Migration: Statt über die Grenzen sollten wir über Verantwortung reden
Von Dagmar Henn
Das ganze Thema der Migration wird in Deutschland immer sehr ideologisch behandelt. Wer immer gegen offene Grenzen ist, ist ein Rassist, oder anders herum, wer dafür ist, will die Gesellschaft zerstören. Keine dieser beiden Sichtweisen ändert etwas an den bereits bestehenden Zuständen; aber es geschieht noch etwas anderes – diese Art der Debatte lenkt völlig von der Verantwortung der Politiker ab, die über den Umgang mit den Folgen zu entscheiden haben.
Tatsächlich wird nämlich auch von den Freunden der offenen Grenzen so getan, als sei die ganze Frage in dem Moment erledigt, wo jemand deutschen Boden betritt. Der Rest ist dann eine Gelegenheit für ganz viele Geschäfte, wie bei der Vermietung von Unterkünften, oder bei staatlich finanzierten Kursen. Aber die letztlich entscheidenden Fragen, ob die Menschen eine Wohnung finden oder eine Arbeit, das regelt dann einfach der Markt.
Eigentlich wäre allein die Tatsache, dass ein großer Teil der 2015 ins Land Gelassenen immer noch in Notunterkünften haust, Grund, jeder Bundesregierung zu verbieten, weitere Menschen hereinzulassen, ehe sie sich angemessen um jene gekümmert hat, die schon da sind. Es ist genau das, das Sich Kümmern um jene die da sind, Deutsche oder Migranten, das schlicht überhaupt nicht stattfindet. Das und nichts anderes wäre aber eigentlich die Aufgabe der Politik (sofern wir uns nicht gleich auf die Sicht festlegen, dass die heutige deutsche Politik nur daran interessiert ist, noch ein paar Milliarden zu den Milliardären zu schieben).
Um wirklich zu verstehen, welche Mischung aus Bestialität und Dummheit den deutschen Umgang mit Migration prägt, muss man nur einmal so tun, als würde man die Behauptungen, warum das alles gut sein soll, ernst nehmen. Tun wir einmal so, als beruhte der stetig beklagte "Fachkräftemangel" nicht auf einem Mangel an Ausbildungswillen seitens der Konzerne und auf einer Abneigung, vernünftige Löhne zu zahlen (dass bei kleineren Handwerkern oft tatsächlich nicht mehr möglich ist, ist letztlich auch eine Folge dessen, dass in den Kernbereichen die Einkommen zu niedrig sind). Was müsste getan werden, um aus einer relativ großen Gruppe von vielfach Analphabeten, jung, männlich, aber in einer sehr rückständigen Umgebung sozialisiert, derartige Fachkräfte zu machen?
Ein Artikel im Focus über die Probleme schwäbischer Berufsschulen zeigt recht deutlich, wie es nicht geht.
"Die sechs Berufsschulen im Landkreis Ludwigsburg haben ein massives Problem: Sie sind mit der Beschulung junger Flüchtlinge zwischen 15 und 18 Jahren, die keine oder kaum deutsche Sprachkenntnisse haben, überfordert und können dieser Pflichtaufgabe kaum noch nachkommen."
Ja, sobald theoretisch die Altersgrenze erreicht wird, mit der die Hauptschule abgeschlossen wird, sind die Berufsschulen für diese Jugendlichen zuständig, und dürfen sie in Berufsvorbereitungskursen verwahren. Und die Berufsschulen klagen darüber, nicht nur keine Räume zu haben, sondern auch keine Deutschlehrer zu finden. Die Jugendlichen selbst haben teilweise gar keine Schulbildung, auch nicht in ihrer Muttersprache…
Das ist der Zustand im Jahr 2024. Die erste Flüchtlingswelle mit einem höheren Anteil an Analphabeten kam 2015, es ist also nicht möglich, zu behaupten, man sei von dem Problem überrascht. Und die deutsche Politik hat sich ungeheuer gefeiert für die Integrationskurse, die zumindest die Möglichkeit bieten, Deutsch zu lernen, auch wenn dabei die Gewinnerzielungsmöglichkeit für die Anbieter im Vordergrund stand. Kurse, die ein Vierteljahrhundert zuvor, als es vor allem gut Gebildete waren, die kamen, sinnvoll gewesen wären. Entspricht das dem, was getan werden müsste, um aus den Menschen, die jetzt hier ankommen, besagte Fachkräfte zu machen?
Das erste, was offen eingestanden werden müsste, ist, dass es wesentlich teurer ist, aus einem afghanischen Analphabeten einen, sagen wir einmal, Mechatroniker zu machen als aus einem in Deutschland aufgewachsenen Jugendlichen mit Migrationshintergrund. Selbst, wenn dieser am Hauptschulabschluss gescheitert ist. Weil nicht nur die Menge des erforderlichen Wissens enorm ist, sondern auch ganz gewöhnliche Anpassungsprozesse an eine industrielle Gesellschaft bei Letzterem längst stattgefunden haben.
Wenn in dem Bericht im Focus steht, dass diese Jugendlichen schon Schwierigkeiten mit Pünktlichkeit haben – in einer Umgebung, die beispielsweise auf Subsistenzlandwirtschaft beruht, spielt die Tageszeit nur begrenzt eine Rolle. Was man allerdings ungern zur Kenntnis nimmt, ist die Tatsache, dass auch die Mitteleuropäer sich an derartige Vorgaben nur aus einem Grund gewöhnten – weil sie dazu gezwungen wurden. In den Fabriken des 19. Jahrhunderts, die ihre Arbeitskräfte noch mit Sirenen herbeiriefen, waren die Strafen für versäumte Arbeitszeiten beträchtlich. Über hundert Jahre später sind sich die Menschen, die zwischen Eisenbahn und Stechuhr aufgewachsen sind, gar nicht mehr bewusst, wie groß dieser Zwang war, denn die Gewöhnung an feste Zeitabläufe beginnt bereits im Kindergarten. Aber schon an diesem Punkt wird klar, dass derartige Anforderungen nicht mit Händchenhalten zu haben sind.
Technisch betrachtet sind derartige Klassen, wie sie an den beschriebenen Berufsschulen bestehen, Vergeudung. Wäre das ernsthafte Ziel wirklich diese Gewinnung von Fachkräften, es wäre weit zweckmäßiger, die Menschen nach Muttersprache zu sortieren, entsprechend unterzubringen, und dann den Deutschunterricht und den Unterricht von, sagen wir, Mathematik zumindest anfänglich zu trennen, und die nichtsprachlichen Kenntnisse so weit irgend möglich in der Muttersprache zu unterrichten. Das ist jedenfalls weitaus effizienter, als mehrere Jahre lang Informationen in einer Sprache vorzubeten, die nicht verstanden wird. Ja, und wenn man wirklich auf Effizienz aus wäre, müsste das Ganze in einer Art Internat stattfinden, das vollständig entsprechenden Regeln unterworfen wird, die den gesamten Tagesablauf strukturieren, und nicht als Nebenprogramm zum Aufenthalt in einer Notunterkunft laufen, die für alle Insassen, auch deutsche, nur ein Symbol der Missachtung ist.
Natürlich, das ist nur ein Aspekt. Aber das Auffällige ist, dass derartige Überlegungen überhaupt nicht stattfinden. Als hätte man von nichts eine Ahnung, als redeten wir hier von Naturereignissen, die sich menschlicher Einflussnahme entziehen. Die erste Reaktion 2015 hätte der Start eines großen Neubauprogramms sein müssen, wäre es wirklich um die Menschen gegangen, die Einheimischen wie die Zugewanderten. Das wäre auf Probleme gestoßen, weil das qualifizierte Personal fehlt, aber spätestens nach drei Jahren, also 2018, hätte so etwas starten können. Aber das hätte ja die schönen Mietsteigerungen ruiniert, von denen seitdem der wohlhabendste Teil der Bevölkerung profitieren konnte… und die Betreiber all der Unterkünfte hätten ebenfalls nicht mehr ein Heidengeld für eine Menschenabstellgelegenheit beziehen können, und…
Wenn man ganz naiv davon ausgeht, dass eine Regierung, gleich ob Bund oder Land, sich den im Land lebenden Menschen verpflichtet fühlt, dann hätte man den einen oder anderen Gedanken auf derartige Fragen verschwenden müssen. Auch über staatlich organisierte Berufsausbildungen nachdenken, beispielsweise. Und eventuell auch darüber, welche Berufe für eine spätere Rückkehr nützlich sind. In Wirklichkeit wollen nämlich viele sich eigentlich nur die Taschen mit Geld füllen und dann wieder zurück – eine Fantasie, oder angesichts des sinkenden Lebensstandards auch in Deutschland schon eher eine Wahnvorstellung; aber auf eine vernünftige Perspektive, von einem Handwerk zu leben, würden sich die meisten einlassen. Das ist ein Bereich, in dem Deutschland tatsächlich viel zu geben hat, und eine Variante, die letztlich dann auch den Herkunftsländern hilft.
Aber auch das ist in der deutschen Debatte tabu, weil so getan werden muss, als wäre der Wunsch, in Deutschland so zu leben wie die Deutschen (nicht wie die realen, sondern jene aus der Werbung), vernünftig, oder, mehr noch, absolut natürlich. Statt dafür zu sorgen, dass die irrealen Vorstellungen pubertierender Jugendlicher auf reale Ziele kanalisiert werden, und gleichzeitig die erforderlichen Investitionen zu tätigen, um auch das zu erhalten, was man angeblich von der Migration erwartet, wird eigentlich praktisch eher gar nichts getan. Das Problem, dass es selbst an den Grundschulen kaum Lehrer gibt, die gelernt haben, wie man eine Klasse in Deutsch unterrichtet, die es nicht spricht, war schon lange vor 2015 bekannt und in vielen Großstädten bereits akut. Die praktischen Konsequenzen? Gar keine.
Man kann sich gerne grundsätzlich über die Frage streiten, ob man massenhafte Migration begrüßt oder nicht. Aber genauso sehr sollte man einen sehr genauen Blick darauf werfen, ob und inwieweit die praktischen Fragen überhaupt angegangen werden. Denn – auch wenn das im Moment nicht danach aussieht – ob die Grenzen offen sind oder nicht, oder wenn ja, wie weit, das ist letztlich ein Punkt, den die Bürger entscheiden müssen. Wie man die Probleme löst, die aus dieser Entscheidung entstehen, das ist die Aufgabe der Politiker. Seit mehr als einem Jahrzehnt sind sie in Deutschland damit davongekommen, wild über die Entscheidung zu debattieren, die nicht die ihre ist, und bei der Erfüllung der Aufgabe, die wirklich die ihre ist, völlig die Hände in den Schoß zu legen.
Es ist nicht die Gesellschaft, die die Integration verbockt, soweit sie möglich ist. Es ist die Politik, die – neoliberal verseucht wie sie ist – meint, Laissez-Faire sei im Grunde die Antwort auf alles, und alles, was sich nicht irgendwo durch die unsichtbare Hand von alleine löst, sei hinzunehmen. Das ist es nicht. Die zunehmenden Messerstechereien auf deutschen Straßen sind ebenso wie die zunehmende Wohnungslosigkeit, der Zusammenbruch des Gesundheitssystems und die verfallende Infrastruktur das Produkt von bald zwei Generationen absolut verantwortungsloser Politik. Aber wie sagte Außenpolitikerin Annalena Baerbock jüngst so schön? Die Ukraine ist das "größte nationale Interesse".
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