Pro Woche nehmen wir einen Löffel Plastik zu uns – Folgen nicht absehbar
Seit den 1950er Jahren haben sie Einzug in unsere Lebensbereiche und auch in unsere Organismen gehalten, doch die gesundheitliche Bedeutung von Mikro- und Nanoplastikpartikeln (MNP) ist bisher noch nicht ganz klar. Dabei nehmen wir mittlerweile rund fünf Gramm Plastik pro Woche zu uns. Diese Zahl hatte die Umweltorganisation WWF bereits im Jahr 2019 bekannt gegeben – sie entspricht in etwa einer Kreditkarte, die wir somit wöchentlich an Mikroplastik zu uns nehmen.
Aktuell taucht diese Zahl wieder in einer Studie der Medizinischen Universität Wien auf. Demnach ist es erforderlich, die Auswirkungen unserer ständigen Exposition von Kunststoff auf die menschliche Gesundheit im Allgemeinen und insbesondere die Karzinogenese näher zu untersuchen, also die Veränderung von Zellen und Entwicklung von Tumoren. Ein Forschungsteam der MedUni Wien hat in einem kürzlich erschienenen Artikel den aktuellen Stand der Wissenschaft zusammengefasst. Darin zeigt sich, dass bereits jetzt zahlreiche sehr bedenkliche gesundheitliche Folgen bekannt sind, während Kunststoffe – auch dank einer starken Wirtschaftslobby der Plastikindustrie – großzügig weiter in Umlauf gebracht werden.
Beispielsweise haben Untersuchungen gezeigt, dass Kunststoffverunreinigungen über die Nahrung den Darm beeinträchtigen können, was wiederum mit der Entstehung von Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes, Fettleibigkeit oder chronischen Lebererkrankungen in Verbindung gebracht wird. Sie können außerdem in das Gewebe gelangen und lokale Entzündungs- und Immunreaktionen mit sich bringen. Es gibt zudem einen "trojanischen Pferd-Effekt", wenn die Kunststoffe als Chemosensibilisatoren für giftige Substanzen fungieren.
Nach einer Definition der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) haben Mikrokunststoffe eine Größe von 0,1 bis 5.000 Mikrometer (μm), also 5 Millimeter (mm). Nanokunststoffe messen zwischen 0,001 und 0,1 μm (1 bis 100 Nanometer (nm)). Diese haben sich massiv in der Umwelt angehäuft. In den Meeren schwimmen teils Plastikmüllteppiche in der Größe Frankreichs, an denen Meerestiere verenden und die sich längerfristig in kleine und kleinste Partikel zersetzen. Diese setzen sich nicht nur in Meeresprodukten wie Fischen, Meersalz und Muscheln ab, sondern landen durch Transfermechanismen im gesamten Nahrungskreislauf, beispielweise über Fischmehl, das in der Fleischproduktion Verwendung findet. In die Nahrungskette gelangen MNP auch aus Verpackungsabfall.
Die Kunststoffbelastung, die aus Kleidung aus synthetischen Fasern (Polyester, Polyester-Baumwolle und Acryl) freigesetzt wird, beläuft sich laut einer Studie des Marine Biology and Ecology Research Centre (MBERC) in Großbritannien auf über 700.000 große Mikroplastik-Fasern pro Maschinenwäsche (Napper und Thompson 2016), die wiederum im Abwasser landen. Jedes Jahr regnet es allein in elf Naturschutzgebieten im Westen der USA das Äquivalent von 120 Millionen zermahlenen Plastikflaschen.
Eine Studie von 2019 geht davon aus, dass etwa 90.000 Mikroplastikpartikel (MP) pro Jahr durch das Trinken von Wasser aus abgefüllten Behältern und 40.000 durch die gleiche Menge von Leitungswasser aufgenommen werden, was mit der geografischen Lage variiert. Aus Kunststoffflaschen (Polyethylenterephthalat (PET)) werden zudem Xenohormone ausgespült, die eine starke östrogene Aktivität aufweisen und im Körper des Verbrauchers krebserregend wirken können.
Aus Säuglingsflaschen werden zwischen 14.600 und 4.500.000 MP (> 1 µm) freigesetzt. Die Sterilisation von Säuglingsmilch verschärfe das Problem, da der Prozess des Mischens von Milchpulver mit heißem Wasser bei mindestens 70 Grad, des Schüttelns und des Abkühlens thermische und mechanische Belastungen des Flaschenmaterials hervorruft, die die Freisetzung von MNP weiter verschlimmern können.
In den Körper gelangen die Kunststoffpartikel nicht nur über die Nahrung, sondern auch über die Atmung. Mittlerweile wurden sie in Fäkalien – in hohen Mengen sogar bei Kleinkindern und Babys – und im Urin festgestellt, wie auch im Blut, was beispielsweise den Transport von Sauerstoff beeinträchtigen kann. Sogar in der Plazenta wurden zwölf verschiedene Arten von MP (zwischen 5 und 10 µm), darunter Polypropylen (PP), vorgefunden. Den Zusatzstoffen und Chemikalien, die handelsüblichen Kunststoffen zugesetzt werden, darunter Stabilisatoren, Weichmacher (Bisphenol-A (BPA) und Phthalate), Flammschutzmittel, Farbstoffe und andere, sind Mensch und Tier meist sogar ausgesetzt, ohne dafür MNPs aufnehmen zu müssen.
Allein die Kunststoffadditive oder chemische Verunreinigungen der MNPs können eine Vielzahl toxischer Wirkungen haben, einschließlich womöglich krebserregender und epigenotoxischer Wirkungen. Bisphenol A (BPA) zum Beispiel, das unter anderem bei der Herstellung von Plastikflaschen, der Innenbeschichtung von Konservendosen, in Lebensmitteleverpackungen und in Zahnfüllungen eingesetzt wird, verursacht ein breites Spektrum von Störungen im Körper, indem es die Funktion verschiedener Hormone beeinträchtigt. So kann es die Fruchtbarkeit beeinträchtigen, das Erbgut sowie die Gehirnfunktion schädigen. Ähnliche negative Auswirkungen sind bei Phthalaten und Flammschutzmitteln bekannt. Solche endokrin wirksamen Chemikalien (EDCs) oder auch endokrine Disruptoren können die fötale Entwicklung auf epigenetischer Ebene verändern, was wiederum über Generationen weitergegeben werden und verschiedene chronische Störungen im späteren Leben nach sich ziehen kann, wie Stoffwechsel-, Fortpflanzungs- und degenerative Erkrankungen und einige Formen von Krebs.
Bei den Folgen und Auswirkungen von Plastikmüll und deren Zerfallsprodukten auf die menschliche Gesundheit und auf die Ökosysteme gibt es jedoch noch große Unklarheiten, weil diese bisher nicht systematisch und intensiv untersucht worden sind. Insbesondere angesichts der exponentiellen Zunahme der Kunststoffproduktion und der daraus resultierenden Anhäufung nicht abbaubarer MNPs sieht das Forschungsteam um Elisabeth Gruber (Klinische Abteilung für Viszeralchirurgie der Universitätsklinik für Allgemeinchirurgie der MedUni Wien) und Lukas Kenner (Klinisches Institut für Pathologie der MedUni Wien, Comprehensive Cancer Center (CCC) von MedUni Wien und AKH Wien, Abteilung für Labortierpathologie der Vetmeduni) dies umso dringlicher.
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