"Olaf, wo sind deine Legionen?" – Militärhistoriker vermisst deutsche Kriegstüchtigkeit
Die politisch-mediale Vorbereitung der deutschen Öffentlichkeit auf einen größeren Krieg mit Russland geht weiter. Sönke Neitzel, Militärhistoriker an der Universität Potsdam, hat sich – wieder einmal – für eine verstärkte Unterstützung der Regierung in Kiew und für eine Aufrüstung der Bundeswehr ausgesprochen.
Im Interview mit dem zur SPD-nahen Madsack-Mediengruppe gehörenden RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) schlug der Professor bei der Beschreibung des Zustandes der Bundeswehr auch alarmistische Töne an. Bei einer Niederlage der Ukraine und einen Wahlsieg von Donald Trump in den USA könne Russland versuchen, die Verteidigungsbereitschaft der NATO auszutesten. Dann müsse die Bundeswehr Litauen verteidigen:
"Anschließend würden die Russen mal die 30 Kilometer von der weißrussischen Grenze bis nach Vilnius marschieren, um zu sehen: Was macht der Westen? Wer will das ausschließen! Deshalb muss die Bundeswehr mit ihren Soldaten in Litauen kriegstüchtig sein. Und da ist noch viel zu tun. Das Land wird derzeit – überspitzt formuliert – von 16 deutschen Leopard-2-Panzern verteidigt. Die Litauer haben keine Panzer."
Die Frage, ob die Truppe überhaupt dazu in der Lage sei, verneint der Professor:
"Sie würde natürlich kämpfen, aber könnte momentan wohl nur beweisen, dass sie mit Anstand zu sterben versteht. Die Franzosen sind im Übrigen ähnlich blank wie wir, die Italiener ebenfalls. Umso wichtiger ist die Antwort auf die Frage: Olaf, wo sind deine Legionen? Fest steht: In allen vier Bereichen – Strukturen, Rüstung, Personal und Mindset – ist bei der Bundeswehr noch reichlich Luft nach oben."
Man benötige grundlegende Reformen und tatsächliche Veränderungen:
"Ja, Boris Pistorius’ Wort von der 'Kriegstüchtigkeit' ist wichtig. Aber sagen Sie mir doch mal, wo der normale Soldat in Hagenow oder Oberviechtach bisher Veränderungen spürt. Sie machen nicht mehr Sport, sie üben etwas mehr, sie haben nicht mehr Munition. Wir müssen Tempo aufnehmen."
Neitzel, der während seines Wehrdienstes bei der Bundeswehr in den Achtzigern für eine Tankstelle im Hunsrück zuständig war, fordert auch bei den Waffenlieferungen an Kiew mehr "Tempo" und weniger Skrupel. Ängste vor einer militärischen Eskalation halte er für nicht plausibel. Das Zögern der Bundesregierung bei der Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern kritisiert der Professor deutlich:
"Ich glaube, dahinter steckt eine Eskalationsangst, die ich aber für nicht plausibel halte. Zudem sagt Olaf Scholz immer, wir liefern keine Waffen, die die Amerikaner nicht auch geliefert haben. Schließlich sitzt er jetzt so hoch auf dem Baum, dass er davon gar nicht wieder ohne Gesichtsverlust runterkommt."
Laut einer INSA-Umfrage, die das Springerblatt Bild vor wenigen Tagen veröffentlichte, fürchten sich 46 Prozent der Deutschen vor einem russischen Angriff, 44 Prozent dagegen nicht. Angesichts der Intensität der seit Wochen verbreiteten Warnungen vor einem angeblich drohenden Angriff durch Russland wirkt dieser Wert noch vergleichsweise moderat.
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