Der menschliche Geist als neue "Verteidigungsdoktrin" der NATO
Eine Analyse von Kit Klarenberg
Die Idee, dass das menschliche Gehirn das Schlachtfeld des 21. Jahrhunderts sein wird, wurde von der NATO in einer Reihe von Studien und Fachleuten stark vorangetrieben.
Am 5. Oktober veranstaltete die NATO-Gesellschaft Kanada, die sich mit ihren "engen Verbindungen" sowohl zum Militärbündnis als auch zur kanadischen Regierung brüstet, eine Podiumsdiskussion zum Thema "kognitive Kriegsführung".
Der Journalist des investigativen Projekts The Grayzone, Ben Norton, hat ausführlich das langjährige Bestreben der NATO aufgezeigt, Methoden zur "Schädigung des Gehirns" zu perfektionieren, indem "Neurowissenschaften und Technologie" auf verschiedene Weise eingesetzt werden sollen, um "die menschliche Ökologie" zu beeinflussen.
Tatsächlich veröffentlichte das NATO-eigene Netzwerk für Innovation, ein Relikt des Kalten Krieges, im Laufe des Jahres 2020 eine Reihe von höchst aufschlussreichen und zutiefst beunruhigenden Studien, die zahlreiche Möglichkeiten skizzierten, wie die "menschliche Domäne" zu den etablierten Konfliktbereichen der NATO hinzugefügt werden könnte, zu denen bereits die Domänen Luft, Land, Meer, Weltraum und Cyberspace gehören.
Das ultimative Ziel dieser kognitiven Kriegsführung besteht darin, "jeden zu einer Waffe zu machen" und die "Militarisierung der Hirnforschung" voranzutreiben, da "das Gehirn das Schlachtfeld des 21. Jahrhunderts ist und zukünftige Konflikte wahrscheinlich zuerst digital und danach physisch im Umfeld von politischen und wirtschaftlichen Machtzentren auftreten werden."
Die NATO strebt an, bis 2040 eine Vorherrschaft in diesem Bereich zu erlangen, und viele der veröffentlichten Dokumente skizzieren Wege, wie dies erreicht werden könnte. Ein Dokument mit dem Titel "Kriegsführung 2040", auf das in verschiedenen Studien immer wieder Bezug genommen wird, prognostiziert eine durch den Klimawandel veränderte Welt, in der "eine dauerhafte UNOrdnung, insbesondere in Bezug auf die Sicherheit" verursacht wird, aus der "neue Akteure hervorgehen werden, die ihre Macht auf Kosten von Staaten und internationaler Institutionen, die handlungsunfähig geworden sind, festigt."
Die Welt wird "entwestlicht", was den Weg für eine "Chinesierung" der Welt ebnet. "Auch der Charakter der Kriegsführung wird sich verändern", projiziert die Studie unheilvoll. "Die Mehrheit der Konflikte bleibt unter der traditionellen Schwelle der allgemein akzeptierten Definition von Kriegsführung, aber es werden neue Formen der Kriegsführung entstehen, wie etwa Informationskriege und kognitive Kriegsführung, während der menschliche Geist eine neue Domäne in der Kriegsführung wird." Angesichts dieses fremdenfeindlichen, alarmierenden Knittelvers, hätte man leicht aus den vergilbten Seiten eines billigen Science-Fiction-Romans schöpfen können. Und es ist völlig passend, dass man in den Studien mehr als nur eine Kurzgeschichte über kognitive Kriegsführung findet.
Zum Beispiel die 33 Seiten lange Meditation über die "Waffen der Neurowissenschaften", verfasst von Hervé Le Guyader, Professor für Evolutionsbiologie am Institut für Kognitionswissenschaften in Bordeaux. Um eine umfangreiche, sensationelle Fabel über jene Schritte zu weben, die von der NATO unternommen werden könnten, um einen kognitiven Krieg zu beginnen, verwendet er in seiner Studie erklärtermaßen "Fiktion und vermischt diese mit tatsächlichen Fakten und Ereignissen, ziemlich logischen Voraussagen sowie einigen fiktiven Extrapolationen und mischt zu Gunsten der Provokation, ein paar Kniffe zur Dramatisierung bei, um das Interesse des Lesers aufrechtzuerhalten".
Nach den Vorstellungen von Hervé Le Guyader, soll 2024 die "Five Brains Initiative" (Fünf Gehirn Initiative) ins Leben gerufen werden – eine offensichtliche Anspielung auf das globale Spionagenetzwerk der "Fünf Augen", bestehend aus Australien, Kanada, Neuseeland und den USA. Die Initiative soll darauf abzielen, eine Doktrin und Ad-hoc-Einsatzregeln zu definieren, für eine Reaktion auf Aggressionen, die als böswilliges "Hacken von Gedanken" erkannt werden.
Das Unterfangen würde laut der Studie "schnell an Dynamik gewinnen", wobei die Domäne des menschlichen Geistes nur zwei Jahre später, auf einem NATO-Gipfel in Brüssel, neu zu den von der NATO bereits definierten Verteidigungsdomänen hinzugefügt werden soll. Die Gegner des Militärbündnisses in Übersee – konkret: China und Russland – hätten jedoch einen strategischen Vorsprung und würden als Reaktion darauf "Waffen zur Verblödung der Massen" einsetzen, um "leichtgläubige, westliche Bürger dazu zu bringen, rund um den Globus, mit neu geschaffenen Slogans gegen die NATO, auf die Straßen und Plätze zu strömen".
Schneller Vorlauf ins Jahr 2039: Autopsien an chinesischen Soldaten, die bei Gefechten mit US- und australischen Truppen um Pekings Seidenstraßen-Initiative in Sambia getötet wurden, stellen fest, dass die getöteten Soldaten in ihren Helmen nicht nur mit Technologien zur "Gehirnüberwachung und Gehirnstimulation" ausgestattet sind, sondern auch selbst in der Tat "übermenschliche" Eigenschaften besitzen, die ihnen als Resultat einer genetischen Manipulation verliehen wurden, was ihnen überlegene Muskelkraft, Nachtsicht und "Widerstandsfähigkeit gegen Schlafbedürfnis, Durst, extreme Hitze und Feuchtigkeit" verliehen hat.
Im Jahr darauf, würden heimtückische Verleumdungskampagnen gegen norwegische und finnische Nationalpolitiker mit Hilfe chinesischer "Fake News/Deep Fake"-Techniken durchgeführt, um ihre Opposition gegen lokale Initiativen der Seidenstraße zu untergraben. Chinesische Bemühungen, Biowaffen zu testen, für "spezifische ethnische genetische Angriffe" auf die lautstärksten und gegen die Seidenstraße am besten organisierten Samischen Rentierzüchter in der Region, würde schließlich dazu führen, dass die NATO Artikel 5 auslöst und mit Peking im Krieg steht. Der Autor schließt mit der Feststellung, dass "in der Tat, der menschliche Geist der nächste Operationsbereich der NATO sein sollte".
Der Fiebertraum von Le Guyader mag lächerlich und absurd sein. Aber absolut nicht zum Lachen ist, dass seine erfundene Zeitleiste der kommenden Ereignisse, den Anschein erweckt, als sei er als Blaupause gedacht worden. Wie an der Podiumsdiskussion bei der NATO-Gesellschaft Kanada deutlich wurde, ist die kognitive Kriegsführung derzeit "eines der heißesten Themen" für das Militärbündnis, und viele der ernsteren Handlungsstränge, die in den Studien beschrieben werden, wurden und werden zunehmend wahr.
Die Podiumsdiskussion wurde vom ehemaligen französischen Militäroffizier Francois du Cluzel geleitet, der 2013 am Aufbau des Netzwerks für Innovation der NATO beteiligt war. Er war auch der Offizielle, der für die Durchführung der Studie zur kognitiven Kriegsführung innerhalb der Allianz verantwortlich war, und er glaubt ganz klar an die Idee. "Kognitive Kriegsführung hat eine universelle Reichweite, angefangen beim Einzelnen bis hin zu Staaten und multinationalen Organisationen", sagte er. "Ihr Aktionsfeld ist global und zielt darauf ab, die Kontrolle über den Menschen zu erlangen, sowohl zivil als auch militärisch."
Das Netzwerk für Innovation der NATO befindet sich in Norfolk, Virginia – nicht weit vom CIA-Hauptquartier entfernt. Ihre heimlichen Verbrechen gegen die Menschlichkeit während des gesamten Kalten Krieges – wie Experimente zur Gedankenkontrolle an ahnungslosen Menschen – rechtfertigte diese Behörde stets damit, dass die Sowjetunion durchaus dasselbe hätte tun können, und es töricht sei, dem Feind einen Wettbewerbsvorteil zu überlassen. So kommt es, dass Hinweise in der Studie von Le Guyader, dass China die Fähigkeit erlangt, "spezifische ethnische genetische Angriffe" durchzuführen, eine besonders düstere Resonanz erzeugen, wenn auch nicht aus den von ihm beabsichtigten Gründen.
Im Jahr 2000 veröffentlichte die neokonservative Denkfabrik "Projekt für ein neues amerikanisches Jahrhundert" (PNAC) ein enorm einflussreiches Dokument mit dem Titel "Wiederaufbau der Verteidigungsfähigkeit Amerikas", in dem verschiedene Strategien skizziert wurden, mit denen Washington "seine Position als globale Führungsrolle bewahren und ausbauen könnte". Sie befürwortete unter anderem die Förderung der Forschung zu "fortgeschrittenen Formen der biologischen Kriegsführung, die auf bestimmte Genotypen abzielen könne", da dies "ein politisch nützliches Instrument" sei. Es ist öffentlich bekannt, dass das US-Militär seitdem die DNA ausländischer Bürger, einschließlich von Russen, zu "Forschungszwecken" sammelt.
Im Dezember 2020, volle zehn Monate nachdem Le Guyader die dystopische Erzählung im Auftrag der NATO gesponnen hatte, beschuldigte der damalige US-Direktor des Nationalen Geheimdienstes, John Ratcliffe, Peking, "Tests an Mitgliedern der Volksbefreiungsarmee durchzuführen, mit dem Ziel, Soldaten mit biologisch verbesserten Fähigkeiten auszustatten", was zu einer Flut alarmistischer Schlagzeilen in den westlichen Medien rund um den Globus führte. Belastbare Beweise blieben dennoch aus.
Vielleicht sollen damit westliche Bürger schleichend auf die Einführung gentechnisch veränderter Soldaten und anderer erschreckender Waffen der futuristischen Kriegsführung vorbereitet werden. Wenn ja, täten sie gut daran, den versehentlich passenden Prolog in der Fantasy-Fiktion von Le Guyader in Betracht zu ziehen:
"Das Spiel mit menschlichen Wahrnehmungen, Emotionen, Gefühlen, Bewusstsein, das Auslösen von Entscheidungen durch massive oder maßgeschneiderte Propagandakampagnen war schon immer Teil unseres Kontexts, sei es im Frieden oder im Krieg", bemerkte Le Guyader. "Werbetreibende, Politiker und Planer von psychologischen Operationen manipulieren ständig Menschen, um deren Wahrnehmung der Realität zu ändern, damit sie Entscheidungen treffen, die ihnen letztendlich nichts nützen."
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Übersetzt aus dem Englischen.
Kit Klarenberg ist ein investigativer Journalist, der die Rolle von Geheimdiensten bei der Gestaltung von Politik und Wahrnehmung untersucht. Folgen Sie ihm auf Twitter @KitKlarenberg
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