Schlammschlacht 2.0: Die "Querfront"-Kampagne gegen die Friedensbewegung
Jens Wernicke: Frau McClean, Sie sind als Künstlerin und freie Autorin in der Friedensbewegung aktiv. Wie schätzen Sie und wie schätzt man in der Bewegung denn die Lage zum Thema Krieg und Frieden ein? Wie ist es diesbezüglich um die Welt im Moment bestellt?
Katrin McClean: Ein langjähriger Aktivist aus der bundesdeutschen Friedensbewegung sagte mal zu mir: Seit dem Jugoslawienkrieg 1999 sei die deutsche Friedensbewegung praktisch ausgeschaltet. Ein letztes Aufbäumen in Form von großen Demonstrationen gab es noch einmal gegen die Invasion der USA im Irak 2003. Bis 2014 ist dann aber nicht mehr viel passiert. Und das, obwohl es in den letzten Jahren immer mehr Kriege auf dieser Erde gibt, die fast alle unter Beteiligung der NATO-Länder, insbesondere der USA stattfinden.
Das Schwierige ist, dass sich die Art der Kriegsführung ändert. Anstelle offener Angriffskriege überwiegt die militärische Einmischung in vorhandene Konflikte, das fängt schon bei Waffenlieferungen in Krisengebiete an, die früher ein Tabu waren und geht mit sogenannten “militärischen Interventionen” weiter. Unsere Medien propagieren humanitäre Gründe und helfen, die wahren Interessen der westlichen Kriegsführung zu verschleiern. Doch spätestens im Fall von Libyen, das nach dem Sturz Gaddafis im Bürgerkriegschaos versinkt, wird diese Heuchelei offensichtlich. Und mit der Ukraine-Krise und der einhergehenden antirussischen Propaganda wird der aggressive Kurs der NATO für immer mehr Menschen spürbar.
Insofern: Die Lage ist gut und schlecht zugleich. Gut, weil immer mehr Menschen Unbehagen empfinden. Schlecht, weil es Politik und Medien in den letzten Jahren mit einem regelrechten „Krieg um die Köpfe“ gelungen ist, militärische Angriffe und Einmischungen zunehmend human erscheinen zu lassen. Besonders gefährlich finde ich den verstärkten Hang zur Emotionalisierung und das Schüren von Feindbildern, sei es die Angst vorm Islam oder das Feindbild Russland bzw. „Putin“. Bei letzterem fühlen sich viele Menschen zu Recht an Zeiten des Kalten Krieges erinnert.
Jens Wernicke: Und wie geht die Friedensbewegung damit um? Wirklich viele Aktionen sieht man trotz des steigenden Unbills in der Bevölkerung ja nicht in der Öffentlichkeit…
Katrin McClean: Die Lage hat Anfang 2014 die Leute auf die Straße getrieben. So entstanden die Montagsmahnwachen für den Frieden. Sie protestierten nicht nur gegen einzelne Kriege, sondern kritisierten auch das globale Bankensystem als Herrschaftsinstrument oder die Konsumgesellschaft der Industrieländer, die zur Ausbeutung menschlicher und natürlicher Ressourcen weltweit führt. Das ist meiner Meinung nach auch richtig. Die militärische Übermacht der NATO-Länder und ihre wirtschaftliche Übermacht im globalen System gehören ja zusammen.
Viele Besucher der Mahnwachen waren noch relativ jung und sprachen diese Themen und Probleme quasi „aus dem Bauch heraus“ am offenen Mikrofon an. Man spürte ein großes Bedürfnis danach, die Sorge um den Frieden mit anderen zu teilen.
In Spitzenzeiten gab es über hundert Friedensmahnwachen in Deutschland. Die erste bundesweite Mahnwache brachte es im Juli 2014 in Berlin auf immerhin 7.000 Teilnehmer. Dass man in der Öffentlichkeit wenig davon bemerkt hat, lag daran, dass die Medien so gut wie gar nicht darüber berichteten, und wenn, dann taten sie das sehr diffamierend.
In der traditionellen Friedensbewegung aber war man darauf aufmerksam geworden. Einige gingen auf den politischen „Nachwuchs“ zu. Es kam zu verschiedenen örtlichen Kooperationen und schließlich wurde eine bundesweite Aktionsphase beschlossen, der „Friedenswinter“, der mit einem ersten Aktionswochenende am 12. und 13. Dezember in mehreren Städten ganz erfolgreich begann.
Gegen diesen Zusammenschluss gab es allerdings heftigen Gegenwind in den Medien. Allerdings nicht auf breiter Ebene. In der Tagesschau hat man nie etwas vom „Friedenswinter“ mitbekommen. Aber dort, wo eine eher linke Öffentlichkeit liest, erschienen sehr diffamierende Artikel über den Friedenswinter, etwa beim Spiegel und leider auch mehrmals bei der TAZ. Man musste den Eindruck bekommen, dass das linke Protestpotential gezielt angesprochen und von einer Teilnahme abgehalten werden sollte.
Jens Wernicke: Diffamierung mit der Absicht einer gezielten Spaltung? Inwiefern denn das? Mir ist – durch die Medien – nur zu Ohren gelangt, dass viele Rechte und Faschisten auf diesen Mahnwachen gewesen sind. Was dann natürlich die Kritik progressiver Kräfte nach sich zieht und ziehen muss…
Katrin McClean: Also erst einmal, laut einer Studie waren etwa die Hälfte der Teilnehmer der Mahnwachen Leute, die links gewählt haben. Darüber hinaus sehr viele Nichtwähler und Anhänger von CDU oder AfD. Letztere war damals noch für ihre Kritik am Euro populär. Wenn man mit „Rechten“ Leute meint, die rechts wählen, muss man sagen: Ja, die waren dabei. Na, und? Das sind gesetzlich legitimierte Parteien.
Friedensdemonstrationen fordern ein Grundrecht des Menschen ein, das Recht auf Leben. Mir war bisher nicht bekannt, dass Menschen, die CDU wählen, ein vermindertes Überlebensrecht hätten bzw. keine Legitimation, ihre Empörung über Kriege und ihr Mitgefühl mit deren Opfer auf die Straße zu tragen. Eine Friedensdemonstration ist doch kein Parteitag der Linken!
Außerdem bin ich immer wieder erstaunt über die Assoziationskette vieler Menschen, die sich als links verstehen und ständig so tun, als befände sich jemand, der „rechts“ einzuordnen sei auf der Vorstufe zum Faschisten. Das ist eine enorme Beleidigung für viele engagierte Kriegsgegner aus dem konservativen Lager.
Diese pauschale Abwertung erinnert mich an finsterste DDR-Zeiten, als man der Bevölkerung den Zugang zur „bürgerlichen“ Kultur verwehren wollte. Ich bin 1989 auf die Straße gegangen, weil ich eine solche Demagogie nicht länger ertragen wollte. Und nun begegnet sie mir in der Friedensbewegung wieder. Da muss ich mich schon fragen, wer ist hier eigentlich progressiv?
Jens Wernicke: Könnten Sie, damit ich es besser verstehe, vielleicht ein, zwei konkrete Beispiele nennen, wer hier wann wie diffamiert, also verleumdet worden ist? Und vor allem: durch wen und wodurch?
Katrin McClean: Der Diffamierungsmechanismus läuft fast immer über ähnliche unzulässige Kurzschlüsse wie „konservativ ist gleich rechtsextrem“. So ist dann Kritik an der Besatzungspolitik Israels gleich Antisemitismus. Und auch Kritik am internationalen Bankensystem ist angeblich Antisemitismus. Letzteres wurde ja von Jutta Ditfurth auf einer Couch des öffentlich-rechtlichen Fernsehens mit der Logik erklärt: Antisemiten in Deutschland umgehen das Verbot des offenen Antisemitismus, indem sie anstelle von Juden die internationale Finanzoligarchie kritisieren. Die einstige Mitbegründerin der Grünen hat sich in letzter Zeit leider zu einer Hauptvertreterin der Diffamierungskampagne gegen die Friedensbewegung entwickelt, die sie pauschal als „neurechts“ bezeichnet. Doch ihre Argumentation ist absurd. Überlegen Sie mal, wie viele solide Autoren in Leitmeiden wie Spiegel oder Focus das Wirken der FED, der EZB oder der Hedgefonds als Ursache für den Ausbruch der Finanzkrise kritisieren. Das müssten nach dieser Definition ja alles Antisemiten sein. Besonders katastrophal an dieser Argumentation finde ich, dass man sich hier eben jener Gleichsetzung bedient, die aus dem dritten Reich stammt, wonach alle Juden dieser Welt für die Entstehung der Macht des Finanzkapitals verantwortlich gemacht wurden. Das heißt, Jutta Ditfurth und andere zerren hier nationalsozialistisches Gedankengut in die Debatte, um es dann ihren politischen Gegnern, die bei Finanzkapitalismus auch Finanzkapitalismus und nicht etwa Judentum meinen, anzudichten. Das ist absichtlicher Rufmord. Und es ist üble Demagogie, die Kritik der bestehenden Verhältnisse zu verhindern sucht, denn so könnte man ja über jede Kapitalismuskritik behaupten, dass das in Wahrheit doch getarnter Judenhass sei.
Und dann gibt es natürlich noch die beiden Diffamierungsbegriffe „anti-amerikanisch“ und „Verschwörungstheoretiker“, letzterer übrigens aus dem Arsenal der psychologischen Kriegsführung. Hier steht der Friedensaktivist von heute vor einem großen Problem. Die USA verfügen fast über die Hälfte des weltweiten Militärbudgets und sind Führungsmacht der NATO. Als Friedensaktivist kommt man gar nicht umhin, gegen die US-amerikanische Außenpolitik zu protestieren. So wenig, wie man umhin kommt, die offizielle 9/11 Version zu hinterfragen. Diese offizielle Version galt als Begründung dafür, dass sich die USA in eine sogenannte „Verteidigungsposition“ setzen konnten. In den darauf folgenden Kriegen im Nahen und Mittleren Osten mussten bereits weit über eine Million Menschen sterben. Und noch immer wird im Zweifelsfall auf diesen Verteidigungsstatus gepocht. Solange es also Zweifel an der offiziellen Regierungsdarstellung gibt, und die gibt es nun einmal zuhauf, müssen diese auch geprüft und muss ihnen nachgegangen werden.
Kurzum, wer sich heute für friedenspolitische Themen einsetzen will, kommt an bestimmten Diffamierungsvorwürfen gar nicht vorbei. Denn wie bitte soll man sich heutzutage für eine bessere, friedliche Welt einsetzen, wenn Kapitalismuskritik als Antisemitismus und Kritik am weltweit größten Kriegstreiber als Antiamerikanismus bezeichnet wird. Und wenn jeder, der die lückenlose Aufklärung des größten Terroraktes aller Zeiten fordert, als Verschwörungstheoretiker und Spinner verpönt wird.
Jens Wernicke: Und wen hat es da beispielsweise getroffen – und vor allem: Wer sind diese Verleumder denn?
Katrin McClean: Das Problem ist doch folgendes: Die Kritik an der militärischen Machtpolitik der US-Administration, aber auch an der Politik einer globalen Wirtschaftselite, die sich nun mal in den USA konzentriert, muss in der Regel differenziert ausfallen. Aufklärung hat ja auch etwas mit Nachdenken zu tun. Die Kritiker dieser Aufklärung arbeiten dagegen mit enormer Vereinfachung. Da wird dann zum Beispiel aus einer ausführlichen Darstellung der Geschichte der FED eine „antisemitische Suada“.
Und da kann man sagen: Diejenigen, die sich am stärksten um die Aufklärung der globalen Machtausübung des Westens bemühen, sind auch am stärksten von den Shitstorms der sogenannten „Querfront-Gegner“ betroffen. Insbesondere, wenn die hegemoniale Machtpolitik aus den USA kritisiert wird, werden entsprechende Publizisten, Autoren und Künstler an den Gesinnungspranger gestellt. Hier darf man wohl als erstes Ken Jebsen nennen, der ja sowas wie eine mediale Instanz für den jüngeren Teil der Friedensbewegung geworden ist.
Gebetsmühlenartig wiederholen seine Gegner, dass er von Henryk M. Broder zum Antisemiten erklärt wurde. Nun wissen wir alle, wie leichtfertig Herr Broder mit solchen Anschuldigungen um sich wirft. Wer die Online-Sendungen von KenFM anschaut, kann sich allerdings schnell davon überzeugen, dass er mitnichten von irgendwelchen antisemitischen Botschaften beseelt ist. Sein Hauptwerk besteht darin, offizielle Medienberichte zu hinterfragen und über die Interessen des Westens bei kriegerischen Auseinandersetzungen aufzuklären. Anstatt sich aber damit zu beschäftigen, klebt man die Etikette Antisemit und Verschwörungstheoretiker drauf – Ende der Diskussion! Das ist eindeutige Abschreckungstaktik, um Aufklärung zu verhindern.
Dasselbe kann man bei Dr. Daniele Ganser beobachten, der seit Jahren die Vorgänge zu 9/11 untersucht. Aber auch Akteure, die nicht direkt in der Friedensbewegung engagiert sind, sich aber leidenschaftlich für die Aufklärung von Kriegsgeschehen einsetzen, sind solchen Diffamierungen ausgesetzt. Etwa Jürgen Todenhöfer, der wegen seiner Parteinahme für die zivilen Opfer des Gaza-Krieges wütend als Antisemit beschimpft wird. Oder Matthias Bröckers, der eine Gegendarstellung zu den offiziellen Medienverlautbarungen im Ukraine-Konflikt geschrieben hat. Und ebenfalls Antisemiten und Neurechte sowie Verschwörungstheoretiker sind dann automatisch auch alle, die Ken Jebsen , Daniele Ganser oder all die anderen diffamierten Publizisten gut finden.
Auf diese Weise entsteht eine regelrechte Gesinnungsjagd, und leider sind es eben Medien wie Spiegel oder TAZ, die hier das Podium bieten. Dabei wird auch immer deutlicher, dass Wikipedia ein besonders positives Verhältnis zur Diffamierung friedensaktiver öffentlicher Personen hat. Zumindest erscheinen solche diffamierenden Erwähnungen mit ziemlicher Zuverlässigkeit in den Artikeln über die entsprechenden Journalisten, Autoren oder Künstler, und stehen meist in keinem Verhältnis zum Gesamtwirken der entsprechenden Person.
Das ist eine sehr gefährliche Methode. Schließlich handelt es sich bei diesen Personen häufig um Freiberufler, die auf ihre Reputation angewiesen sind. Ein Rufmord auf Wikipedia kann daher schwerwiegende existenzielle Folgen haben.
Wer hinter dieser Querfront-Kampagne steckt, ist kaum zu sagen. In der Öffentlichkeit haben sich daraufhin aber beispielsweise einige linke Politiker offiziell vom Friedenswinter losgesagt. Oftmals dieselben übrigens, die zeitgleich erstmals in der Geschichte der Linken einer Waffenlieferung in ein Krisengebiet zugestimmt haben.
Und dann gibt es da auch noch eine engagierte und angeblich linksextreme Gruppierung, die äußerst aktiv ist, was die Diffamierung der Friedensbewegung angeht. Es gibt ein ganz bestimmtes Argumentationsmuster, das gehäuft in den sozialen Medien von Friedensaktivisten auftaucht und immer wieder die erwähnten Diffamierungsvorwürfe ins Gespräch bringt. Oftmals auf sehr aggressive, hartnäckige und geradezu verbohrte Weise. Wer sich davon ein Bild machen will, kann das Portal Friedens-Demo-Watch besuchen. Die Leute dort konzentrieren sich einzig und allein darauf, Friedensinitiativen, Friedensaktivisten und deren Publikationen in die Mangel zu nehmen und ihnen „Rechtslastigkeit“ nachzuweisen. Ihr Motto lautet „Hinter dem Ruf nach Frieden verschanzen sich die Mörder!“. Ich denke, das muss man nicht weiter kommentieren.
Solche Leute sind aber nicht nur im Netz unterwegs, sondern sind auch real zur Stelle, sobald sich eine Demo etabliert, die gegen die Kriege der NATO auftritt, wie das zum Beispiel jeden Montag in Halle der Fall ist. Es gibt ein Video, das zeigt, wie eine Menge solcher Gegendemonstranten eine Friedensdemonstration in Halle mit Rufen und Schreien und einem dauerhaften Sirenenton zu übertönen versucht. Der Gipfel ist, dass sie einen Feuerwerkskörper in die Demonstration werfen, der übrigens bei einer Frau zu Gesichtsverletzungen führte. Da ist ein Hass und Fanatismus unterwegs, vor dem man sich wirklich fürchten muss.
Da fragt man sich natürlich ganz besonders, was das für Leute sind. Ich vermute mal, dass hier viele Fans von Jutta Ditfurth unterwegs sind. Aber ob das alles Mitglieder oder Anhänger ihrer neuen Partei die „Ökologische Linke“ sind, weiß man natürlich nicht.
Es bleibt also völlig unklar, wie sich diese ziemlich aggressiven sogenannten „Querfront-Gegner“ organisieren. Gerade bei den Netzaktivisten wundert man sich immer wieder über die enorme zeitliche Präsenz. Markus Fiedler hat in seinem Film über die Wikipedia nachgewiesen, dass manche Akteure das ganze Jahr über täglich bis zu 12-14 Stunden aktiv sind. Da drängen sich zwei Vermutungen auf. Entweder das sind völlig fanatische Arbeitslose, oder sie werden dafür bezahlt. Beide Vorstellungen finde ich sehr ungemütlich.
Jens Wernicke: Sie sind ja selbst bereits als rechts und also „gefährlich“ diffamiert worden, wie mir Markus Fiedler im Interview berichtete. Was war da los? Und wer bewarf Sie da warum mit Schmutz? Kam derlei nur einmal vor oder bereist wiederholt?
Katrin McClean: Ein beliebter Angriffspunkt ist eine Rede, die ich zu Beginn meines Engagements in Hamburg gehalten habe. Dabei habe ich das besondere Verhältnis der Deutschen zu den USA als Befreiungsmacht thematisiert. Inzwischen gibt es ja immer mehr Historiker, die klarstellen, dass es für die verheerenden Zerstörungen von zivilen Zielen in Deutschland von Februar bis Mai 1945 keine militärische Notwendigkeit gegeben hat. Auf der anderen Seite erinnere ich mich noch sehr gut an die Aussage eines ostdeutschen Dichters, der im „Spiegel“ sagte, „den Deutschen hätte man die Nazi-Ideologie aus den Köpfen bomben müssen“. Er begründete damit seine Zustimmung zur Bombardierung auch ziviler Ziele im Jugoslawien-Einsatz. Das ist in meinen Augen eine gefährliche Ideologie, denn sie versucht, Deutsche in die moralische Pflicht zu zwingen, jeden Krieg der USA respektive NATO gutzuheißen, und rechtfertigt überdies per se zivile Opfer. Deswegen fand ich es wichtig, in einer Rede daran zu erinnern, dass die Bombardements der Alliierten in den letzten Kriegsmonaten eben keine militärische Notwendigkeit besaßen.
Aber eben genau diese Rede wurde und wird nun häufig zitiert, wenn es darum geht, mich in die rechtsextreme Ecke zu stellen. Und sie spielte auch bei der Diskussion über meinen Eintrag auf Wikipedia eine große Rolle.
Natürlich habe ich in dieser Rede den gesamten Verlauf des Krieges thematisiert und an die Millionen jüdischer, polnischer und russischer Opfer erinnert. Von vielen Linken wurde diese Rede übrigens als durchaus sachlich und wichtig aufgenommen, und überhaupt nicht als reaktionär oder rechts.
Auch sonst werde ich wegen meiner Äußerungen eher wenig angegriffen. Bei mir geht es vor allem darum, dass ich mich dem Distanzierungsdruck innerhalb der Friedensbewegung nicht unterwerfen wollte. Die Kooperation zwischen sogenannter alter und neuer Friedensbewegung verlief ja nicht reibungslos. Als Bedingung zur Zusammenarbeit wurden Forderungen an die Mahnwachen laut, sich von bestimmten Leuten zu distanzieren. Daraufhin sicherten die Mahnwachen in einem gemeinsamen Beschluss zu, keine Veranstaltungen mehr mit Jürgen Elsässer zu machen, der ja bekanntlich als Rechtspopulist eingeordnet wird.
Nun war es aber so, dass der Friedenswinter nach seiner ersten erfolgreichen Veranstaltung im Dezember 2014 erstmal nicht mehr viel machte. Die Gefahr eines Krieges spitzte sich aber immer weiter zu. Im Februar war Minsk I gescheitert, von der Leyen hatte gerade die Entsendung einer „Speerspitze“ Richtung Russland verkündet. Zu diesem Zeitpunkt organisierten einzelne ehemalige Teilnehmer der Mahnwachen in Eigenregie eine Kundgebung vor dem Bundestag, zu der sie auch Jürgen Elsässer einluden, und eben auch mich. Nach langem Überlegen sagte ich zu. Die spürbare Kriegsgefahr und die fortwährende Bombardierung ziviler Ziele in der Ostukraine mit politischer Unterstützung unserer Regierung waren da meine oberste Priorität. Meine Art der Distanzierung von Elsässer war dann, mich vor Ort in aller Deutlichkeit gegen jede Form von Fremdenfeindlichkeit auszusprechen. Ich bin nicht der Meinung, dass man die Bühne einer Friedensdemo Rechtspopulisten überlassen soll oder muss, sobald diese dort auftauchen. Im Gegenteil, ich finde, gerade dann sollte man sprechen und die Möglichkeit nutzen, aktiv auf die Meinungsbildung einzuwirken und progressive Positionen zu verbreiten.
Meine Rede war in Textform im Internet zugänglich und wurde im darauffolgenden Streit auch als ideologisch völlig in Ordnung befunden. Dennoch warf mir ein führender Friedensaktivist der „alten Garde“ vor, ich hätte mich von dieser Veranstaltung distanzieren müssen. Er distanzierte sich dann auch sofort von mir und gab dies sogleich der TAZ bekannt, die das umgehend dokumentierte. Eine Zeitlang war diese Geschichte dann sogar mein biografisches Hauptereignis bei Wikipedia und wurde so formuliert, dass man ein völlig falsches und sehr negatives Bild von mir bekam.
Jens Wernicke: Und wie gehen Sie mit derlei um? Besonders Freude scheint ja nicht aufzukommen, wenn man heutzutage für den Frieden aktiv werden will. Friedensaktivist Pedram Shahyar berichtete sogar, man müsse inzwischen teilweise Angst haben, seinen Ruf zu riskieren – wodurch das offenbar große Interesse an einer Diskreditierung und Einschüchterung der Bewegung letztlich ja doch umgesetzt wird; durch Einschüchterung, Ablenkung von Friedensthemen und eben: qua Angst.
Katrin McClean: Traditionelle Friedensaktivisten und Linke wissen seit vielen Jahren, dass sie mit Rufmord rechnen müssen, wenn sie gegen das politische Establishment protestieren. Ganz besonders, wenn es um Kritik an den USA, an der NATO und an Israel geht. Das hat der linke Bundestagsabgeordnete Wolfgang Gehrcke in seinem Buch „Rufmord“ ja eindrücklich dargestellt.
Ich verstehe nicht, warum Linke sich hier immer noch so einschüchtern lassen. Bei Friedensdemonstrationen geht es doch nicht um irgendwelche Meinungen, die man mal so haben kann oder eben nicht. Für mich geht es hier um Leben und Tod. Hätten wir eine machtvolle Friedensbewegung, könnten wir jetzt vielleicht verhindern, dass radioaktive Milan-Raketen aus Deutschland in den Irak geliefert werden, und dort dafür sorgen, dass noch mehr Mütter missgebildete Kinder zur Welt bringen bzw. ganze Dörfer an Krebs sterben werden. Was kümmert mich denn da mein Ruf? Wenn alle zusammen halten würden, dann könnte uns dieser Rufmord überhaupt nichts ausmachen.
Gerade Pedram Shayar hat ja mehrmals versucht, durch Distanzierungserklärungen und -forderungen der Gefahr des Rufmordes auszuweichen. Ich halte das für eine falsche Strategie. Wer die Friedensbewegung nicht will, wird immer wieder neue Gründe zur Diffamierung aller Beteiligten finden. Doch leider habe ich bei manchen Friedensaktivisten das Gefühl, sie würden zwar gern in eine Schlammschlacht ziehen, haben aber zu große Angst, sich schmutzig zu machen.
Es gibt aber auch Dinge, die Freude machen. Etwa den Zusammenhalt mit Menschen zu spüren, die sich nicht unterkriegen lassen. Die diesem ganzen Distanzierungsdruck standhalten und sich auf ihre eigentliche Motivation konzentrieren, also Friedens-Aktionen und -demonstrationen zu organisieren.
Und was die Kooperation mit sogenannten „Rechten“ angeht, denke ich immer gern an eine Szene, die ich 1989 in Leipzig erlebt habe. Damals haben Polizisten eine Aktion von Musikern „aufgelöst“ und die Künstler mitsamt ihren Instrumenten auf einen Mannschaftswagen geprügelt. Wir Passanten standen alle völlig hilflos rum. Bis auf eine ältere Dame, die mit einem Stock auf einen Polizisten losmarschiert ist und ihn angebrüllt hat, ob der denn sowas auch mit seinem Bruder machen würde. Sie erreichte sogar, dass der Polizist sein Opfer losließ und der Mann davonlaufen konnte. Wenn diese Frau mir erklärt hätte, dass sie etwas gegen Abtreibungen oder die Ehe von Homosexuellen hätte, das wäre mir doch egal gewesen. Beziehungsweise kann man über so etwas auch bei anderer Gelegenheit in Ruhe sprechen.
Man muss doch auch all die historischen Beispiele von Kriegsgegnern anerkennen, die aus dem konservativen Lager kamen. Die Aktivisten der Weißen Rose haben ihren Mut mit ihrem christlichen Glauben und völlig konservativen Werten begründet. Würde man die heute als „rechts“ beschimpfen?
Jens Wernicke: Sie plädieren jetzt aber nicht dafür, das eigene politische Selbstverständnis aufzugeben und so zu tun als gäbe es zwischen „rechts“ und „links“ keinerlei Differenz?
Katrin McClean: Einmal muss man sich ja fragen, welche Zuverlässigkeit diese Begriffe in der heutigen politischen Landschaft noch haben. Etwa, wenn ausgerechnet Sozialdemokraten dafür gesorgt haben, dass die Existenzbedingungen von Arbeitslosen in menschenunwürdige Zustände abgleiten.
Und wenn auf Die Linke nicht einmal mehr bei der Waffenlieferung in Krisengebiete Verlass ist, wird es richtig schwierig.
In der Friedensbewegung sollten diese Begriffe zumindest eine untergeordnete Rolle spielen. Es muss auf jeden Fall legitim sein, dass Menschen unterschiedlicher politischer Ausrichtung gemeinsam für Frieden auf die Straße gehen. Dagegen hat Extremismus auf einer Friedensdemonstration definitiv nichts zu suchen, von rechts schon mal gar nicht. Es gibt aber auch gewaltbereite Linksextremisten, die ich ebenfalls nicht auf einer Friedensdemonstration sehen will.
Was hingegen die gemäßigten politischen Lager angeht, halte ich es generell für besser, Gespräche und Begegnungen zu suchen. Was soll eine Distanzierung denn auch erreichen? Der Andere wird abgelehnt und wird dadurch in der Regel seine eigene Position nur noch mehr erhärten. Positionen werden in Dialogen verändert und nicht dadurch, dass sich jeder mit seinen Gleichgesinnten in ein Hinterstübchen zurückzieht und dort ein Positionspapier schreibt. Gemeinsame Friedensdemonstrationen sind übrigens ein wunderbares Podium, um Menschen kennenzulernen, die andere Ansichten haben, und fair mit ihnen zu diskutieren.
Und man kann sich ja auch von einer Meinung distanzieren ohne gleich völlig den Kontakt zu verweigern und die Person zur Persona non grata zu erklären. Mit dieser Kontaktverweigerung spielt man den rechten Manipulateuren doch erst recht in die Hände. Für die wäre es der größte Alptraum, wenn plötzlich bei jeder PEGIDA-Demonstration Hunderte aktiver Linker auftauchen würden, die versuchten, mit den Demonstranten zu reden und ihnen linke Positionen nahezubringen
Mir gefällt der Artikel der NachDenkSeiten, der die Linke dazu auffordert, aus ihrer ideologischen „Echokammer“ zu kommen, und das Gespräch mit Leuten zu suchen, die derzeit rechten Parolen hinterherlaufen. So haben es gute linke Bewegungen immer gemacht. Allerdings möchte ich auch anmerken, dass manche Linke erst einmal zuhören sollten, bevor sie anfangen, zu „belehren“.
Jens Wernicke: Was meinen Sie denn, wäre – gerade in der geschilderten gesellschaftlichen wie ideologischen Situation – friedenspolitisch aktuell am meisten vonnöten? Was steht sozusagen an, wenn die zunehmende Militarisierung noch aufgehalten werden soll?
Katrin McClean: Ich fürchte, die Zeit für eine breite Massenbewegung unter einem gemeinsamen Slogan ist vorbei . Dafür ist unsere Gesellschaft vielleicht zu pluralistisch und sind wir selbst zu individualistisch geworden.
Das heißt aber nicht, dass sich gar nichts bewegen lässt. Die Montagsdemo in Halle und jetzt die regelmäßige Sonntags-Demo in Plauen zeigen sehr wohl, dass Menschen jenseits von PEGIDA Kritik an Krieg und Neoliberalismus auf die Straße bringen können. Je mehr solcher Demonstrationen es gibt, umso besser.
Ich persönlich glaube zum Beispiel an Maximalforderungen, wie „Deutschland raus aus der NATO“. Aber vielleicht brauchen andere ja das Gefühl, friedenspolitisch Realpolitiker zu sein. Immerhin hat die Demonstration gegen den Drohnenkrieg via Rammstein auch ein paar Tausend Leute mobilisiert. Und Demonstrationen sind ja auch nicht die einzige Möglichkeit.
Man kann Protestbriefe an Abgeordnete schreiben. Oder persönliche Briefe an einzelne Redakteure in den Medien, das kann noch wirksamer sein als sich an Online-Foren zu beteiligen. Lehrer und Eltern können sich gegen die gefährlich zunehmenden Werbe-Veranstaltungen der Bundeswehr in Schulen stellen.
Werbeagenten können sich weigern, für die Bundeswehr zu arbeiten. Techniker können Aufträge von Rüstungsfirmen ablehnen. Das Vermächtnis von Wolfgang Borchert, sein Gedicht „Sag nein!“, ist heute aktueller denn je.
Man kann die Flüchtlingsdebatte immer wieder nutzen, um Menschen auf die Ursachen von Kriegen hinzuweisen und friedenspolitisches Bewusstsein zu fördern. In einer Gesellschaft, die von Unterhaltungsformaten wie Star Wars etc. geprägt ist, kann man generell der Gewöhnung und Bagatellisierung von Gewalt entgegentreten. Es gibt viele Möglichkeiten, etwas für eine friedliche Gesellschaft zu tun, und alles ist wichtig.
Jens Wernicke: Noch ein letztes Wort?
Katrin McCean: Ich würde mich freuen, wenn die Kritiker des Friedenswinters endlich anfangen würden, an einer Friedensinitiative nach ihren Vorstellungen zu arbeiten. Das wäre jedenfalls besser, als alles, was schon existiert, kaputt zu reden, ohne dem Eigenes entgegenzusetzen. Andernfalls setzen sie sich dem Verdacht aus, sie tun das alles nur, um die Kriegstreiber vor Protest zu beschützen.
Jens Wernicke: Ich bedanke mich für das Gespräch.
Katrin McClean schreibt Krimis für Erwachsene und Detektivhörspiele für Kinder. Als Publizistin ist sie der Verbreitung von Feindbildern als Mittel der medialen Kriegsführung auf der Spur. Als Friedensaktivistin war sie maßgeblich an der Organisation von Protest-Demonstrationen vor dem Hamburger Spiegel-Gebäude und der Hamburger Auftaktdemonstration im Rahmen des bundesweiten Friedenswinters beteiligt.
Die Zweitveröffentlichung dieses Beitrags durch RT Deutsch erfolgt im Rahmen der Creative Commons Lizenz 2.0 Non-Commercial, unter welcher er publiziert wurde. Wir bedanken uns bei den NachDenkSeiten.
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