Manipulation statt Wissenschaft: Wie die FDP-Stiftung Stimmung gegen RT Deutsch macht
von Redaktion RT Deutsch
Die FPD-nahe Friedrich-Naumann-Stiftung veröffentlichte jüngst unter der Fragestellung „Unabhängiger Journalismus oder politisches Instrument?“ eine Studie zu russischen Medien in Deutschland. Deren Autorin Dr. Susanne Spahn promovierte über die Außenpolitik Russlands gegenüber der Ukraine und Weißrussland seit 1991. Bis 2012 berichtete sie als freie Journalistin aus Moskau und war unter anderem für die Süddeutsche Zeitung, die Welt und das Netzwerk für Osteuropaberichterstattung n-ost tätig. Seit einigen Jahren widmet sich Spahn verstärkt dem Einfluss russischer Auslandsmedien. Vor zwei Jahren erschien dazu ihr Buch „Das Ukraine-Bild in Deutschland: Die Rolle der russischen Medien“.
In der Studie für die Naumann-Stiftung richtet sie ihren Blick vor allem auf RT Deutsch und Sputnik, die beide vom russischen Staat finanziert werden. Spahns Fazit fällt ziemlich vernichtend aus:
Mit ihren oft tendenziösen Beiträgen tragen die russischen Auslandsmedien dazu bei, die Glaubwürdigkeit von professionellem Journalismus und Medien zu erschüttern, und sie beliefern ihre Konsumenten in Deutschland mit sehr einseitiger Berichterstattung.
Sender wie RT Deutsch stifteten „Verwirrung“ und brächten „Misstrauen und auch Fake News hervor“. Wie im weiteren Verlauf dargelegt werden wird, ist es jedoch die Journalistin selbst, die mit Verdrehungen, Auslassungen und glatten Falschbehauptungen aufwartet, um ihre These zu untermauern.
Ein russischer General und die Mär von der hybriden Kriegsführung
Wie „Informationen als Waffe“ eingesetzt werden, bildet den ersten Schwerpunkt der Studie. Die Informationspolitik der russischen Führung sei „Teil einer hybriden Kriegsführung“:
Die Strategien für die neue Phase des Informationskrieges lagen spätestens seit Anfang 2013 auf den Tischen der politischen Entscheidungsträger Russlands. So sprach im Februar der Generalstabschef und stellvertretende Verteidigungsminister Walerij Gerasimow (sic!) von der wachsenden Bedeutung nicht-militärischer Mittel, 'die in einer Reihe von Fällen wesentlich effektiver sind als militärische Mittel. Sie werden mit militärischen verdeckten Maßnahmen ergänzt, unter anderem mit Maßnahmen des Informations-Gegenkampfes, Aktivitäten der Kräfte für Spezialoperationen und dem Ausnutzen des Protestpotenzials der Bevölkerung', erklärte Gerasimow.
Die Autorin weiß sich mit dieser Auffassung in bester Gesellschaft. So behauptete Kanzlerin Angela Merkel vor einem Monat in einer Rede vor dem Bundestag, „die hybride Kriegsführung ist Teil der Militärdoktrin Russlands, ganz offiziell beschrieben“. Woher die Kanzlerin diese Information hat, ist unbekannt. In der offiziellen russischen Militärdoktrin ist von einer hybriden Kriegsführung jedenfalls keine Rede. Wahrscheinlich spielte Merkel auf die Aussagen Gerassimows an, der in diesem Zusammenhang immer wieder von westlichen Medien und Experten genannt wird.
So räumte der im Vorfeld der Münchner Sicherheitskonferenz 2015 veröffentlichte Munich Security Report den Aussagen des Generals breiten Raum ein. Russland habe dessen Konzept der hybriden Kriegsführung erstmals im Ukraine-Konflikt angewandt, so der Tenor des Berichtes. Doch dessen Verfasser mussten in einer Fußnote kleinlaut einräumen, dass Gerassimow lediglich „seine Sichtweise über die Bedingungen der Kriegsführung im 21. Jahrhundert im Allgemeinen dargelegt hat“.
Der General hat eben keine Blaupause für Russlands Kriegsführung gezeichnet, sondern die Praxis der NATO-Staaten nachgezeichnet, deren militärische Interventionen stets – ob im Krieg um den Kosovo gegen Rest-Jugoslawien, den Irak oder Libyen – von einer propagandistischen Informationskampagne begleitet wurden. Wie sagte noch Jamie Shea, NATO-Sprecher während des Kosovokriegs 1999:
Kosovo war der erste Medienkrieg. Die Journalisten waren gleichsam Soldaten in dem Sinne, dass sie der Öffentlichkeit erklären mussten, warum dieser Krieg wichtig war. Es gehörte zu meinen Aufgaben, sie zu munitionieren, die Lauterkeit unserer Kriegsmotive und unserer Aktionen zu zeigen.
Während des Krieges verbreitete Shea im Auftrag der NATO reichlich Fake News, und gab später freimütig zu: „Wenn du keine Story hast, dann erfinde eine.“
Wenn es nun in der Studie heißt, „führende (russische) Medienvertreter betonen, dass sie sich in einem Informationskrieg befinden“, dann wird dabei unterschlagen, was diese damit meinen: Nämlich, dass Russland dem Informationskrieg des Westens, der seine militärischen Interventionen begleitet, medial etwas entgegensetzen will.
Das in der Studie angeführte Zitat des Generaldirektors von RIA Nowosti, Dmitri Kisseljow, verdeutlicht das:
Еs gibt Länder, die zwingen ihren Willen dem Westen und dem Osten auf. Überall, wo sie sich einmischen, wird Blut vergossen, flammen Bürgerkriege auf, 'Farbenrevolutionen', und sogar Länder zerfallen. Irak, Libyen, Georgien, Ukraine, Syrien. Viele verstehen, dass man nicht unbedingt den Amerikanern assistieren muss. Russland bietet ein Modell von der Welt zugunsten der Menschheit an.
Informationskrieg: Deutschland im Fokus
Als Bündnispartner der USA liege Deutschland „im Fokus des Informationskrieges“, so die Studie. „Aktuell wird die Flüchtlingsfrage massiv überspitzt, um die Gesellschaft zu spalten“, wird darin RT Deutsch vorgeworfen. Es sind allerdings nachweislich Mainstreammedien wie Focus, Bild oder Welt, die diese Frage zuspitzen, um damit in den Sozialen Medien zu punkten, nicht RT Deutsch.
Laut Dr. Susanne Spahn wurde Kanzlerin Merkel vor der Bundestagswahl 2017 „zum Hauptangriffsziel“:
In der Berichterstattung über den Wahlkampf zeigt RT Deutsch unkommentiert die Proteste der Merkel-Gegner, unter ihnen viele Anhänger der AfD und NPD, sodass dem negativen Inhalt der 'Merkel muss weg'-Kampagne nichts entgegengesetzt wurde. Die 'Alternative für Deutschland' hingegen erhielt sowohl bei RT Deutsch als auch bei Sputnik viel Raum, um ihre Botschaften in der Öffentlichkeit zu verbreiten.
Eine Analyse der Wiener Zeitung zur Wahlkampfberichterstattung von RT Deutsch kam dagegen zu einem ganz anderen Schluss:
Eine überraschende Beobachtung gab es zur AfD: Die Berichterstattung fiel grundsätzlich nicht besonders positiv für die rechtsextreme Partei aus. Oft wurde sie kritisiert und abgewatscht. (…) Auch Themen wie Flüchtlinge oder Cybergefahren kamen nur im Hintergrund vor.
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Und zur Berichterstattung über die Kanzlerin heißt es in dem österreichischen Blatt:
Würde gemäß des Rufs von RT als ‚Kreml-Propaganda-Sprachrohr‘ ein bestimmter Narrativ über Putins vermeintliche Erzfeindin Angela Merkel kommuniziert? Das Fazit: Jein. In 14 Tagen vor der Wahl wurden auf Twitter acht Beiträge zu Bundeskanzlerin Angela Merkel mit kritischem bzw. negativem Narrativ gepostet, nur drei mit neutraler bzw. positiver Botschaft. Obwohl die kritischen Berichte über Merkel überwiegen, lautet die Antwort nicht Ja, sondern Jein.
Der Studienverfasserin gilt eine Nicht-Hofberichterstattung offenbar bereits als Kennzeichen von Propaganda. Übrigens sei angemerkt, dass die ebenfalls staatlich finanzierte Deutsche Welle, für die Spahn einst arbeitete und die sie in der Studie zum Vergleich mit RT Deutsch heranzieht, in ihrem russischsprachigen Programm durchweg negativ über den russischen Präsidenten berichtet, und das oftmals in einer äußerst aggressiven und offen beleidigenden Weise. Auch vor einem Aufruf zu einem Boykott der Präsidentschaftswahlen schreckte der deutsche Staatssender nicht zurück. Jüngst musste selbst ein verzweifelter Orang-Utan in Indonesien für antirussische Stimmungsmache herhalten.
Zudem sei angemerkt, dass RT Deutsch im Live-Stream nicht nur Proteste von rechten Merkel-Gegnern unkommentiert zeigt, sondern auch Proteste der linken Szene, wie beispielsweise zum 1. Mai in Berlin oder beim G20-Gipfel in Hamburg. Wer nun meint, dahinter verberge sich ein Plan zur Spaltung der Gesellschaft, sollte bedenken, dass unser Sender auch regelmäßig Protestdemos des „radikalen Nationalisten“ und Putin-Gegners Alexei Nawalny live sendet, zuletzt Anfang Mai. Will „Putins Propagandasender“ damit die russische Gesellschaft spalten und den Sturz ihres Präsidenten vorantreiben?
Solche Live-Streams dokumentieren Proteste, die eben Ausdruck einer gesellschaftlichen Spaltung sind. Es handelt sich also um ganz gewöhnliches journalistisches Handwerk, was auch Spahn bewusst sein sollte.
Über eine nicht-existente Medienpartnerschaft
Wie wenig sie dieses beherrscht, zeigt ihre im Juni 2016 auf der Webseite der Bundeszentrale für politische Bildung veröffentlichte Analyse zum „Ukraine-Bild in Deutschland“ und dem diesbezüglichen Einfluss russischer Medien. Darin heißt es:
Die russischen Staatsmedien kooperieren in Deutschland mit rechtspopulistischen und linken Kräften wie dem Chefredakteur des Magazins 'Compact', Jürgen Elsässer, und dem Chef von 'Ken FM', Ken Jebsen. Diese Personen sind als Experten und Interviewpartner in den russischen Staatsmedien dauerhaft präsent. Sie unterstützen mit öffentlichkeitswirksamen Aktionen russische Medien und verbreiten offizielle Positionen der russischen Außenpolitik. RT und 'Rossija Sewodnja' berichten konsequent über Veranstaltungen der Kooperationspartner. Die Zusammenarbeit ist in diesem Sinne als Medienpartnerschaft zu verstehen.
Das ist schon starker Tobak, denn Elsässer war zum damaligen Zeitpunkt (und bis heute) nur einmal Interviewpartner von RT Deutsch. Und dabei handelte es sich um ein Streitgespräch, über das sich Elsässer anschließend aufgrund der kritischen Fragen echauffierte. Der Compact-Herausgeber forderte den russischen Präsidenten gar auf, die RT-Deutsch-Redaktion wegen ihrer „unglaublichen Hetze gegen Pegida“ zu feuern. Jebsen war dagegen zwar mehrfach Interviewpartner in der Sendung Der Fehlende Part, zuletzt jedoch im April 2015.
Wenn schon eine kurze Recherche mittels Suchfunktion ausreicht, um sich vom Gegenteil zu überzeugen, dann liegt der Verdacht nahe, dass Spahn gezielt Falschbehauptungen über RT Deutsch verbreitet.
Und was Sputnik betrifft, dort wird Elsässer nur in einem einzigen Artikel erwähnt, zudem in einem negativen Kontext. Auch im Fall von Jebsen kann von einer „dauerhaften Präsenz“ keinerlei Rede sein. Und überhaupt: Müssten dann nicht die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender als Medienpartner der AfD gelten? Schließlich sind deren Vertreter dauerhaft in Talkshows präsent, und zwar tatsächlich.
Propaganda-Beispiele mit Bumerang-Effekt
Als Beispiele für das „oft tendenziöse oder gar manipulierte“ Vorgehen unseres Senders wird neben der bereits abgehandelten „tendenziösen Berichterstattung“ über die Bundeskanzlerin der Ukraine-Konflikt, der „Fall Lisa“ sowie die Methode des „Whataboutismus“ angeführt.
Der Ukraine-Konflikt sei „ein besonders gutes Beispiel für selektive Auswahl von Fakten und Falschdarstellungen als Mittel der Einflussnahme auf die öffentliche Meinung“ – ein Vorwurf, der auf die Verfasserin selbst zurückfallen wird. Weiter schreibt Spahn: „Die Rolle Russlands, das durch die Annexion der Krim und die militärische Intervention in der Ostukraine Völkerrechtsbruch begangen hat, wird durch diese Darstellung unkenntlich gemacht, sogar in das Gegenteil verkehrt.“
Die vermeintliche Annexion der Krim wird als ein unbestreitbares Faktum dargestellt, ganz so, als sei diese Einschätzung unumstritten. RT Deutsch teilt diese Auffassung jedoch nicht und hält etwa die Einlassungen des Völkerrechtlers Reinhard Merkel dazu für schlüssig. Niemand ist gezwungen, diese Ansicht zu teilen, und unseren Gastautoren steht es frei, von einer „Annexion der Krim“ zu sprechen, wenn sie zu einer solchen Einschätzung kommen. Wer wie Dr. Susanne Spahn nicht damit leben kann, dass wir einen anderen Standpunkt als der Mainstream vertreten, sollte eher seine Einstellung bezüglich eines offenen Meinungsdiskurses hinterfragen, als uns der Propaganda zu bezichtigen.
Ein weiteres Beispiel dafür, wie RT Deutsch „Nachrichten manipuliert oder absichtlich falsch darstellt“, sei die Berichterstattung „über die militärischen Aktivitäten Russlands in der Ostukraine“. Die Studie verweist diesbezüglich auf einen RT Deutsch-Artikel, in dem ein Zitat aus einer Stellungnahme der UN tatsächlich falsch übersetzt wurde. Die UN hatte erklärt, sie könne Berichte über russische Militärkonvois, die die Grenze zur Ukraine überquerten, „nicht überprüfen“. In dem Artikel war fälschlicherweise die Rede davon, sie hätte die Berichte „nicht bestätigen“ können. Doch dieser Fauxpas taugt kaum als Beweis für manipulierte Nachrichten und absichtliche Fehldarstellungen. Ganz anders jedoch das, was die Studie zum Thema ausführt:
Von offizieller Seite wurde der Einsatz russischen Militärs in der Ostukraine lange verschwiegen. So wurde auch im November 2014 die Präsenz eines russischen Militärkonvois in der Ukraine geleugnet, den die NATO mit Bildmaterial nachgewiesen hatte.
Hier wird zunächst fälschlicherweise suggeriert, der Einsatz russischen Militärs in der Ostukraine sei inzwischen von offizieller Seite eingestanden worden. Und was den mit keiner Quellengabe angeführten angeblichen Nachweis betrifft, so handelt es sich um eine klare Falschdarstellung. Seinerzeit hatte der Oberbefehlshaber der US-Streitkräfte in Europa, Philip Breedlove, behauptet, drei russische Militärkonvois mit insgesamt 126 Fahrzeugen seien in die Ostukraine gefahren – entsprechendes Bildmaterial präsentierten er oder die NATO jedoch nicht. Breedlove sagte damals:
In den letzten beiden Tagen haben wir dasselbe gesehen, was die OSZE berichtet. Wir haben Kolonnen russischer Ausrüstung gesehen, vor allem russische Panzer, russische Artillerie, russische Luftverteidigungssysteme und russische Kampftruppen, die in die Ukraine einmarschieren.
Der US-Militär verbreitete damit Fake News. Denn die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) hatte lediglich von einem Militärkonvoi gesprochen, der ohne Kennzeichnung in der Ostukraine gesichtet wurde, und von dem es auch Videomaterial gibt. Dass dieser aus Russland kam, davon hatte die OSZE nicht gesprochen. Und russisches Militärgerät wird in der Ukraine von beiden Konfliktparteien genutzt, dessen Anwesenheit allein ist somit kein Beweis für „militärische Aktivitäten Russlands“.
Dass RT Deutsch die Aussage des US-Generals infrage stellte, gilt für Spahn als Ausdruck von Propaganda. Dabei hatte selbst die Bundesregierung dessen Behauptung, in der Ostukraine kämpften „reguläre Einheiten der russischen Armee“, als „gefährliche Propaganda“ bezeichnet.
Der ganze Abschnitt zur Ukraine offenbart, worum es der Autorin wirklich geht: um die Deutungshoheit über diesen Konflikt, nicht um eine ausgewogene, um Objektivität bemühte Berichterstattung. Anders ist es kaum zu erklären, wenn sie beispielsweise folgende Aussage des russischen Präsidenten Wladimir Putin als Beleg für Propaganda heranzieht, der in einem ARD-Interview sagte:
Es sind ja Menschen mit Hakenkreuz am Ärmel unterwegs. Auf den Helmen der Kampfeinheiten, die im Osten der Ukraine kämpfen, sehen wir SS-Symbole.
Diese Aussage ist aber unstrittig richtig. Sie wird nicht nur von Mitgliedern des US-Kongresses geteilt, auch deutsche Medien berichteten darüber unter Schlagzeilen wie „Schmutziger Kampf in der Ukraine: Neonazis im Dienst der Regierung“ (Focus), oder auch „Ukraine: Mit Nazis gegen Putin“ (Jüdische Allgemeine). Das neonazistische Asow-Bataillon sei die „stärkte Waffe“ der Ukraine, schrieb der Guardian. Deren Milizionäre tummelten sich übrigens auf der Wahlliste von Arsenij Jazenjuk, dem Wunschkandidaten der USA, der nach der illegalen Amtsenthebung des gewählten Präsidenten Wiktor Janukowytsch im Februar 2014 die Regierungsgeschäfte in der Ukraine übernahm.
Das Totschlagargument der Argumentlosen
Als nächstes Beispiel für russische Propaganda widmet sich Spahn dem sogenannten „Whataboutismus“. Die Anwendung dieser „Propaganda-Taktik“ sei eine gängige Strategie russischer Medien, die darin bestehe, „Kritik an Russland mit Gegenvorwürfen zu beantworten und diese damit zu relativieren“. Die Studie führt dazu aus:
Genannt wird diese Taktik ‚Whataboutismus‘. Der Begriff stammt von der englischen Frage ‚What about …?‘, was auf Deutsch bedeutet: ‚Und was ist mit …?‘ Als politische Propaganda-Taktik hat der Whataboutismus eine lange Tradition, die mindestens bis in den Kalten Krieg zurückreicht. (…) Wer solche Argumente benutzt, will nicht diskutieren. Er lenkt bewusst vom Thema ab und gibt sich dabei als Skeptiker oder Querdenker. So will er von Kritik am eigenen Fehlverhalten ablenken.
Nein, es ist genau umgekehrt. Wer auf den besonders in transatlantischen Kreisen beliebten Vorwurf des „Whataboutismus“ zurückgreift, der will nicht ernsthaft diskutieren. Denn der einordnende Vergleich von Ereignissen, also deren „Relativierung“, gehört zum journalistischen Grundhandwerk.
Ein Beispiel: Wenn die Bundesregierung wegen des von Russland angeblich mit der Annexion der Krim begangenen Völkerrechtsbruchs, bei dem es keine Tote gab, Sanktionen verhängt, aber gleichzeitig den völkerrechtwidrigen Krieg der USA gegen den Irak im Jahr 2003 mit seinen Hunderttausenden Toten mit keiner Silbe tadelt – Angela Merkel hatte ihn seinerzeit sogar begrüßt – dann muss sie sich die Frage gefallen lassen, wie das zusammenpasst. Wer solche Fragen und „Relativierungen“ als „Whataboutismus“ abtut und in das Reich der Propaganda bannen will, der begibt sich argumentativ auf ein sehr glattes Parkett.
Dessen war sich schon Jesus bewusst, der laut Überlieferung in seiner Bergpredigt sagte: „Warum siehst du den Splitter im Auge deines Bruders, aber den Balken in deinem Auge bemerkst du nicht?“
„Fall Lisa“: Dauerbrenner der antirussischen Anklage
Ausführlich widmet sich die Studie dann dem „Fall Lisa“. Dieser sei ein Beispiel dafür, „dass RT Deutsch behauptet, die deutschen 'Systemmedien' würden selbst Fake News verbreiten, um 'alternative' Medien wie RT Deutsch zu diskreditieren“.
RT Deutsch hat zwar im Zusammenhang mit diesem Fall den Begriff „Systemmedien“ nicht bemüht, aber der Kern der Aussage stimmt, da dieser auch noch ein Jahr später zur Stimmungsmache gegen den Sender instrumentalisiert wurde. So behauptete im Februar 2017 der Sprecher des Deutschen Journalisten Verbandes (DJV), Hendrik Zörner, die „Putin-treue Propagandaschleuder“ RT Deutsch habe „das Märchen einer angeblichen Vergewaltigung in die Welt gesetzt und damit diplomatische Verwicklungen ausgelöst“. Für diese Fake News musste er sich anschließend entschuldigen.
Tatsächlich haben einige russischsprachige Medien über den Fall unseriös berichtet und ihn zur Stimmungsmache benutzt, RT Deutsch gehörte jedoch nicht dazu. Letztlich reduziert sich der Vorwurf in der Studie auf „die häufige Nennung der Wörter ‚Verbrechen‘, ‚Unglück‘ und ‚sexueller Missbrauch‘“ in einem Beitrag unseres Senders. Diese lasse die These „realistisch erscheinen“, Lisa sei von Migranten entführt und vergewaltigt worden, „ohne sie freilich ausdrücklich zu bestätigen. Dies ist eine Strategie des Informationskrieges.“
Eine solche Art der „Beweisführung“ bedarf keines weiteren Kommentars.
Das vermeintliche Eingeständnis der RT-Deutsch-Mitarbeiter
Eine andere „Beweisführung“ hingegen schon. So heißt es in der Studie:
Die Redakteure [von RT Deutsch] haben überwiegend keine journalistische Ausbildung, wie eine Undercover-Recherche der Sendung Extra ergab. Dabei gaben die Journalisten offen zu, sich an die redaktionelle Linie eines russischen Staatssenders zu halten und Propaganda zu verbreiten.
Dass es unsere redaktionelle Linie sei, Propaganda zu verbreiten, hat zwar kein RT-Deutsch-Mitarbeiter in dem Beitrag der RTL-Sendung explizit gesagt, dennoch finden sich darin Aussagen, die auf den ersten Blick die Behauptung der Studie zu bestätigen scheinen. So sagte eine Mitarbeiterin gegenüber dem „Maulwurf“, den die Sendung in unsere Redaktion eingeschleust hatte:
Abgesehen davon, ich könnte auch weltweit bei anderen Propagandasendern arbeiten. Zum Beispiel China. Ich würde jetzt, wenn Nordkorea so einen großen Sender hätte, das wäre ja ein Traum.
Die Idee, dass es sich hierbei um eine nicht wirklich ernst gemeinte, sarkastische Äußerung handelte, deren Kontext sich zudem dem Zuschauer aufgrund der vorgenommenen Schnitte nicht wirklich erschließen kann, ist der Studienverfasserin offenbar nicht in den Sinn gekommen. Dabei hatte doch schon zuvor ein vom Neon-Magazin eingeschleuster „Maulwurf“ zu berichten gewusst, dass sich RT-Deutsch-Mitarbeiter zuweilen ironisch-scherzhaft als „Freunde der Propaganda“ anzusprechen pflegen.
Kaum beweiskräftig im Sinne der Anklage ist auch die Aussage eines anderen Mitarbeiters in der Extra-Sendung, wonach er wegen des Geldes für RT Deutsch arbeite – übrigens als Grafiker. Arbeiten Techniker und Kameraleute in anderen Sendern nicht für Geld? Und müssen diese mit der jeweiligen redaktionellen Linie konform gehen?
Auf billige Art und Weise versuchte die RTL-Sendung den Eindruck zu erwecken, RT-Deutsch-Mitarbeiter machten für Geld alles – eben auch Propaganda. Zur Untermauerung dieses Vorwurfs zog die Sendung eine einzige Expertin heran, die sich näher mit russischen Staatsmedien beschäftigt hat und diesen dann bekräftigt. Der Name der Kronzeugin: Dr. Susanne Spahn!
Kritische Kommentatoren oder russische Trolle?
Es würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen, auf alle in der Studie erhobenen Vorwürfe einzugehen und deren sämtliche Mängel herauszuarbeiten. Doch das Kapitel über „die Akteure des russischen Mediennetzwerkes in Deutschland“, das sich intensiv der berühmt-berüchtigten „Troll-Fabrik“ in Sankt Petersburg widmet, soll an dieser Stelle nicht unwidersprochen bleiben. Einleitend heißt es dazu:
Die Online-Portale deutscher Medien sind vermehrt mit einer Flut von Kommentaren, sogenannten Shitstorms konfrontiert. Ingo Mannteufel, Leiter der Russland-Redaktion der Deutschen Welle, beispielsweise berichtet: 'Das sind teilweise wüste Beleidigungen deutscher Politiker oder auch der Bundeskanzlerin insbesondere, häufig auch mit antisemitischen Untertönen, antiamerikanischen Untertönen. Es richtet sich gegen unsere Berichterstattung, wir wären einseitig und wir würden nicht objektiv darstellen', sagte er. Die Identitäten der Protestler seien verschleiert, die Facebook-Profile wirkten nicht echt.
Es habe sich herausgestellt, „dass einige Internetaktivisten bezahlt sind, für sie hat sich die Bezeichnung 'Trolle' etabliert“, so die Studie. Auch hier zeigt sich deren manipulativer Umgang mit Fakten. Denn Beweise dafür, dass die genannte „Troll-Fabrik“ überhaupt in den Kommentarspalten deutschsprachiger Medien aktiv ist, gibt es nicht. Ebenso wenig in Bezug auf andere derartige Institutionen. Natürlich war es für die Massenmedien bequem, die Vielzahl kritischer Kommentare im Zuge ihrer Ukraine-Berichterstattung einfach auf Kreml-Trolle zurückzuführen, was diese dann auch nur zu gerne taten. Doch die Zeit musste dazu einräumen:
Vor allem in Deutschland, England und den USA hat eine Debatte über manipulierte Kommentare begonnen, doch so vielfältig die Verdachtsmomente sind, so dürftig sind die Beweise. Und nicht alle Wege führen nach Moskau. (…) International haben vor allem der britische Guardian und die NZZ aus der Schweiz versucht, die prorussische Kommentarflut redaktionell aufzuarbeiten, in Deutschland beispielsweise die FAZ. Außer den Indizien, die in Richtung Moskau zeigen, mussten alle Medien jedoch auch bestätigen, dass zahlreiche Beiträge, die eher dem Westen als Russland die Schuld für die Ukraine-Krise zusprechen, von altgedienten Kommentatoren stammen, die ihre Argumente sprachlich einwandfrei vortragen.
„Beweisen lässt sich die Vermutung, dass bezahlte Kommentatoren aktiv sind, allerdings nicht“, schrieb die Zeitung an anderer Stelle. Da es keinen Beleg für eine Einmischung der privat betriebenen „Troll-Fabrik“ in Sankt Petersburg in die hiesige öffentliche Meinungsbildung gibt, ist deren ausführliche Thematisierung in einer Studie, die sich der Rolle russischer Staatsmedien in Deutschland widmet, völlig deplatziert. Noch dazu sei angemerkt, dass der Einfluss vermeintlich russischer Trolle auch im englischsprachigen Raum stark übertrieben wird. Das gestand niemand Geringeres als Clint Watts ein, Mitbegründer des „Hamilton 68“-Projektes, dem wichtigsten medialen Stichwortgeber in Sachen „russische Trolls“.
Professioneller Journalismus geht anders
All die hier angeführten Beispiele, mit denen Dr. Susanne Spahn den tendenziösen und manipulativen Charakter russischer Staatsmedien wie RT Deutsch beweisen wollte, erwiesen sich unter umgekehrten Vorzeichen als genau das: Sie sind tendenziös und manipulativ und stehen im Widerspruch zu einer um Objektivität und Ausgewogenheit bemühten Vorgehensweise, wie man sie von einer promovierten Wissenschaftlerin eigentlich erwarten würde.
Im Vorwort ihrer Studie weist Dr. Susanne Spahn richtigerweise darauf hin, dass journalistische Beiträge „ausgewogen“ sein und „beide Seiten zu Wort“ kommen lassen müssen. Wie wenig sie selbst mit den von ihr skizierten Grundpfeilern eines professionellen Journalismus am Hut hat, verdeutlichen ihre Einlassungen vor einem Bundestagsausschuss vor zwei Jahren:
Spahn erhob schwere Vorwürfe gegen die 'Fürsprecher Putins' in den deutschen Medien und nannte als Beispiel die deutsche Journalistin Gabriele Krone-Schmalz. Solche Fürsprecher würden bewusst russische Propaganda verbreiten.
Spahn möchte eben nicht, dass beide Seiten zu Wort kommen. Wer in Sachen Russland von der von ihr vorgegebenen Linie abkommt, der wird als „Fürsprecher Putin“ gebrandmarkt, um leichter aus dem öffentlichen Diskurs ausgegrenzt werden zu können.
Fazit: Bei der Studie der Naumann-Stiftung, die den propagandistischen Charakter von RT Deutsch zu belegen meint, handelt es sich selbst um nichts anderes als ein Propagandawerk voller Verdrehungen, Auslassungen und Falschbehauptungen.
Durch die Sperrung von RT zielt die EU darauf ab, eine kritische, nicht prowestliche Informationsquelle zum Schweigen zu bringen. Und dies nicht nur hinsichtlich des Ukraine-Kriegs. Der Zugang zu unserer Website wurde erschwert, mehrere Soziale Medien haben unsere Accounts blockiert. Es liegt nun an uns allen, ob in Deutschland und der EU auch weiterhin ein Journalismus jenseits der Mainstream-Narrative betrieben werden kann. Wenn Euch unsere Artikel gefallen, teilt sie gern überall, wo Ihr aktiv seid. Das ist möglich, denn die EU hat weder unsere Arbeit noch das Lesen und Teilen unserer Artikel verboten. Anmerkung: Allerdings hat Österreich mit der Änderung des "Audiovisuellen Mediendienst-Gesetzes" am 13. April diesbezüglich eine Änderung eingeführt, die möglicherweise auch Privatpersonen betrifft. Deswegen bitten wir Euch bis zur Klärung des Sachverhalts, in Österreich unsere Beiträge vorerst nicht in den Sozialen Medien zu teilen.