Asyl-Zahlen sind höher als offiziell ausgewiesen!"
Die Gesamtsituation im Land sei "äußerst kritisch". Als Beleg für die gewählte Formulierung heißt es aus dem Brief zitierend, dass in den Monaten September bis November 2023 das BAMF "jeweils zwischen 31.000 und 33.000 Asylgesuche (Erstregistrierungen)" dokumentierte. Insgesamt wurden damit offiziell 244.000 Asylanträge in diesem Jahr gestellt, darunter 218.000 Erstanträge. Weiter heiße es an Ministerin Faeser wörtlich laut Bild-Wiedergabe von Sommers Darlegungen:
"Aber selbst diese Zahlen geben den tatsächlichen Asylzugang nicht wieder, da die Länder mittlerweile erhebliche Registrierungsrückstände haben, sodass wir es tatsächlich im September mit rund 50.000 und im Oktober mit rund 55.000 Zugängen zu tun hatten."
Die Realität zeige nun, dass bereits mit Stand Ende Oktober die genaue Zahl bei 280.000 Anträgen lag, darunter 267.000 Erstanträge. Zusammenfassend laut Brief:
"280.000 – statt der offiziellen 244.000 Asylanträge. Davon 267.000 Erstanträge – und nicht die offiziellen 218.000!"
Dies entspräche einer Differenz "allein bei den Erstanträgen von 49.000". Sommer erläutert diesbezüglich, dass das Amt "den eingeleiteten Abbau der Asylverfahren nicht fortsetzen konnte". Die Realzahl "der anhängigen Asylverfahren stieg auf 136.000 an". Sommer konfrontiert Ministerin Faeser mit der daraus resultierenden Prognose:
"Bis zum Ende des Jahres muss mit einem Asylzugang von 350.000 oder sogar darüber hinaus gerechnet werden."
Der BAMF-Leiter monierte in dem Brief des Weiteren fehlende Finanzierungsmöglichkeiten seiner Behörde. So würden allein für die Gewährleistung einer Umsetzung der Jahre 2023/24 "knapp 245 Millionen Euro für Personal und Computertechnik" fehlen. Das BAMF beklage auch Personalmangel. So müssten rund 2.000 (Leih-)Mitarbeiter zusätzlich eingestellt werden", um die Arbeit ansatzweise zu bewältigen. Sommer informierte Faeser:
"Ich muss daher darauf hinweisen, dass die im Haushaltsentwurf für das Jahr 2024 vorgesehen Mittel und Stellen in keiner Weise ausreichen, den auch im nächsten Jahr voraussichtlich hohen Asylzugang zu bewältigen, geschweige denn einen Abbau der anhängigen Verfahren zu ermöglichen."
Die Personalkosten hätten eine Größenordnung von 76 Millionen Euro angenommen. Zum Thema medial-gesellschaftlicher Wahrnehmungen und Diskussionen heißt es in dem Brief:
"Mittlerweile bin ich aber zu dem Schluss gekommen, dass es politisch untunlich ist, diese Mehrbedarfsforderung für den Asylbereich weiter zu verfolgen. Denn dadurch würde zum Ausdruck gebracht, dass die Bundesregierung von einem dauerhaften Asylzuggang in dieser Größenordnung ausgeht …"
Jedoch würde eine Reduzierung "des Mitteleinsatzes für IT-Dienstleistungen" den Dienstbetrieb und die "Erfüllung der Kernaufgaben des Bundesamts gefährden". Bezugnehmend der im Brief genannten Bedarfsgelder erfährt Ministerin Faeser final, dass die "erheblichen Mehrbedarfe (…) bei Integrationskursen, Erstorientierungskursen, Migrationsberatung für Erwachsene und Asylverfahrensberatung" dabei noch nicht einmal berücksichtigt worden sind.
Der Inhalt belegt, dass die jüngst beim Bund-Länder-Gipfel erarbeiteten und verkündeten Maßnahmen – laut Scholz: "ein sehr historischer Moment" – sich weit entfernt von den realen Problemen präsentieren. Die epochale Diskrepanz zwischen nüchterner Realität und reinem Wunschdenken des politischen Berlins – "die Asylverfahren müssen schneller gehen" – erfährt damit eine mehr als bedenkliche Bestätigung. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung veröffentlichte am 8. November: "Die Gesamtzahl der Asylanträge im laufenden Jahr liegt inzwischen nicht nur über dem Vorjahr, sondern summiert sich auf den höchsten Wert seit 2016."
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